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Übersetzung der Rezension des Buchs von Massimo De Angelis, The beginning of history: Value struggles and global capital (Pluto Press, London 2007) in Aufheben Nr. 16/2008

Kampf um Wert oder Klassenkampf?

Einleitung

Nach dem Erfolg der Bücher Empire und Multitude von Hardt/Negri wurde der autonomistische Marxismus in der angelsächsischen Welt auch außerhalb seiner vorwiegend akademischen Kreise populär. Das jüngste autonomistische Werk im linken Bücherregal ist The beginning of history von Massimo De Angelis. The beginning of history ist ein Angriff auf Theorien, die das Kapital als Totalisierung begreifen, und erklärt den Lesenden, dass es jenseits der verdinglichten Kapitalverhältnisse ’Leben‘ gibt – tatsächlich existierende alternative gesellschaftliche Verhältnisse. Mit diesen gesellschaftlichen Verhältnissen experimentieren ’communities‘, ’Gemeinschaften‘, die sich im Zuge von Kämpfen neu gebildet haben, aber auch jede traditionelle Gemeinschaft, die noch nicht vom Kapital subsumiert wurde oder sich dagegen im Widerstand befindet.

The beginning of history ist ein Buch über den Antagonismus und den Kampf gegen das Kapital. Es erzählt uns, dass ein andauernder Konflikt zwischen dem ’Leben‘ und der verdinglichenden Kraft des Kapitals eine Kriegsfront definiert, die das Subsumierte und durch die Marktkräfte zur Ware Gemachte von dem scheidet, was diese ’Gemeinschaften‘ noch immer teilen und kontrollieren – ihre ’Commons‘, ihre Gemeingüter, Allmenden. Um die Schlacht zwischen Einhegungen und Verteidigung der ’Commons‘ herum wird dann ein anhaltender und unauflösbarer Antagonismus zwischen Kapital und Subjekt geschaffen.

Beim ersten Überfliegen wendet sich dieses Buch anscheinend an junge anarchistische und/oder linke Teilnehmerinnen an den jüngsten antikapitalischen Events, wie den Versammlungen und Demos gegen den G8. Es präsentiert leicht zu lesende Anekdoten, in denen De Angelis selbst als Person auftaucht. Das Kind De Angelis beobachtet Demonstrationen vom Balkon in Mailand. Mit den Kindheitserfahrungen gewappnet nimmt der erwachsene De Angelis an Anti-G8-Treffen teil. Das gesellschaftliche Wesen De Angelis verhandelt die Benutzung seiner Küche mit seiner Ehefrau. Diese kleinen Geschichten zielen darauf ab, grundlegende Begriffe (wie die gesellschaftliche Natur von ’Risiko‘, Raum und Wahrnehmung der Zeit) ungebildeten LeserInnen zu erklären, von denen er annimmt, sie hätten keine politische Bildung und seien selbst nicht in der Lage, die Bedeutung ihrer eigenen Erfahrungen zu verstehen.

Doch abgesehen von dieser scheinbaren Öffnung gegenüber den Nichteingeweihten verrät der Stil dieses Buchs die akademische und auf sich selbst bezogene Haltung der heutigen autonomistischen Schriften. De Angelis bestückt sein Buch mit den Begriffen aus dem spinozistischen oder postmodernem Jargon, die in der autonomistischen Clique so sehr in Mode sind, wie ’Telos‘, ’Conatus‘, ’Loops‘, ’Diskurs‘ und ’diskursiv‘ – mehr aus kultureller Loyalität, als dass sie irgendetwas zu seinen Argumenten beitrügen.1 Wir bekommen obskure Wörter wie ’katallaktisch‘ [freie menschliche Marktinteraktion; A.d.Ü.] ins Gesicht geschleudert, die erst einige Kapitel weiter erklärt werden. Ohne Beleg wird sich auf Autoren, die seine vermeintlichen Leser nicht kennen, als Autorität berufen, wie etwa Leontjew. Zu guter Letzt werden freigiebig Schlüsselbegriffe wie ’Entfremdung‘, ’Fetischismus‘ oder ’notwendige Arbeitszeit‘ benutzt, ohne dass sie je erklärt werden. Diese geringschätzige Haltung gegenüber der unerfahrenen Leserin irritiert noch stärker, als sie sich mit den belehrenden Anekdoten nicht verträgt.2

Der Stil des Buches passt zu seinem Inhalt. The beginning of history scheint in erster Linie eine Antwort auf Fragen zu sein, die von autonomistischen Vorläuferautoren aufgeworfen wurden, besonders von Hardt und Negri. De Angelis tritt in eine Debatte mit ihnen ein, beruft sich auf die gemeinsame autonomistische Tradition – eine Tradition, die Subjektivität und Antagonismus betont und die Weigerung, das Kapital und seine Gesetze als objektive Schranken zu akzeptieren. Paradoxerweise war es Negri, der diese Tradition auf den Kopf gestellt hatte mit seiner Vision vom ’Empire‘ als totalisierender Macht, dessen neue Form von Produktion sogar unsere eigene Subjektivität miteinbezieht und definiert.3

Wir haben vor zwei Jahren in unserem Artikel über Multitude gezeigt, dass die Mängel an Hardts und Negris jüngster Entwicklung von ihrer Übernahme und Wiederausarbeitung bürgerlicher Theorien stammen, die angebliche fundamentale Wandlungen im ’späten‘ Kapitalismus abfeiern: wie etwa den Post-Fordismus, die ’gewichtslose Ökonomie‘, die Verschiebung von einer Gesellschaft, die die Individuen despotisch kommandiert, hin zu einer, wo die Individuen die kapitalistische Kontrolle internalisieren oder das Kapital das ’Ende der Geschichte‘ erreicht hat. Negri eignet sich eine große Bandbreite von Texten bürgerlicher Akademiker und Management-Gurus bis zu radikalen Akademikern wie Foucault neu an und schlägt seine eigene Vision der Gegenwart vor, als einer postmodernen Welt, wo die Produktion ’immateriell‘ ist und wo es passender ist, vom ’Empire‘ zu sprechen als von kapitalistischem Imperialismus und von ’Multitude‘ statt von Arbeiterklasse.

Diese Sichtweise war das Ergebnis eines Prozesses. Seit den 1970ern hatte Negri die Theorie aufgestellt, dass der Kapitalismus sich grundlegend gewandelt habe und an die Stelle des Wertgesetzes ein ’Gesetz des Kommandos‘ getreten sei. Von dort lag der Schritt sehr nahe, die Marx‘schen Kategorien alle miteinander für überflüssig zu erklären. Bald erklärte Negri, der Wert und seine Quelle, die abstrakte Arbeit, seien im neuen ’immateriellen‘ Produktionssystem nicht mehr messbar. Autonomistische Marxisten wie De Angelis, Cleaver und Caffentzis übernahmen Negris ’Gesetz des Kommandos‘, versuchten es aber mit Marx in Übereinstimmung zu bringen. Sie akzeptierten, dass der Wert engstens mit Kommando und Disziplin verbunden wurde, beharrten aber darauf, dass die Verwertung sich immer noch auf abstrakte Arbeit gründe.

In The beginning of history geht De Angelis dann zur Offensive gegen Negri über, indem er zeigt, warum die menschliche Tätigkeit, selbst die am meisten ’immaterielle‘, immer noch der Messung durch das Kapital unterliegt. Ein Teil seines Buches fasst Jahre der Arbeit an diesem Thema zusammen. Überzeugend argumentiert De Angelis, dass die immaterielle und ’gewichtslose‘ Produktion die Arbeit als abstrakte Arbeit definiert, und dass die immaterielle Produktion letztlich von der globalen ’materiellen‘ Produktion von z.B. Lebensmitteln oder Kleidung abhängt. Diese Bemühung verdient unserer Ansicht nach Anerkennung.

