17.06.2002 Migration und Klassenkampf

 

Die Erdbeeren,
die wir essen ...

Der folgende Text ist eine Übersetzung von einer website aus dem anarchosyndikalistischen Spektrum Spaniens (www.red-libertaria.org). Der Autor schlägt im Vorwort einen KonsumentInnenboykott gegen die Erdbeeren aus Spanien vor; und er bezieht sich auf die Kämpfe der eingewanderten LandarbeiterInnen in ganz Andalusien für ihre Legalisierung und für bessere Arbeits- und Lebensbedigungen.

Die im Artikel erwähnte Anwerbung von neuen Arbeitskräften besonders in Osteuropa spielte auch beim Konflikt in El Ejido (Provinz Almería) eine wichtige Rolle: Dort kam es im Februar 2000 zu einer massiven Konfrontation zwischen andalusischen Altbewohnern und eingewanderten Landarbeitern aus Marokko. Die rassistischen Angriffe richteten sich deshalb vor allem gegen die Marokkaner, weil diese nach ca. 15 Jahren Einwanderungsgeschichte (vor allem nach Andalusien) dort inzwischen eine gewisse Stärke erreicht haben. Diese Stärke stellten sie auch in einem einwöchigen Streik als direkte Antwort auf die Angriffe unter Beweis, mitten in der Hochzeit der Tomatenernte. Schon damals überlegten die Bauernunternehmer der Region, vermehrt Arbeitskräfte in Osteuropa anzuwerben.

Die Konfrontation in El Ejido war ein wichtiger Ausgangspunkt für ein schärferes Einwanderungsgesetz einerseits und für das Aufdrehen des »Legalisierungs-Ventils« andererseits: das spanische Kapital braucht Einwanderung vor allem auf dem Bau und in der Landwirtschaft, der Staat will aber die Migration unter Kontrolle halten können. Viele der MigrantInnen erkämpften ihre Legalisierung durch Demos, Besetzungsaktionen und Hungerstreiks.

Der Konflikt in Huelva ist ein Produkt genau dieser Kämpfe, die die Unternehmer durch eine neue, zunächst einmal weniger kämpferische Arbeitskraft unterlaufen wollen. Wie lange ihnen das gelingen wird, ist offen. Häufig hat es nicht lange gedauert, bis eine neue MigrantInnenarbeitskraft ihrerseits aufmüpfig wurde ...

Sowot Freiburg, Mai 2002


Die Erdbeeren, die wir essen ...

Erdbeeren mit Zucker, Erdbeeren mit Orangensaft, Milchshakes mit »richtigen« Erdbeeren ... Die meisten Erdbeeren, die in Europa konsumiert werden, kommen aus der spanischen Provinz Huelva in Andalusien. Manchmal werden sie in den Geschäften als »Früchte der Region« angepriesen, so daß leichtgläubige Touristen beim Besuch irgendeines schönen Ortes etwas »Ursprüngliches« kaufen können. Manchmal werden die Erdbeeren ganz unverfroren als Produkte von der Küste Barcelonas verkauft, auch wenn sie in Kisten mit dem Aufdruck »Palos de la Frontera (Huelva)« verpackt sind. Dasselbe passiert bei Ereignissen, wo lokale Produkte vermarktet werden, wie z.B. beim Fest der kommunistischen Partei in Barcelona, wo sowohl die Slogans als auch die Erdbeeren nicht echt waren.

Große, dicke Erdbeeren heißen im spanischen »fresón«. Sind sie steinhart und geschmacklos und können die langen Transportwege der Globalisierung überstehen - dann kommen sie zweifellos aus Huelva.

