09.03.2005 [Startseite] [Archiv] [Bestellen] [Kontakt]

 


Argentinien: Drohungen gegen besetzte Fabrik

In der besetzten Kachelfabrik Zanon produzieren die ArbeiterInnen seit mehr als drei Jahren in Selbstverwaltung. Sie konnten mehrere Räumungsversuche abwehren. Das Ende des Konkursverfahrens und eine mögliche Legalisierung stehen in Kürze an. Jetzt werden die ArbeiterInnen mit schmutzigen Methoden angegriffen: mit Morddrohungen und Überfällen.

In der Nacht zum 26. Februar hinterliess ein anonymer Anrufer auf dem Anrufbeantworter des Privattelefons von Raúl Godoy eine Morddrohung gegen ihn, seine Freundin und Alejandro López. Raúl und Alejandro sind Sprecher von Zanon und in der Leitung der örtlichen Kachelarbeitergewerkschaft SOECN.

Eine Woche nach den telefonischen Morddrohungen kam es zu einem blutigen Überfall. Am 4. März wurde die Frau eines Zanon-Arbeiters entführt, bedroht und verletzt. Drei Männer und eine Frau zerrten die 24-Jährige in ein Auto, schlugen sie und drohten, auch ihrem Kind etwas anzutun. Sie verfügten über Detailwissen und müssen die Familie systematisch beobachtet haben. Mit einem scharfen Gegenstand fügten sie der Frau blutige Schnitte am Oberkörper und im Gesicht zu und sagten: «Das ist für Godoy, für López und für Mariano Pedrero (den Anwalt der Zanonarbeiter). Das ist wegen Zanon. Sag denen, dass wir in der Gewerkschaft ein Blutbad anrichten werden. Wir wollen, dass du mit blutigem Gesicht dort ankommst, um ihnen zu zeigen, wie sie alle aussehen werden. Sie werden alle in die Fabrik umziehen müssen, denn wir werden sie sonst alle umbringen.«

Nach zwanzig Minuten ließen die Vermummten ihr Opfer frei. Am folgenden Tag drangen die Täter in das Haus der Entführten ein und bedrohten sie erneut. Der vor der Tür postierte Polizist bemerkte von diesem Überfall genausowenig wie von einem dritten am 21. März, bei dem die Frau mit einem Gürtel gewürgt wurde. Das Fahrzeug der Täter ist ein grüner Ford-Falcon. Dieser Autotyp hat in Argentinien einen schrecklichen Symbolwert, denn er wurde von den (Para)-Militärs für ihre Entführungen benutzt. Vor und während der Militärdiktatur in Argentinien (1976-83) «verschwanden« 30000 Menschen. Die meisten von ihnen waren gewerkschaftlich und politisch aktive ArbeiterInnen.

Die Kachelfabrik Zanon produziert seit drei Jahren «unter Arbeiterkontrolle«. In dieser Zeit haben die ArbeiterInnen die Produktion von 20000 m2 pro Monat auf 300000 m2 erhöht, und Einkommensmöglichkeiten für mehr als 200 weitere ArbeiterInnen geschaffen. Mittlerweile verdienen dort 485 ArbeiterInnen ihren Lebensunterhalt. Die Fabrik ist als herausragendes Beispiel von Arbeiterselbstverwaltung und Basisdemokratie in ganz Argentinien und über die Grenzen hinaus bekannt geworden. Die compañeros von Zanon haben ihre Erfahrung mit mehreren Auslandsreisen verbreitet; Raúl Godoy war im November 2003 in Deutschland, bei der Internationalen Konferenz von TIE und bei Veranstaltungen in mehreren Städten.