Mehr Sorgen bereitet De Angelis vielleicht noch, dass Negri kritiklos Theorien übernimmt, die das gegenwärtige System als ein geschlossenes System sehen, ohne ein ’Außen‘. Bei der Neuausarbeitung seiner bürgerlichen und postmodernen Lieblingstheorien stülpt Negri diese einfach um, indem er zu zeigen versucht, warum diese neue Welt einen Silberstreifen am Horizont hat: Gerade aufgrund ihrer Immaterialität definiert die Produktion des Kapitals die Arbeiter als ein potentiell emanzipiertes Subjekt. Folgerichtig findet Negri sich mit dem ’Empire‘ und dessen totalisierender Dynamik ab und besteht darauf, dass wir dabei helfen sollten, das ’Empire‘ durchzusetzen, statt uns seiner Entwicklung entgegenzustellen.4

De Angelis lobt zwar Hardts und Negris Betonung des ’Positiven‘, ihre positive Haltung gegenüber dem ’Empire‘ kann er jedoch nicht akzeptieren. Mit Absicht trägt sein Buch den Titel The beginning of history, gegen die Theorien vom Kapitalismus als Ende der Geschichte5, und es ist ihm wichtig zu betonen, dass das Kapital keine Totalität ist, bis hin zum übersteigerten Extrem, dass er sich weigert, das Wort ’Kapitalismus‘ überhaupt zu gebrauchen (denn der Gebrauch dieses Wortes könnte auf gefahrvolle Weise die Totalisierung anklingen lassen). De Angelis entwirft eine Theorie unseres andauernden Antagonismus gegen das Kapital, ausgehend von anhaltenden Konflikten zwischen ’Gemeinschaften‘ und den Versuchen des Kapitals, deren ’Commons‘ ’einzuhegen‘. Wir können und sollen nicht das ’Empire‘ ’durchsetzen‘, sondern das Leben muss die Oberhand behalten und dieses verdinglichte gesellschaftliche Verhältnis zerstören.

Die Begriffe der commons, der Gemeingüter und der enclosures, also der Einhegungen oder Privatisierung entleiht sich De Angelis aus dem historischen Prozess, der das Kapital etablierte – der mittelalterlichen Vertreibung der Bauern von ihrem Land, wie auch von Sümpfen und Wäldern, die gemeinschaftlich genutzt wurden, und der Schaffung einer Klasse von Enteigneten, dem Proletariat. In den Jahren vor der Veröffentlichung von The beginning of history war De Angelis an The Commoner beteiligt, einem Magazin, das politische Theoretiker dazu einlud, die traditionellen marxistischen Kategorien zu überdenken, und zwar genau in den Begriffen von ’Commons‘ und ’Einhegungen‘. The beginning of history klingt so stimulierend wie sein Magazin. Das Überdenken unserer gewöhnlichen Analyse mithilfe anderer begrifflicher Instrumente kann uns dabei helfen, Aspekte der Wirklichkeit und Grenzen unserer Analyse zu entdecken, die wir nicht bemerkt hätten, wären wir auf dem selben Trampelpfad geblieben.

De Angelis sieht in den Begriffen von Commons und Einhegung eine zentrale Erklärung unseres anhaltenden Antagonismus‘ gegenüber dem Kapital. Während das Proletariat nach den Einhegungen irgendwann gezwungen war, seine Bedingung der Ausbeutung und Enteignung durch den ’stummen Zwang der ökonomischen Verhältnisse‘ zu akzeptieren, waren die Einhegungen ’kristallklare Verhältnisse von Enteignung‘ und gewaltsamer Zerstörung gemeinschaftlichen Lebens. Laut De Angelis war der Antagonismus in diesem Fall klar und kompromisslos, so klar wie die Grenze zwischen dem Kapital und seinem ’Außen‘.

Doch die Einhegungen endeten nicht mit der Vorgeschichte des Kapitals. Für De Angelis sollten Einhegungen als ’Hauptstützen‘ der Macht des Kapitals angesehen werden. Immer mehr muss das Kapital Lebensbereiche in Warenform aufbereiten, aber auch durch Kämpfe geschaffene ’Commons‘ wieder einhegen. Da die Macht des Kapitals das Ergebnis einer Schlacht gegen das antagonistische Subjekt ist, gibt es immer etwas, das man wieder einhegen kann – besetzte Gebäude, freie Raves, sowie Zugeständnisse des Staates an die Arbeiterklasse wie kostenlose Gesundheitsversorgung oder Ausbildung. Auch die Umwelt oder Bauernland können ’eingehegt‘ werden, etwa durch Umweltverschmutzung oder indem ein neuer Damm gebaut wird. Cyberspace und Allgemeinwissen, die vielen Autonomisten so teuer sind, sind (virtuelle?) Räume, die das Kapital ebenfalls einhegen kann. Das alles sind ’Commons‘.

De Angelis sieht die Idee, dass Einhegungen nicht nur extensiv vor sich gehen in Gebieten, die nicht kapitalistisch sind, sondern auch intensiv innerhalb des voll entwickelten Kapitalismus, als einen großen Fortschritt der Theorie.6

Interessanterweise stellt De Angelis klar, dass es bei ’Einhegungen‘ nicht nur um materielle Räume oder Güter geht, sondern um gesellschaftliche Verhältnisse. Jede ’Gemeinschaft‘, sowohl traditionelle als auch um Kämpfe, selbst um traditionelle Streiks gebildete Gruppen, ’experimentieren‘ mit direkten gesellschaftlichen Beziehungen, die sich von Warenbeziehungen unterscheiden und Alternativen dazu darstellen. Deren Einhegung ist eine Wiederdurchsetzung von Marktbeziehungen. Gleichzeitig beraubt uns die Einhegung unserer ’Commons‘ – und seien dies auch nicht unsere Produktionsmittel, sondern ein weit gefasster ’Raum‘, der es uns irgendwie erlaubt, für unsere Reproduktion weniger abhängig von Marktbeziehungen zu sein.

Diese anhaltende Schlacht erklärt, warum es für De Angelis immer ein ’außerhalb‘ des Kapitals gibt: Das Kapital muss ständig einhegen und ständig Antagonismus erzeugen.

Diese Theorie ist neuartig, stimmig und raffiniert. Sie scheint alle radikalen Kämpfe zu umfassen: die Verteidigung besetzter Gebäude, Streiks, Kämpfe gegen die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen, Umweltproteste und, ganz wichtig für die Wirkung auf De Angelis‘ Clique, die Besorgnis der Autonomisten über die Durchsetzung geistigen Eigentums. Doch sie schließt auch die Kämpfe von Bauern und Kleinhändlern gegen die Auswirkungen des globalen Kapitals mit ein – den Bau von Dämmen, die das Land bedrohen, die Bedrohung von kleinen Kaffee- oder Bananenhändlern durch die Konzerne usw. Stolz verkündet De Angelis, seine Begriffe der ’Einhegung‘ und der ’Commons‘ seien in der Lage, die vielgestaltigen Angriffe durch die von ihm so betitelte ’neoliberale Strategie‘ und ’Globalisierung‘ genauso zusammenzufassen wie die jüngsten Klassenkämpfe auf globalem Niveau nach dem Fall der Mauer in Berlin. Zusätzlich zu dieser Einschließlichkeit greift diese Theorie bürgerliche Theoretiker eines ’Endes der Geschichte‘ an und hat in einer klaren Betonung von Subjektivität und Antagonismus ihre gute Grundlage.

Was hat Aufheben dann also zu kritisieren? In vielerlei Hinsicht haben wir eine Menge Gemeinsamkeiten mit De Angelis. Dass er Betonung legt auf die kollektive Aktion, dass er darauf besteht, das Kapital als gesellschaftliches Verhältnis zu verstehen, spricht uns an. Wir stimmen auch zu, wenn er darauf besteht, dass man nur über das Kapital hinausgehen kann, wenn man gesellschaftliche Beziehungen schafft, die eine Alternative zum Markt darstellen. Und nicht zuletzt teilen wir auch seine Zurückweisung von Negri und Hardt und von Theorien der Totalisierung; dieses Thema haben wir letztes Jahr in unserem Artikel über Moishe Postone behandelt.7

Doch gibt es Probleme. Zunächst ist De Angelis‘ Idee, dass die antagonistische Klasse sich selbst ’außerhalb‘ des Kapitals identifiziere, um Orte herum, die das Kapital noch nicht ’eingehegt‘ hat, etwas zu vereinfachend. Einerseits sehen wir, dass diese Sichtweise mit dem traditionellen Thema der Autonomisten übereinstimmt – der Betonung eines revolutionären Subjekts, das sich selbst autonom (und eindeutig) gegen das Kapital definiert. Andererseits können wir jedoch sehen, dass unsere kollektive Identifikation als das revolutionäre Subjekt nur das Ergebnis eines Prozesses sein kann, in dem ’innen‘ und ’außen‘ ein Wechselspiel eingehen und einander Bedeutung verleihen (Abschnitt 1).