Aber die Erdbeeren, die in Huelva wachsen, kommen gar nicht aus Huelva. Jedes Jahr zweigen die Agrarunternehmer aus Huelva Mio von Dollar Lizenzgebühren an kalifornische Industriebetriebe ab, die die Erdbeerpflanzen gezüchtet haben. Erdbeeren sind ein globales Produkt mit amerikanischem copyright. Sie werden in den regenarmen Kiefernwäldern Zentralspaniens genährt und aufgezogen, bevor sie aus dem Boden geholt und in die sandigen Böden Huelvas wieder eingepflanzt werden, damit sie Früchte tragen und schließlich fast überall auf der Welt verkauft und verzehrt werden. Erdbeeren brauchen einen toten, mikrobenfreien Boden, damit sie von Krankheiten verschont bleiben. Deshalb werden sie in einen Teppich aus giftigem Pflanzenschutz gesetzt, der alle Arten von Ungeziefer vernichtet und nebenbei noch das Ozonloch vergrößert, das jedes Jahr tausende von Hautkrebsfällen verursacht. Der Erdbeeranbau trägt also auch zur regen Gesundheitsindustrie bei ...

Der Anbau von Erdbeeren verlangt Sorgfalt und ist teuer. Sie werden unter Plastikplanen gehalten und brauchen große Mengen an Düngemitteln, Pestiziden, Herbiziden und viele Arbeitsstunden zum Pflücken. Die Behörden helfen, indem sie kostenlos die Plastikabfälle einsammeln, und falls sie es doch nicht tun, sind die Farmen von Schluchten und Sümpfen voller Plastik umgeben. Wenn die Abfallhaufen dann doch zu groß werden, reicht ein Streichholz, um sie in giftigen Rauch zu verwandeln, was zur Erwärmung des Planeten beiträgt. Das ist eine gute Nachricht, denn steigende Temperaturen bedeuten, daß die Erdbeeren nicht mehr mit Plastik abgedeckt werden müssen ... Pflanzenschutzmittel und andere »Gifte« sind teuer, aber immerhin müssen die Bauern nichts für die sogenannte »weitläufige landwirtschaftliche Verseuchung« der Brunnen und Flüsse bezahlen, die Ergebnis der giftigen Substanzen ist. Das würde gerade noch fehlen! Wasser, laut Gesetz »öffentliches Eigentum«, verursacht zahlreiche Krankheiten, wenn es vergiftet ist, womit die Zahl der Kranken sowie der Kundschaft von Gesundheits- und Mineralwasserindustrie wachsen. Und da behauptet noch jemand, nur die Agrarunternehmer profitieren vom Erdbeeranbau !

Die großen europäischen Vertriebszentren sowie die Verpackungs- und Transportunternehmen kriegen den größten Batzen aus den Profiten des Erdbeergeschäfts. Dann müssen die Agrarunternehmer - neben den Lizenzgebühren - noch das Plastik, die Pflanzenschutz- und Düngemittel an mächtige internationale Chemiefirmen bezahlen. Bei starkem Wind und Regen werden die Pflanzen zerstört. Glücklicherweise erhört der Staat ab und zu die Forderungen der Bauern und leistet Schadensersatz.

Wie können die Unternehmer überhaupt Profit machen, wenn so vieles dagegen spricht? Dadurch, daß sie die PflückerInnen bis auf's Blut auspressen.

In den letzten Jahren haben tausende von andalusischen TagelöhnerInnen (darunter viele Frauen) zusammen mit ImmigrantInnen aus Portugal und Nordafrika die Erdbeeren auf den Feldern Huelvas gepflückt. Harte Arbeit, die auf den Rücken geht, stundenlang unter heißer Sonne, niedriger Lohn und Unterkünfte zu Touristenpreisen - das müssen die Menschen aushalten, die die Erdbeeren pflücken, die wir essen.

Die Unternehmer können sich nicht den Luxus leisten, daß ihre ArbeiterInnen Forderungen stellen. Sie haben zuerst die Gewerkschaften angegriffen, später haben sie ArbeiterInnen aus kämpferischen Dörfern keine Jobs mehr gegeben und sie durch EinwandererInnen ersetzt. Wenn sie illegal waren, um so besser, dann protestierten sie weniger...