Hinhaltetaktik - öffentliche Hetze - anonyme Angriffe

Die Fabrik Zanon befindet sich in Neuquén (Patagonien), einer Provinz, deren Gouverneur Sobisch als Hardliner gilt. Provinzinnenminister Manganaro hat in einer öffentlichen Rede vor neueingestellten Polizisten Ende letzten Jahres die Arbeiter von Zanon als Lügner, Betrüger und Gesetzesbrecher angegriffen, und von Seiten der Provinzregierung gab es eine neue Räumungsdrohung gegen die besetzte Fabrik. Zanon hat als einziger der 160 besetzten Betriebe in Argentinien bisher keinerlei Legalisierung erreicht. Im Februar hätte der Konkurs der Firma erklärt werden sollen. Dies wäre die Voraussetzung dafür, dass der Betrieb der von den Zanon-ArbeiterInnen gegründeten Kooperative FaSinPat (Fábrica sin Patrones - Fabrik ohne Chefs) überlassen würde. Stattdessen hat der Konkursrichter das «Cram-Down«-Verfahren eröffnet: die Fabrik wird für Investoren zum Kauf ausgeschrieben. Den ArbeiterInnen wird damit ebenfalls «angeboten«, als Investoren aufzutreten und die Fabrik zu kaufen. Zu diesem Thema fand am 18. Februar im Hof der Fabrik eine der Vollversammlungen statt, bei denen sich die ArbeiterInnen regelmäßig treffen, um eine gesamte Schicht lang zu diskutieren. Dort wurde das Cram-Down-Verfahren, das Spekulanten und Strohmännern Tür und Tor öffnet, sowie der Vorschlag, die Fabrik mitsamt der 170 Millionen Pesos Schulden von Zanon zu übernehmen, einhellig verurteilt. In einer öffentlichen Erklärung haben die compañeros von Zanon klargestellt, dass sie mit den Schulden dieses Unternehmers nichts zu tun haben. Sie fordern stattdessen weiterhin, dass ihre Arbeiterselbstverwaltung anerkannt, und dass die Fabrik endgültig enteignet und ihrer Kooperative zur Verfügung gestellt wird. Sobald die Ausschreibung eröffnet ist, wird es weitere Mobilisierungen der Zanon-ArbeiterInnen geben - um eventuellen Investoren klar zu machen, dass sie mit dieser Fabrik und diesen ArbeiterInnen nichts zu lachen haben werden. Sollte sich kein Investor finden, wäre der Weg frei für die Konkurserklärung und die Übernahme durch die Kooperative.

Die ArbeiterInnen von Zanon sind nach wie vor bereit, ihre Fabrik mit allen Mitteln zu verteidigen. Eine gewaltsame Räumung hätte unabsehbare Konsequenzen. Einen frontalen Angriff auf dieses Symbol kann sich der Staat kaum leisten. Aber anstatt die überfällige Legalisierung einzuleiten wird das Konkursverfahren verzögert, und die ArbeiterInnen sind mit Drohungen und Überfällen konfrontiert. Sie sehen diese schmutzigen Methoden als Teil der Eskalationsstrategie der Provinzregierung gegen die sozialen Bewegungen. Den Beginn der Repression datieren sie auf den November 2003. Damals ging die Polizei mit grosser Brutalität gegen Arbeitslose vor, denen die Zanonarbeiter in einer stundenlangen Strassenschlacht zuhilfe kamen. Mehrere Menschen wurden durch Gummigeschosse und sogar scharfe Munition verletzt. Der Zanonarbeiter Pedro Alveal verlor dabei ein Auge. Erst vor kurzem ist es den AnwältInnen der Zanonarbeiter gelungen, nach mehreren Einstellungen doch noch ein Strafverfahren gegen beteiligte Polizisten in Gang zu bringen.

Wenige Tage vor der Morddrohung gegen die Zanonarbeiter hatten zwei JustizbeamtInnen, die für Kinder- und Jugendschutz zuständig sind, ebenfalls telefonische Morddrohungen erhalten. Sie hatten sich gegen eine Verschärfung der Gesetze gegen Jugendliche ausgesprochen, die Innenminister Manganaro vorantreibt. Am 22. März kam bei der Gewerkschaft der Justizangestellten ein Drohbrief an, der mit »Restaurations-Falange von Neuquén« unterzeichnet war und auf die Militärdiktatur anspielte: »Es lebe der 24. März« - der Tag des Militärputsches 1976. Bei einer weiteren Arbeiterfamilie von Zanon wurde im März ebenfalls eingebrochen. Gestohlen wurde nichts, aber die Täter hinterließen eine verwüstete Wohnung und nahmen Fotos der Kinder mit, die sie Tage später zerschnitten in den Briefkasten der Familie schmissen.

Noch ist unklar, woher genau die derzeitigen Angriffe gegen die ZanonarbeiterInnen kommen, aber alle Hypothesen deuten in dieselbe Richtung: auf die Provinzregierung. Dies gilt auch für die Vermutung, dass der Unternehmer Zanon und die ehemaligen ihm treuen Gewerkschafter dahinterstecken könnten, die schon einmal versucht haben, den Betrieb mit Gewalt »zurückzuerobern«. Auch diese Mafia hat beste Verbindungen zur Provinzregierungspartei MPN.

Si tocan a una, tocan a todas: Gemeint sind wir alle

Nachdem zuerst bekannte Führungspersönlichkeiten bedroht wurden, ist dann mehrfach die Frau eines Arbeiters angegriffen worden, der keinerlei besondere Funktionen in der besetzten Fabrik ausübt. Wenn die Täter damit sämtliche ArbeiterInnen einschüchtern wollten, haben sie sich verrechnet. Bei einem Diskussionstag in der Fabrik über die Vorfälle haben die ArbeiterInnen ihre Einheit und Entschlossenheit bekräftigt. Die Entführte selbst hat sie aufgefordert, auf keinen Fall in ihrem Kampf nachzulassen und sich durch diesen Überfall nicht aufhalten zu lassen.