Aber es gibt noch ein zweites Problem. De Angelis‘ Theorie konzentriert sich auf ’Einhegungen‘ als ’Stützpfeiler‘ der Dynamik des Kapitals und verwirft die Zentralität der kapitalistischen Produktion. In Abschnitt 2 werden wir sehen, warum die Sphäre der Produktion im Kapital und die Sphäre der Zirkulation, der Markt, zwei Aspekte des Kapitals darstellen, die in ihrer Gegensätzlichkeit betrachtet werden müssen. Und wir werden sehen, nur wenn wir die Sphäre der Produktion als etwas von der Sphäre der Zirkulation Verschiedenes betrachten, können wir das Geheimnis hinter dem Kapital als ’einem gesellschaftlichen Verhältnis‘ enträtseln – es ist ein materielles Verhältnis zwischen einer Klasse von Individuen, die fortwährend enteignet werden, und einer anderen Klasse, die ihre Macht und ihren Reichtum auf diesen Prozess stützt. Dann kehren wir zurück zu De Angelis‘ Buch und werden sehen, dass es die hellsichtige und kohärente Fortführung eines Denkprozesses ist, der die Autonomia dazu brachte, das Kapital auf die Sphäre der Zirkulation zu reduzieren. Außerdem werden wir zeigen, dass diese Reduktion bedeutet, den Standpunkt des Proletariats durch die universellere Sichtweise des bürgerlichen Individuums zu ersetzen.

Schließlich werden wir in Abschnitt 3 sehen, dass die wichtigste Auswirkung dieser Theorie darin besteht, dass sie in Abstraktion und Moralismus endet und Leuten wie uns, die selber an Kämpfen beteiligt sind, nichts Neues zu sagen hat.

Außen und innen

1.1 Vom Arbeiter zum Commoner

InThe beginning of history ist die Theoretisierung der ’Commons‘ und der ’Einhegung‘ ganz zentral die Theoretisierung der Wurzeln der revolutionären Subjektivität. Nach De Angelis können wir uns nur als ein Subjekt gegen das Kapital identifizieren, weil es ein ’Außen‘ gibt, etwas, das nicht Kapital ist. Es gibt ein Common, das das Kapital noch nicht eingehegt hat, und eine Gemeinschaft auf der Grundlage von Beziehungen, die nicht jene des Marktes sind. Das ist die Grundlage für unsere positive Identifikation, autonom vom Kapital.

Mit The beginning of history geht De Angelis einen weiteren wichtigen Schritt im allgemeinen autonomistischen Projekt der Theoretisierung der ’Autonomie‘ des revolutionären Subjekts und seiner positiven Bestätigung gegen das Kapital.

Dieses Projekt war das Kind des historischen Augenblicks, aus dem die Autonomia in den 1970ern entstand. Das war ein revolutionärer Augenblick für die italienische Arbeiterklasse. Diejenigen, die an Kämpfen in Schlüsselindustrien teilgenommen hatten, hatten ein Bewusstsein ihrer kollektiven Macht erlangt. Der Klassenkampf hatte den Schleier des Warenfetischismus aufgelöst, der ’objektiven‘ ökonomischen Notwendigkeiten: Es gab nichts Notwendiges oder Objektives, es war ganz klar eine Frage direkter politischer Konfrontation zwischen Klassen. In der Aufregung der Zeit wurden Theorien, die die Dynamik des Klassenkampfs Krisen und anderen objektiven Mechanismen des Kapitals unterordneten, als unzureichend enthüllt: Es gab das Bedürfnis nach einer Theorie, die klar sehen und erklären konnte, dass die Arbeiterklasse die Macht hatte, der Bourgeoisie ihren autonomen Willen aufzuzwingen.

In diesem Kontext machte Negris Zurückweisung des Wertgesetzes Sinn. Die Klasse hatte die Geschichte zu einem Punkt vorangetrieben, an dem die Objektivierung des Kapitals erschüttert worden war und die Bourgeoisie gezwungen, ihren Willen auf einer ausdrücklich politischen Ebene durchzusetzen – das Wertgesetz wurde ersetzt durch das ’Gesetz des Kommandos‘. Doch nach der Niederlage dieser Kämpfe ergab die Verabschiedung vom Wertgesetz langsam weniger Sinn. Aber auch die Betonung eines gegenüber dem Kapital antagonistischen Subjekts wurde problematisch.

Die ursprüngliche Theorie der Autonomia von einer Klassen‘autonomie‘ sah diese Autonomie nicht als Ergebnis eines Prozesses, sondern als etwas absolut Wahres, das es immer gab. Und deshalb musste die Autonomia, als der Klassenkampf der 1970er geschlagen war, ein großes Rätsel lösen: Sie musste herausfinden, wo das ’autonome‘ Subjekt geblieben war.8 Seit damals war die Geschichte der Autonomia die Geschichte der Suche nach der jüngsten ’Neuzusammensetzung‘ der Klasse, nach dem neuen (versteckten) ’Subjekt‘, das sich selbst eindeutig gegen das Kapital identifiziert.

Als jedoch die potentiell revolutionären Zeiten zuende waren, bestand das Problem darin, die Grundlage für eine solche eindeutige Bestätigung zu finden. Angesichts der allgemeinen Armut der konkreten Erfahrung mit Kampf und Macht versucht Negri, ein eindeutiges und antagonistisches Subjekt direkt auf Aspekte der Kapitalproduktion selbst zu gründen: mit Aspekten der ’immateriellen‘ Produktion verbundene Fähigkeiten und Tätigkeiten.9 Die kapitalistische Produktion selbst wird als ein Fetisch angesehen, der das Geheimnis unserer revolutionären Subjektivität enthalte – Negri fetischisiert die Produktion so weitgehend, dass er erklärt, warum Tätigkeiten oder Fähigkeiten in der immateriellen Produktion von Natur aus, aufgrund ihrer eigenen ’Immaterialität‘, anti-kapitalistisch sind. Indem er die Begriffe ’Commons‘ und ’Einhegungen‘ benutzt (das scheint gerade in Mode zu sein10), verlegt Negri sich darauf zu sagen, dank den der immateriellen Produktion innewohnenden Eigenschaften produzieren wir ’gemeinsam‘ und außerhalb der Kontrolle durch das Kapital, doch dann kommt das Kapital und ’hegt ein‘, was wir produziert haben. Die traurige Wahrheit ist jedoch, dass die immaterielle Produktion durch die kapitalistische Produktion bestimmt ist, und somit sowohl deren Produkt als auch die ’subjektiven‘ Aspekte der Produktion.

Als gewissenhafter Schüler der Autonomia beteiligt sich De Angelis an dieser Suche nach einer eindeutigen Bestimmung des antagonistischen Subjekts. Er versteht jedoch, dass Negris Fetischismus der immateriellen Produktion zur logischen Folge hat, dass das Kapital eine konstitutive Totalität ist. Es reicht nicht zu sagen, dass eine Tätigkeit ’gemeinsam ausgeübt‘ wird, wenn sie immer noch innerhalb der gesellschaftlichen Verhältnisse des Kapitals definiert wird und einen integralen Bestandteil der kapitalistischen Produktion bildet. Dass De Angelis‘ darauf besteht, tatsächliche gesellschaftliche Verhältnisse zu betrachten, besonders Kampfverhältnisse, ist seine auf einer klaren Einsicht in dessen Sackgasse beruhende Antwort auf Negri – eine Antwort, die wir weitgehend teilen.

1.2 Sind die Commons wirklich außerhalb?

Obwohl wir mit De Angelis darin übereinstimmen, dass Antagonismus und Subjektivität durch den Kampf als tatsächliche gesellschaftliche Verhältnisse realisiert werden, haben wir Probleme mit seinen Begriffen ’außen‘ und ’Commons‘.

De Angelis besteht auf einem klar abgegrenzten ’Außen‘, aber das ist die Antwort auf eine falsche Fragestellung. Die Betonung des ’Positiven‘ (unsere Autonomie vom Kapital) durch die Autonomisten rührt von einer Reaktion auf Theorien, die das ’Negative‘ (dass wir Teil des Kapitals sind) betonen, einer Reaktion auf eine Sicht des Kapitals als objektivierter Maschine mit eigener, von uns unabhängiger Dynamik. Eine solche Sichtweise sieht die Arbeiterklasse und ihre Subjektivität als Zahnräder dieser Maschine.