Mit dem neuen Ausländergesetz und nach den Besetzungen und Protesten des letzten Jahres bekamen ungefähr 1 200 nordafrikanische ArbeiterInnen Papiere: Sie wurden »regularisiert«, um ausschließlich bei der Ernte in der Provinz Huelva zu arbeiten. Weder die Unternehmer noch die großen Gewerkschaften (die mit den vorangegangen Kämpfen nichts zu tun hatten) wollten es zulassen, daß die ArbeiterInnen, die für ihre Papiere gekämpft hatten, auf diesen Farmen arbeiten konnten. Ende Herbst 2001 kamen Vertreter der Regierung, der Arbeitgeber und der großen Gewerkschaften überein, 7 000 Menschen in ihren Heimatländern anzuwerben. Dieses Abkommen wurde von der zentralen Einwanderungsbehörde gebilligt.

Also gingen die Arbeitgeber auf dem internationalen Arbeitsmarkt einkaufen und heuerten ungefähr 4 500 Menschen in Polen, 1 500 in Rumänien und die restlichen 1 000 in Marokko und Kolumbien an. Es waren vorzugsweise Frauen, um zu verhindern, daß die Arbeitskräfte in Huelva bleiben, denn überall auf der Welt haben die Frauen die Hauptverantwortung für die (zurückgelassene) Familie. Die Regierung schien sich nicht darum zu kümmern, daß die vorgesehen Anzahl für Anwerbungen von Arbeitskräften in ihren Heimatländern (zusätzlich zu den »Regularisierten« vor Ort) für 2002 nur bei 3 500 und nicht bei 7 000 lag. Ihnen war klar, daß durch diese Verdopplung die Rebellen aus dem letzten Jahr (»diese üblen Marokkaner, dreckige Diebe und Terroristen«) ihre Jobs verlieren würden. Stattdessen werden unsere Erdbeeren jetzt also von blonden, weißen Menschen gepflückt. Fügsam und gewillt, wieder nach Hause zurückzukehren.

Ungefähr 5 000 Nordafrikaner haben in den Orten der Erdbeerernte Hütten aus Plastik errichtet. Dort sind sie ohne Job und ohne jede Versorgung, sie hungern und müssen sogar um Wasser betteln, andere stehlen. Vor einigen Tagen sind einige hundert von ihnen aus diesen Dörfern zur Provinzhauptstadt marschiert, organisiert von den kleinen Gewerkschaften, die sie unterstützen. Ein Großteil von den 1 200, die nur Papiere für die Arbeit auf den Feldern von Huelva haben und von den Unternehmern jetzt verschmäht werden, machte bei diesem Marsch mit: vielleicht kriegen sie bald, wenn die Pflanzen in voller Blüte stehen und jede Hand gebraucht wird, einen Job. Und sie werden die Lektion genau gelernt haben: Um Erdbeeren zu pflücken, muß man sich nach vorne beugen - in demütiger und unterwürfiger Körperhaltung.

Zwischenzeitlich haben die Bürgermeister und andere wichtige Kräfte in den Dörfern der Umgebung ein hartes Durchgreifen und Abschiebungen gefordert. Diese werden selektiv gehandhabt: Jeder, in dessen Gesicht das Wort »Protest« gesehen werden kann, wird abgeschoben. Obwohl die Behörden in Huelva von 2 500 illegalen ArbeiterInnen in der Gegend ausgehen, sorgen sie nicht für deren Abschiebung: Sie können noch als eine Art Sklavenarbeitskraft in den wenigen Tagen nützlich sein, wenn die Erdbeerfelder ihre volle Pracht entfalten.

Wenn jemand immer noch Lust auf Erdbeeren aus Huelva hat, dann hat er mehr als die Geschmacksnerven verloren.

22.3.2002, Ramón Germinal

 

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