Diese Entschlossenheit haben am 8. März in Neuquén 5000 Menschen demonstriert. Die entführte compañera ging bei dieser Demonstration in der ersten Reihe. Die CTA (einer der drei Gewerkschaftsdachverbände, der vor allem im Öffentlichen Dienst vertreten ist) hat für diesen Tag in der Provinz Neuquén zu einem Streik mit Mobilisierung aufgerufen. Bei der Demonstration waren neben den ZanonarbeiterInnen und ihren Familien besonders viele LehrerInnen. Unterricht hat an diesem Tag in der Provinz kaum stattgefunden.

In der über tausend Kilometer entfernten Hauptstadt Buenos Aires haben zeitgleich etwa zweihundert Leute zwei Stunden lang die Vertretung der Provinz Neuquén belagert. Nach dem Motto »Wenn sie einen angreifen, sind wir alle gemeint« waren Delegationen von ArbeiterInnen aus verschiedenen Betrieben gekommen. Besonders die ArbeiterInnen der Textilfabrik Brukman wurden mit großem Applaus begrüßt. Brukman und Zanon standen anfangs gemeinsam für den radikalen Flügel der BetriebsbesetzerInnen in Argentinien. Brukman wurde im April 2003 geräumt. Nach acht Monaten im Zelt auf der Straße gelang den ArbeiterInnen die Rückkehr in die Fabrik, mit Hilfe eines peronistischen Anwalts. Die Mehrheit folgte dann seiner Linie: ArbeiterInnen sollen sich um die Produktion kümmern, und nicht um Politik. Nur eine kleine Minderheit ging weiter auf die Straße, z.B. zur Unterstützung der Arbeiter von Zanon - und wurde dafür per Versammlungsbeschluss mit Lohnabzug bestraft. Am 8. März gab es einen Aufruf dieses Anwalts, zur Unterstützung eines anderen von ihm legalisierten Betriebes auf die Straße zu gehen. Die vorübergehende Enteignung der Kooperative Ghelco war juristisch angefochten worden, und ein solcher Präzedenzfall könnte Auswirkungen auf alle anderen »enteigneten« Betriebe haben. Die DissidentInnen von Brukman schlugen daraufhin vor, nach der Ghelco-Demo gemeinsam zu der für Zanon zu gehen - und die Versammlung stimmte zu. So konnten sie am Abend vor der Demo bei einem großen Treffen im besetzten Vier-Sterne-Hotel BAUEN endlich einmal wieder eine Erklärung im Namen der Brukmanbelegschaft abgeben und bei der Demonstration mit großer Gruppe und Transparent erscheinen. Ein kleiner aber wichtiger Schritt auf dem Weg zur immer wieder lautstark beschworenen »Arbeitereinheit« in Argentinien. Die wird zur Zeit vor allem von den ArbeiterInnen der SUBTE, der U-Bahn in Buenos Aires vorangetrieben. Diese haben letztes Jahr, mitten in der Krise, die Wiedereinführung des 6-Stunden-Tages wegen gesundheitsgefährdender Arbeit gefordert und mit Streiks durchgesetzt, gegen den Willen der Gewerkschaftsbürokraten. Am 10. Februar haben sie mit weiteren Streiks eine 44-prozentige Lohnerhöhung erreicht. Das Beispiel könnte Schule machen, denn nach jahrelangen Lohnverlusten tauchen zur Zeit in vielen Betrieben Lohnforderungen auf. Gemeinsam mit den Zanon-Arbeitern und anderen haben die Subte-ArbeiterInnen am 2. April in Buenos Aires ein Koordinationstreffen der antibürokratischen Kräfte organisiert, an dem mehr als tausend delegierte ArbeiterInnen teilgenommen haben.

Die ArbeiterInnen von Zanon sind weiterhin bedroht und können Solidarität gebrauchen. Eine einfache Möglichkeit ist die internationale Online-Unterschriftensammlung, an der sich bereits fast 22000 Leute aus 75 Ländern beteiligt haben:

Für mehr Infos (auf spanisch), für Kontakt zu den ArbeiterInnen von Zanon und Solidaritätsadressen:
www.obrerosdezanon.org
oder schreibt an prensaobrerosdezanon@neunet.com.ar

Ein weiterer Artikel zu Zanon: Zanon gehört den ArbeiterInnen

32seitige Beilage zur Wildcat 68:»Zanon gehört den Arbeitern« [PDF - 1,8Mb]


 
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