Und das ist dann das Dilemma: Sobald die Arbeiterklasse [working class] Arbeit [labour] für das Kapital ist und ihre Klasseninteressen auf der Ebene des Lohns betrachtet, wie kann sie dann je ein revolutionäres Bewusstsein entwickeln, das über den Kapitalismus hinausweist? In unserem Artikel zu Moishe Postone letztes Jahr argumentierten wir, dass ein solches Dilemma auf einem grundlegenden Fehler beruht: In einer derart abgeschlossenen Sichtweise wird die Arbeiterklasse [working class] als Arbeit [labour] betrachtet, die bereits unters Kapital subsumiert ist – diese Abstraktion schneidet aber den Klassenkampf ab: den konkreten Prozess der Subsumierung und unseren Widerstand dagegen. Indem wir an den konkreten Aspekten des Klassenkampfs festhielten, zeigten wir in diesem Artikel, wie das Subjekt aus dem Inneren der täglichen Verhältnisse von Lohnarbeit und Tausch tatsächlich als ein antagonistisches Subjekt hervorgehen kann. Und somit sahen wir, dass das Dilemma des Kapitals als Totalität ein unnötiges Problem ist.

The beginning of history will eine optimistische und radikale Antwort auf dieses Dilemma geben, aber der Autor akzeptiert die Grundvoraussetzung, dass die Arbeit innerhalb der Lohnarbeitsverhältnisses, unter dem ’stummen Zwang der ökonomischen Verhältnisse‘ ein für allemal unter das Kapital subsumiert ist. Er muss daher außerhalb des Kapitals

nach etwas suchen, das noch nicht ’eingehegt‘ ist. Wenn wir jedoch bedenken, dass das Kapital die Arbeit [labour] immer als Nicht-Kapital setzen und daher kämpfen muss, um sie zu subsumieren, erkennen wir De Angelis‘ Schwerpunktlegung auf den ’Einhegungen‘ als die Auflösung eines falschen Dilemmas, da das Kapital uns niemals völlig ’einhegen‘ kann!

Im Gegenteil stellt De Angelis‘ Betonung der ’Gemeinschaft‘ als ’Außen‘ eine unnötige Vereinfachung dar. Aber Beispiele, die er anführt, muss er gleich wieder relativieren. Traditionelle Familienbeziehungen sind unter das Kapital subsumiert, und oft verkehren sich ihre direkten Beziehungen in Mittel zu direkter und despotischer Ausbeutung. Gemeinschaften in den Entwicklungsländern machen zunehmend saisonale Lohnarbeit und Handel zur Grundlage für ihr Überleben. Kämpfende Organisationen verwickeln sich in alle möglichen Arten von Kompromissen mit Markt und Staat, werden zu Genossenschaften und NGOs. Die Einzelnen, die an besetzten Häusern und anderen städtischen Kämpfen teilnehmen, brauchen immer noch den Markt, um sich zu reproduzieren. De Angelis‘ Schwerpunkt auf einem sauberen ’Außen‘ bringt ihn dazu, die Existenz einer verwirrenden psychopathischen Spaltung zuzugeben: Es ist wahr, dass wir uns außerhalb befinden, wenn wir es in Familie, Gemeinschaft und Freundeskreisen mit direkten gesellschaftlichen Beziehungen zu tun haben, aber wir sind ’auch‘ innen. De Angelis beschreibt eine Kollision der ’Werte‘ innerhalb des Individuums aufgrund dieser doppelten Erfahrung.

Ganz ähnlich ist De Angelis‘ Begriff der ’Commons‘ als etwas, das das Kapital noch nicht ’eingehegt‘ hat, eine Abstraktion, die nach Relativierung schreit, sobald er sie auf wirkliche Beispiele anzuwenden versucht. Wenn er Commons begrifflich als etwas zu fassen versucht, das das Kapital nicht ’eingehegt‘ hat, endet er bei Absurditäten. Einerseits nennt er das staatliche Gesundheitswesen Großbritanniens, das AktivistInnen vor der ’Einhegung‘ durch die Privatisierung zu schützen versuchen, ein ’Common‘. Andererseits stimmt er mit Foucault überein, dass vom Staat betriebene Krankenhäuser Instrumente des Kapitals zur Kontrolle unseres Körpers und Bewusstseins sind – wie können sie also ’Commons‘ sein?11

Natürlich liegt ein Stück Wahrheit darin. Es trifft zu, dass sich die kapitalistischen Tauschbeziehungen immer mit direkten Beziehungen überlappen, und dass diese einen notwendigen menschlichen Hintergrund für Solidarität bilden. Jedes gesellschaftliche Milieu innerhalb des Kapitals, einschließlich des Arbeitsplatzes und der Schule, umfasst widersprüchlicherweise sowohl kapitalistische Konkurrenzbeziehungen als auch direkte Freundschaftsbeziehungen – und tatsächlich sind Schule oder Arbeit für viele Leute eine sehr wichtige Form unmittelbarer sozialer Beziehungen.12 Doch das Kapital koexistiert mit direkten sozialen Beziehungen, und oft subsumiert es sie. Keine Freundschafts- oder Familienbeziehung hat je das Kapital bedroht, nur weil es eine direkte, nichtkapitalistische Beziehungen war.13

Im nächsten Abschnitt werden wir sehen, dass diese Sackgasse daher kommt, dass De Angelis seine abstrakte Idee der ’direkten Beziehungen‘ zum Fetisch erhebt, diese als bereits bewusst außerhalb stehend annimmt und sie folglich so abfeiert, wie sie sind.

1.3 Die Phänomenologie des revolutionären Subjekts

Eine eng mit der sauberen Trennung in ’außen‘ und ’innen‘ verknüpfte zweite Abstraktion besteht darin, dass Einhegungen, im Unterschied zu Lohnarbeitsverhältnissen, als klare Ausbeutungsverhältnisse erscheinen und deutlichen Antagonismus erzeugen. Und wieder schreit diese Abstraktion jedes mal, wenn wir an die Realität denken, nach Relativierungen.

Zunächst ist De Angelis‘ Erzählung von den historischen Einhegungen die Vereinfachung eines Prozesses, der Jahrhunderte dauerte und sehr unterschiedlich und komplex verlief. In Großbritannien wurden Einhegungen oft von den mächtigsten Mitgliedern der ’Gemeinschaft‘ selbst begonnen, den Yeomen14. Die Tatsache, dass die ’Gemeinschaft‘ immer noch Wälder und Marschen als Allmenden miteinander teilte, hielt sie nicht davon ab, sich einem Prozess der Auflösung und Polarisierung in Bauernkapitalisten und ländliche Lohnarbeiter zu unterziehen.

Wenn wir die Geschehnisse während der Einhegungen betrachten, ohne sie zu romantisieren, sehen wir, dass der Begriff der ’Commons‘ uns nicht erklärt, was vor sich ging. Während des Prozesses der historischen Einhegungen bestimmte die schlichte Tatsache, dass man Commons miteinander geteilt hatte, die ’Gemeinschaft‘ nicht als Einheit und konstituierte das Kapital nicht als klaren Feind von außen. Was in diesem Prozess wirklich zählte, waren die gesellschaftlichen Verhältnisse: die materiellen (und Klassen-)Interessen der Einzelnen, die an dem Prozess beteiligt waren, und wie diese sich veränderten. Und das trifft auch für die Gegenwart zu. Ganz wie die historischen Einhegungen weisen die modernen ’Commons‘ all die Probleme und Widersprüche der historischen Commons auf. Wie damals können wir kein ’Common‘ zum Fetisch erheben, weil es das Geheimnis der Solidarität und Kameradschaft im Kampf in sich berge. Wie ein Kampf ausgetragen wird, und wie wahrscheinlich es ist, dass er wieder integriert wird, hängt von den sozialen Beziehungen der Beteiligten ab.

So lautet Marx‘ Rezept in Die Deutsche Ideologie dafür, eine Analyse der Realität vorzunehmen, ohne in Idealismus zu verfallen: die ’wirklichen Menschen und ihren Verkehr‘ betrachten.15

Die sozialen Beziehungen zu betrachten bedeutet, die ganze Art und Weise zu betrachten, wie wir interagieren. Das umfasst auch die Aspekte unserer Beziehungen, die sich ’innerhalb‘ des Kapitals befinden. Tatsächlich sind unsere Beziehungen ’innerhalb‘ des Kapitals entscheidend für unsere Solidarität untereinander und unsere Opposition gegen das Kapital. Nehmen wir z.B. Kämpfe wie die der Diggers16, die sich eingehegte Commons wieder anzueignen versuchten. Die Diggers kehrten zu den enteigneten Ländereien nicht als Yeomen oder Bauern zurück, wie sie in den vorkapitalistischen Verhältnissen außerhalb des Kapitals definiert waren. Ihre Identität war eher, und das war entscheidend, durch ihre Erfahrung als Enteignete und Ausgebeutete geschmiedet worden, durch ihre politische und kämpferische Beteiligung am Bürgerkrieg, durch ihren Traum von einer Veränderung der Welt und den darauf folgenden Verrat an der Revolution durch Oliver Cromwell. Es war keine alte Beziehung zum Land, sondern ihr neues und komplexes Verhältnis zum Kapital, das die Diggers zu Gleichen und Genossen machte.

Zu jedem Zeitpunkt der Geschichte des Klassenkampfs im Kapitalismus ist es unser Verhältnis zum Kapital als entfremdete und ausgebeutete Klasse, aus dem das Potential dafür entsteht, dass wir das Kapital als unseren Feind erkennen. Ein freier Rave oder ein besetztes Haus stellen nicht nur eine Schlacht um ein Common dar. Für die an derlei Aktivitäten beteiligten Proletarier sind kostenlose Events und eroberte städtische Räume Kampfansagen an die Regel, dass wir für einen Lohn arbeiten müssen, um uns das leisten zu können, was wir brauchen. Kampfansagen an die bürgerliche Wahrheit, dass jede vorstellbare Form von Tätigkeit die Form einer entlohnten Tätigkeit annehmen muss und der Gebrauch von Dingen die ’natürliche‘ Form des Konsums von Waren. Ganz ähnlich ist ein Kampf gegen die Privatisierung des National Health Service nicht einfach ein Kampf zur Verteidigung eines ’Gemeinguts‘ außerhalb des Kapitals, sondern ein Kampf zur Verteidigung des gesellschaftlichen Lohns.17

Es ist wahr, dass dieses Verhältnis zum Kapital ein negatives Moment darstellt. Dieses negative Moment erfordert jedoch ein positives Moment: Unser Potential, das Kapital als Feind zu identifizieren, kann sich nur verwirklichen, wenn wir uns seiner bewusst werden. Wie? Wir können das Kapital nur dann als unseren Feind erkennen, wenn wir uns bewusst werden, dass wir selbst das antagonistische Subjekt sind. Doch dieses Bewusstsein ist zu Beginn eines Kampfs oder einer Bewegung nicht sofort vorhanden. Es kann nur aus den im Kampf geschaffenen direkten Beziehungen entstehen, aus unserer Erfahrung der Solidarität, unserer Eroberung von Macht usw.

Das ist ein dialektischer Prozess, bei dem das Positive und das Negative einander benötigen. Einerseits haben wir nur eine Chance, das Kapital als Feind zu identifizieren, weil wir die entfremdete und ausgebeutete Klasse sind. Das ist das negative Moment (davon Arbeitskraft [labour] im Kapital zu sein und dagegen zu reagieren). Andererseits brauchen wir das positive Moment, die Erfahrung des Kampfs, um unser Bewusstsein vom Antagonismus zu realisieren. Das ist das positive Moment (die Erkenntnis, ein ’autonomes‘ Subjekt zu sein, das gegen das Kapital ist).18

Das Problem mit De Angelis wie mit dem gesamten autonomistischen Denken besteht darin, dass sie keine besonders guten Dialektiker sind. Sie tauchen einfach kopfüber mitten in den faszinierenden, aber einseitigen Aspekt des Klassenkampfs als purem positiven Moment und machen einen Fetisch daraus. Aber indem sie das tun, sehen sie nicht, dass sie eine abstrakte Idee zum Fetisch machen, nämlich, dass ’direkte gesellschaftliche Beziehungen‘ sofort ’außen‘ seien. Das Ergebnis ist eine schizophrene Sicht von ’Gemeinschaften‘ und Individuen, deren notwendige Aspekte des ’innen‘ und ’außen‘ als zwei getrennte Welten nebeneinander her existieren.

Auf die gleiche Weise, wie De Angelis auf einer klaren Trennung von ’innen‘ und ’außen‘ besteht, trennt er auch logisch den Prozess der Enteignung als ’Einhegungen‘ vom Prozess der Durchsetzung von Disziplin durch ’den Markt‘. Im nächsten Abschnitt werden wir diese Trennung untersuchen.

2. Produktion und Zirkulation

2.1 Die zwei Sphären des Kapitals

Bei der Darlegung seiner Konzepte von Einhegung und Commons benutzt De Angelis viele aus dem Zusammenhang gerissene Zitate von Marx, um nahezulegen, dass Marx mit der Betonung auf den Einhegungen als wichtiger ‘Stütze des kapitalistischen Regimes’ einverstanden wäre. Tatsächlich aber hat Marx den Versuchen anderer Ökonomen widersprochen, die ‘Funktionsweise’ des Kapitals auf der Grundlage seiner historischen Entstehung zu erklären. Zum Beispiel schrieb er in den Grundrissen:

»Es wäre also untubar und falsch, die ökonomischen Kategorien in der Folge aufeinander folgen zu lassen, in der sie historisch die bestimmenden waren. Vielmehr ist ihre Reihenfolge bestimmt durch die Beziehung, die sie in der modernen bürgerlichen Gesellschaft aufeinander haben und die gerade das umgekehrte von dem ist, was als ihre naturgemäße erscheint oder der Reihe der historischen Entwicklung entspricht. Es handelt sich nicht um das Verhältnis, das die ökonomischen Verhältnisse in der Aufeinanderfolge verschiedener Gesellschaftsformen historisch einnehmen.« (Grundrisse, Einleitung, Dietzverlag 1953 S. 28)

Warum ist es so wichtig nicht in die Falle zu tappen, das Kapital anhand seiner historischen Entwicklung neu zu interpretieren? Was verpassen wir, wenn wir es tun? Wir verpassen es, die besondere Dynamik des Kapitals zu verstehen, einen Mechanismus, der unsere Enteignung auf eine Art reproduziert, die wie das Ergebnis eines ‘stillen ökonomischen Zwangs’ aussieht. Wir haben gesehen, dass De Angelis’ Buch Überlegungen zu diesem Prozess vermeidet, als sei er weniger interessant. Lieber betont er die Einhegung als den fundamentalen Enteignungsmechanismus im Kapital – denn wenn sie genug romantisiert wird, erscheint sie als klar antagonistischer Prozess.

Es stimmt, dass das Kapitalverhältnis sich aufgrund der durch die Einhegungen verfügten Enteignungen durchsetzte und dass diese Enteignung heute noch Wirklichkeit für die Arbeiterklasse ist – aber sie besteht innerhalb des etablierten Kapitalismus in neuer Form weiter.19

Nach den historischen Einhegungen hat sich das Kapital als ein System mit zwei einander entgegengesetzten Aspekten oder ‘Sphären’ durchgesetzt, die sich aber gegenseitig bedingen. Die eine ist die Sphäre der Zirkulation – der Markt. In dieser Sphäre sind wir alle Individuen die durch den Tausch von Waren verbunden sind. In dieser Sphäre sind wir alle absolut (und abstrakt) frei. Im Tausch gibt es kein direktes Kommando von einer Person über die andere; es gibt nur die unpersönliche Herrschaft der Marktgesetze – objektive Auflagen an unsere Freiheit, die zu den Waren selbst gehören. In der Sphäre der Zirkulation gibt es keine Klassen, nur Individuen, theoretisch alle gleich und auf gleiche Weise diesen unpersönlichen Gesetzen unterworfen. Und, was sehr wichtig ist, es gibt in dieser Sphäre keine Enteignung, weil wir alle gleiche Werte tauschen.20

Diese Sphäre der Freiheit und Gleichheit ist nur ein Aspekt des Kapitals. Der andere Aspekt ist die Sphäre der Produktion, die Sphäre der Despotie und Ungleichheit. Die kapitalistische Produktion beginnt und endet mit der Enteignung des Proletariats. Weil wir keinen Zugriff auf Produktionsmittel haben, können wir nur unsere Arbeitskraft verkaufen – das heißt, wir können nur anbieten, für die zu arbeiten, die die Produktionsmittel besitzen.

Indem wir für einen Lohn produzieren, gehört was wir produzieren nicht uns, sondern es wird als Kapital produziert, eine Macht, die uns als Feind entgegensteht. Nur eine Produktion, die darauf abzielt, Waren gegen einen Lohn zu schaffen, kann dann Kapital als Wert schaffen, der sich selbst auszudehnen scheint, ausgehend von unserer Ausbeutung.

Weil wir unsere Arbeitskraft für einen Lohn verkaufen, sind wir entfremdet und abgetrennt: nicht nur von den Dingen, die wir produzieren, sondern auch vom Grund, weshalb wir sie produzieren, von den Ideen, auf denen die Produkte basieren und davon, wie die Produktion organisiert ist. Innerhalb dieses Entfremdungsprozesses wird also jegliche menschliche Tätigkeit, einschließlich technischer und künstlerischer Kreativität, letztendlich zum Teil einer fremden Kraft. In einer ontologischen Umkehrung werden wir nichts, während das Kapital uns als das fremde Resultat menschlicher Kreativität und Produktivität gegenübersteht.

Die besondere Art, auf die wir heute produzieren und die identisch ist mit der Art, auf die wir tagein tagaus enteignet werden, hat wichtige subjektive Aspekte. Ein Aspekt ist die Art, wie wir Enteignung erleben, oder besser, die materielle Entfremdung, die zum Prozess der Warenproduktion gegen einen Lohn gehört. Das ist das Ziellose, Langweilige, sich Wiederholende an der Lohnarbeit. Ziellosigkeit ist dasselbe wie die Tatsache, dass uns fremd ist, was wir produzieren, und somit dasselbe wie die Tatsache, dass wir für einen Lohn arbeiten.

Es gibt einen zweiten, damit zusammenhängenden subjektiven Aspekt. Trotz der Management-Illusionen des Toyotismus und anderem Geschwätz von ‘Teilnahme’ ist es eine Tatsache für die Kapitalistin, dass sie nicht auf das Interesse der Arbeiter an der Produktivität ihres Geschäfts zählen kann. Weil wir Aktivitäten ausüben müssen, die für uns nutzlos sind, und die nicht einmal einen Tauschwert herstellen, der uns gehört, impliziert die kapitalistische Produktion die Disziplinierung der Arbeiter. Diese Disziplin kann nicht vollständig internalisiert werden, da wir aus der Arbeit keinen Gewinn ziehen, außer einem Lohn.21 Deshalb muss diese Disziplinierung direkt sein, und deshalb sind Zwang und Despotie in der Produktion die andere Seite der Freiheit und Gleichheit im Markt.

Die Sphäre der Produktion beinhaltet somit den unausweichlichen Antagonismus zwischen ‘Kapital’ und ’Arbeit‘, ein dem Kapitalismus innewohnender Widerspruch. Dieser Antagonismus ist nicht einer zwischen ‘Menschen’ und einem abstrakten Feind, dem ‘Kapital’, und nicht nur eine Frage von Individuen, die auf ‘Disziplin’ reagieren, sondern ein konkreter Antagonismus zwischen Klassen.

Die Sphäre der Produktion zeigt, dass die Gesellschaft nicht aus Gleichgestellten besteht. Eine Klasse, das Proletariat, wird enteignet und reproduziert diese Enteignung durch das Verhältnis der Lohnarbeit. Eine andere Klasse besitzt (und/oder kontrolliert22) die Produktionsmittel und sieht ihren Reichtum und ihre Macht in der Ausdehnung und Macht des Kapitals reflektiert.

Marx’ Leistung war es zu zeigen, wie die Sphären der Produktion und Zirkulation, die so entgegengesetzt scheinen, in Wirklichkeit zwei Aspekte desselben Systems sind und einander brauchen. In der Produktion schaffen wir eine Warenwelt, die fremd ist: sie steht uns nicht zu, außer wir bezahlen für jedes Gut, das wir brauchen, und so zwingt sie uns immer und immer wieder, für unsere Reproduktion einen Lohn zu verdienen. So füttern sich die zwei Sphären des Kapitals gegenseitig in einem Teufelskreis.

Indem wir Waren für einen Lohn herstellen, reproduzieren wir die materiellen Umstände, die uns zwingen, den Markt und seine Gesetze als ‘natürlich’ und objektiv anzusehen. Weil wir andererseits die Freiheit zum Kaufen und Verkaufen haben, können wir nur unsere Arbeitskraft verkaufen und das Kapital füttern.

Die Verteilung von Reichtum und Privilegien im Kapitalismus ist also nicht das Resultat einer Zufälligkeit des Marktes, wo einer mehr Pech hat als ein anderer: die Macht des Kapitals basiert auf einer Produktion, die mit der systematischen Enteignung einer Klasse beginnt und endet. Dass der Markt allen Individuen die gleichen Möglichkeiten biete, und dass die Verteilung von Reichtum und Privilegien in der Gesellschaft aus dem Wettbewerb zwischen freien und gleichen Individuen auf dem Markt resultiere, ist bürgerliche Ideologie.

Jetzt verstehen wir, warum Marx eine Unterscheidung zwischen der Sphäre der Zirkulation und der Produktion gemacht hat: um zu zeigen, dass das Kapital kein System bürgerlicher Individuen ist, sondern ein materielles soziales Verhältnis zwischen Klassen, und dass diese systematische Enteignung auf einem besonderen Mechanismus des Kapitals basiert, der sich von jeder anderen. vergangenen Form der Enteignung und Klassenherrschaft unterscheidet – und eins ist mit unserer Art zu produzieren.

2.2 Von der Sphäre der Produktion zur Sphäre der Zirkulation: Der Denkprozess der Autonomia

Trotz Marx’ Interesse an der Sphäre der Produktion impliziert seine Theorie an sich keinen ‘operaistischen’ Zugang. Bei ihm besteht das Proletariat nicht nur aus den Individuen, die tatsächlich arbeiten! Das Proletariat besteht aus allen Enteigneten, einschließlich derer, die aus dem einen oder anderen Grund keine Arbeit haben. Diese Theorie konzentriert sich auch nicht unbedingt darauf, was am Arbeitsplatz passiert. Das Kapital drückt außerhalb des Arbeitsplatzes seine Logik durch, nach der man nichts bekommen kann, ohne etwas Gleichwertiges dafür einzutauschen, und die vielen unproduktiven Tätigkeiten die Form der Lohnarbeit aufzwingt.23 Für jede Einzelne von den Enteigneten, nicht nur für die mit Jobs, ist die Welt eine fremde Welt, die ihre Machtlosigkeit widerspiegelt. Der subjektive Aspekt des Kapitals ist also eine Erfahrung, die von der Klasse als ganzer geteilt wird.

Aber viele politische TheoretikerInnen haben sich in den 70er Jahren besonders auf produktive ArbeiterInnen konzentriert. Am Ende der 60er, als die großen Kämpfe bei FIAT in Italien ihren Höhepunkt erreichten, waren die Gründer der Autonomia Teil der politischen Strömung des Operaismus, die den Marxismus in ein Feiern der Macht der industriellen Arbeiterklasse gegenüber dem Kapital verwandelte. Teil davon war es, die Macht der FIAT-ArbeiterInnen zu fetischisieren, die sich durch den Kampf gebildet hatte: einfach nur Arbeiter an einem produktiven Arbeitsplatz zu sein, wurde als etwas angesehen, das besondere Bedeutung für den Klassenkampf hatte.24

Gegen Ende der 70er Jahre, als die Arbeitsunruhen in Italien unterdrückt wurden und der Klassenkampf sich von der Fabrik auf die Straße verlagerte, machte es Sinn für die Autonomia, die Ideologie des Operaismus über den Arbeitsplatz auszudehnen, um die Straßenkämpfe als ‘Klassenkämpfe’ und die ganze Gesellschaft als Fabrik bezeichnen zu können. Aber wozu war es gut, die ganze Gesellschaft als ‘gesellschaftliche Fabrik’ zu bezeichnen? Für den alten operaistischen Ideologen, dessen Herz vor den ‘Fabriken’ schlägt, war es absolut relevant, die Gesellschaft eine ‘Fabrik’ zu nennen.25

Paradoxerweise haben die Bemühungen, die Gesellschaft als Fabrik zu theoretisieren, die Autonomia dazu geführt, die kapitalistische Produktion auszublenden. Um ‘Produktion’ auf die gesamte Gesellschaft auszuweiten, musste man sie auf die Aspekte reduzieren, die sowohl mit, als auch ohne Warenproduktion und Lohnverhältnis existieren. Diese Aspekte sind die subjektiven Aspekte der kapitalistischen Produktion – ihre Sinnlosigkeit und Despotie. Indem man diese subjektiven Aspekte außerhalb ihres Kontextes betrachtete, konnte das Konzept der ‘Produktion’ auf die ganze Gesellschaft ausgeweitet werden, nämlich als jegliche Aktivität, die unter ‘Disziplinierung’ und Befehl erzwungen wird. Das würde die Regimes an Schulen, Krankenhäusern, Gefängnissen, in der patriarchalischen Familie etc. einschließen. Natürlich vergaß die Autonomia die Fabrik nicht! Aber die Fabrik war nun nur noch eine von vielen Disziplinierungsstätten innerhalb der gesellschaftlichen Fabrik.

Mit dieser abstrakten Betrachtung von Disziplin wurde Marx’ Analyse der Produktion im Sinne von Wert und produktiver Arbeit etwas problematisch; und das führte zu einer theoretischen Trennung innerhalb der Autonomia.

Auf der einen Seite stellte Negri seine Behauptung in den Vordergrund, dass es keinen Sinn mache, die Wertschöpfung im Blick zu behalten oder Arbeit als produktive Arbeit zu analysieren. Für ihn war die Antwort einfach: in der gesellschaftlichen Fabrik ist jegliche Aktivität, die unter Disziplinierung ausgeübt wird, gleichermaßen wichtig fürs Kapital und seine Macht; und der Wert war einfach ein Ausdruck der Macht des Kapitals, uns zu kontrollieren.

Andere Autonomisten, unter ihnen De Angelis, wiesen Negris ’Gesetz des Kommandos‘ nicht zurück, wollten aber auch Marx und das Wertgesetz nicht aufgeben. Der einfachste Weg, Negri an Bord zu behalten ohne Marx zu gefährden, war die Verwendung des magischen Alleskleberwortes ‘auch’:

»Der ultimative Gebrauchswert der Arbeit … ist ihre Rolle als das wesentliche Mittel kapitalistischer gesellschaftlicher Kontrolle… Aber der Gebrauchswert von Arbeitskraft für das Kapital ist auch die Fähigkeit, Wert und Mehrwert zu produzieren.«26

Aber ‘auch’ war nicht genug. Als nächstes kamen die akrobatischen theoretischen Tricks, die das Gesetz des Kommandos und die gesellschaftliche Fabrik mit Marx unter einen Hut zu bringen versuchten.

Mitte der 90er von De Angelis veröffentlichte Texte suchten zu beweisen, dass Wert in allen Disziplinierungsstätten der gesamten Gesellschaft geschaffen wird: die Sinnlosigkeit, der Schmerz und die Langeweile, die mit allen zwangsweise ausgeübten Aktivitäten einhergehen, zeigen seiner Meinung nach, dass diese Aktivitäten ihrem Wesen nach Wert produzieren.27 Raffinierterweise betont De Angelis, dass Sinnlosigkeit, Schmerz und Langeweile nicht nur in Disziplinierungsstätten (Fabriken, Schulen etc.), sondern auch von Kleinbürgern (dem Lastwagenfahrer) ertragen werden, denen ihre sinnlose Arbeit direkt vom Markt auferlegt wird. Weil der Wert nicht direkt wahrnehmbar ist, ließ sich diese Theorie schwer widerlegen – also war Marx sicher und auch die autonomistischen Theorien.

In The beginning of history bringt De Angelis diesen Denkprozess der Autonomia zu ihrem logischen Schluss. Das Buch zeigt, dass der vereinende Mechanismus, der alle Disziplinierung und Arbeit im Kapitalismus beherrscht, der Markt und seine Gesetze sind.

Der gedankliche Schritt geht weg von Disziplinierung und Zwang, die den Menschen despotisch von anderen Menschen (Managern, Lehrern, Psychiatern etc.) auferlegt werden, hin zur objektiven und unpersönlichen Macht des Marktes, der jetzt ganz klar als der universale Mechanismus des Kommandos betrachtet wird. Dieses unpersönliche Kommando wirkt durch ‘Diskurse’ von Preissignalen, die von jedem Individuum, jeder Gruppe, Organisation etc. in der Gesellschaft internalisiert werden. Es ist damit das Ergebnis eines Feedbacks der Individuen selbst: indem sie am Wertgesetz festhalten, schicken Individuen ‘Signale’ untereinander hin und her und errichten so die gesellschaftliche ‘Realität’ hinter diesem ‘Diskurs’.

Das Kommando, wie es in der Fabrik oder an anderen Disziplinierungsstätten (die De Angelis ‘Knotenpunkte’ nennt) erfahren wird, ist nur eine Form, durch die Marktdisziplin erzwungen wird. Während der Kleinbürger durch direkten Wettbewerb zum Arbeiten angehalten wird, wird der Arbeiter indirekt durch einen Manager (‘den Priester des Marktgottes’) diszipliniert. Das gibt der autonomistischen Theorie von der gesellschaftlichen Fabrik den letzten Tupfer an Kohärenz. Der ganze Globus ist unter den globalen Markt subsumiert, eine gigantische gesellschaftliche Fabrik, in der jede Aktivität direkt oder indirekt dem Kapital dient.

In einem eigenen Teil des Buches beweist De Angelis, dass die direkte Disziplinierung in den Disziplinierungsstätten (einschließlich der Fabrik) letztlich den gleichen Charakter hat wie die direkt vom Markt ausgeübte. Er vergleicht darum die Art, wie der Markt das bürgerliche Individuum unterordnet, mit der Ausübung von Disziplin, wie man sie im Vorbild für alle Disziplinierungszentren sieht: dem Panoptikum. Das Panoptikum war ein alter Entwurf für ein Gefängnis, aber dem Philosophen Foucault nach stellt es die essentielle Form aller Disziplinierungsstätten im Kapitalismus dar.28

Indem De Angelis sich auf das Panoptikum konzentriert und es mit dem Markt vergleicht, annulliert er jeglichen Einwand gegen seine Verschmelzung, wenn auch vielleicht etwas holprig. Ist die Disziplin des Marktes unpersönlich und funktioniert sie wirklich durch Internalisierung? Aber die Disziplinierung im Panoptikum ist auch unpersönlich und internalisiert. Man kann die Person, die vom Turm aus wacht, nicht sehen und muss annehmen, dass man ständig kontrolliert wird, also wird die Kontrolle internalisiert. Ist der Markt ein System von ‘Preissignalen’? Aber das Panoptikum spielt auch mit Signalen, weil die Bilder der vom Turm aus gesehenen Gefangenen … visuelle Signale sind.29

The beginning of history gibt uns also eine Theorie, die Despotie und Disziplin, einschließlich der Produktion, unter den Markt subsumiert – die Sphäre des Tauschs, der Gleichheit und Freiheit. Für uns ist das Hauptproblem mit dieser Theorie nicht, dass sie die Produktion im Kapitalismus nicht erklärt – im Gegenteil, das Problem ist, dass sie sie erklärt. Wenn diese Theorie sich nur mit einigen Aspekten des Kapitals befassen würde, etwa Einhegung und Kommodifizierung, oder bestimmten kulturell-diskursiven Aspekten der Zirkulationssphäre an sich, dann könnte man sie immer noch Seite an Seite mit Marx’ Ansichten betrachten, nach denen die Produktion der wesentliche Teil einer Klassenanalyse ist. Aber weil diese Theorie die Produktion als Endeffekt des Marktes betrachtet, hat sie den Schwerpunkt ganz erheblich verschoben.

Der Schwerpunkt der Autonomia lag traditionell auf der despotischen Auferlegung von Disziplin und Kommando, am Arbeitsplatz, in der Schule oder anderen gesellschaftlichen Disziplinierungsstätten. Dieser Schwerpunkt ist aus dem operaistischen Interesse an der Erfahrung von Despotie und Kommando am Arbeitsplatz entstanden. Raniero Panzieri theoretisierte beispielsweise die Einheit der technischen Aspekte der Produktion mit den ihr innewohnenden despotischen Momenten. Die Auferlegung von Marktdisziplin wurde von De Angelis erst als ein Beispiel dieser generellen Disziplin gesehen (der Markt ist der Boss des LKW-Fahrers). Jetzt ist die Situation total umgekehrt: der Markt ist der echte, originale Boss, direktes Kommando und Disziplin ein ihm untergeordneter Effekt.

Hier ist der Denkprozess der Autonomia mit dem vollen Gewicht von De Angelis beim Versuch gelandet, eine Kette marxologischer und ehrlich gesagt unnötiger Rätsel zu lösen, die aus ihrem ideologischen, operaistischen Ausgangspunkt hervorgegangen sind.

Im nächsten Teil werden wir sehen, dass diese paradoxe Schwerpunktsverschiebung bedeutet, den Klassenstandpunkt durch die Perspektive von Individuen zu ersetzen, die dem Diskurs von Preissignalen ausgesetzt sind: die Perspektive des bürgerlichen Individuums.30

2.3 Die Perspektive des bürgerlichen Individuums und die theoretische Notwendigkeit der »Commons«

Bis hierher haben wir festgestellt, dass The beginning of history ein neues Verständnis des Kapitals vorschlägt, das die Zirkulationssphäre ins Zentrum rückt. Dieser Auffassung nach werden alle, die unters Kapitalverhältnis subsumiert sind, getrennte und fragmentierte Individuen, die sich über den Tausch aufeinander beziehen. Aus diesem Blickwinkel erscheint das Kapital als ein abstrakter Gegner, eine Macht, die mit unsichtbaren ökonomischen Gesetzen allen das Verhängnis der Konkurrenz aufbürden kann, und allen als »Menschen« gegenübertritt. Das ist kurz gesagt die Sichtweise des bürgerlichen Individuums.

Obwohl das Buch versucht, Marx und sein altes Vokabular anzuwenden, definiert es systematisch und absichtlich zentrale Konzepte neu, und tauscht den Schlüssel zum Verständnis dieses Vokabulars aus – der Klassenstandpunkt wird durch den des bürgerlichen Individuums ersetzt.

So lernen wir von De Angelis als Hauptproblem des Kapitalismus nicht etwa Ausbeutung und Entfremdung kennen, oder die Herrschaft einer Klasse über eine andere, sondern »die auf Konkurrenz beruhende Form« unserer gesellschaftlichen Beziehungen (S.85). Problematisch am Markt sei, dass man im Wettbewerb »gewinnen, aber auch verlieren kann«. Bei der Entfremdung geht es nicht um die grundsätzliche Entfremdung von unseren Arbeitsprodukten, sondern um die Entfremdung, die uns als Warenbesitzer fragmentiert.31 Wir erfahren, dass das Kapital unsere menschliche Aktivität und Kreativität in eine uns beherrschende Macht verwandelt, indem wir gezwungen werden, auf dem Markt gegeneinander zu konkurrieren, so dass unsere Fähigkeiten und unser Geschick nur noch dazu dienen, im Wettbewerb jemand anderen zu schlagen (S.85). Und wenn es um den Antagonismus geht, wird uns gesagt, es gehe um den grundsätzlichen Antagonismus zwischen den Individuen auf dem Markt - jenseits der »traditionellen« Auffassung eines Klassenantagonismus (S.8/9).

Der Stil des Buches passt perfekt zu dieser Schwerpunktverschiebung weg von einer Klassenperspektive zu der des bürgerlichen Individuums. De Angelis betreibt einigen Aufwand, um die richtigen Begriffe zu finden und die Allgemeingültigkeit des Buches nicht durch zu viel Klassenjargon zu gefährden. Er vervendet viel Mühe darauf, Wörter wie »Arbeitsort«, »ArbeiterInnen« und »Klassen« zu vermeiden.32 Er bevorzugt zu sagen, dass wir dem Kapital als »Menschen« gegenübertreten (oder als das »protestierende Andere«, S.101), dass wer arbeitet ein »Tuender« ist, und Arbeitsplätze »Knotenpunkte« sind33. Aus unerfindlichen Gründen wird das Wort Enteignete in Anführungszeichen gesetzt (S.71). Wenn er von der Bourgeoisie sprechen muss, redet De Angelis lieber von der Klasse der »Investoren«, wobei »Klasse« zur Sicherheit in Anführungszeichen verpackt wird!(S.44) Er ringt sogar darum, das alte autonomistische Konzept der »Neuzusammensetzung der Klasse« zur »Neuzusammensetzung der Gemeinschaft« umzudefinieren, weil es … ja, universeller klingt. (S.126).

Wenn Marxsche Begriffe und Wörter verwendet werden, dann wird in der Regel ihr Klasseninhalt beseitigt.

Auf Seite 85 wird hart gesottenen Marxisten zugestanden, dass das Zusammenspiel der Marktkräfte nicht nur ein Diskurse um Preissignale ist, sondern auch Ausdruck von »Machtverhältnissen, die auf fortdauernden Einhegungen und den damit zusammenhängenden Besitzverhältnissen« basieren. Aber die Machtverhältnisse sind nicht das zentrale Problem, darauf deutet schon das Wörtchen »auch« hin. Sie kommen nur dazu. Auch Begriffe wie »Macht- und Eigentumsverhältnisse« werden von De Angelis gereinigt. Er erklärt, »Machtverhältnisse« könnten in der Verteilung von Reichtum, Privilegien und »Rechtsansprüchen« zwischen den Individuen dingfest gemacht werden, und auf Seite 84 betont er, dass sich diese Verteilung von Reichtum und Privilegien nicht aus der Produktion ergibt, sondern aus den wettbewerbsförmigen Marktbeziehungen selbst. Auf Seite 197 erklärt er schließlich, dass »Eigentumsverhältnisse« das individuelle bürgerliche Eigentum sind, das uns als individuelle Warenbesitzer voneinander trennt

Wir müssen sagen, dass all das richtig ist und es nützlich sein kann, die Perspektive der Individuen in der Zirkulationssphäre zu beachten. Indem er zeigt, wie die Individuen auf dem Markt fragmentiert, gegeneinander ausgespielt und zu konkurrierenden Zahnrädern gemacht werden, kann De Angelis beispielsweise den übertrieben optimistischen Begriff der »Mulitude« von Hardt und Negri angreifen und zeigen, dass er die innere Zersplitterung der kapitalistischen Gesellschaft abfeiert.

Aber die Perspektive des bürgerlichen Individuums ist eine einseitige Sichtweise auf das Kapital, ein wesentlicher anderer Aspekt – der Klassenstandpunkt – fällt weg. De Angelis macht noch einen Unterschied zwischen unklar definierten »Tuenden« und ebenso unklar definierten »Investoren«, und sagt letztere hätten ein Interesse an der Disziplinierung aller Tuenden. Die ganze Uneindeutigkeit dieser Begriffe offenbart sich, sobald wir Tuende und Investoren genauer bestimmen wollen. Die Renten vieler ArbeiterInnen basieren auf Investitionen, während viele Manager schrecklich gestresste Tuende sind. Tatsächlich kann der Kapitalismus nur als Klassengesellschaft entschlüsselt werden, wenn wir die Produktion in den Blick bekommen.

Für Theorien der Subjektivität und des Antagonismus hat diese Beschränkung weitreichende Konsequenzen. Wenn wir uns nur als Individuen in der Zirkulationsspähre begreifen, dann bleiben wir »Menschen«, die das Kapital »in Konkurrenz gegeneinander setzt«. In diesem Konzept gibt es keinen materiellen Grund dafür, warum sich einige dieser »Menschen« zusammenschließen sollten, um gegen einige andere dieser »Menschen« zu kämpfen. In dieser Perspektive resultiert aus dem Kapital kein materieller Grund für Klassensolidarität, doch wir haben gesehen, dass es solche Gründe gibt – die Produktion trennt diejenigen, die ein Interesse an der Existenz des Kapitals haben, von denjenigen, die zusammenkommen wollen, um gegen das Kapital zu kämpfen.

So betrachtet zeigt sich der neue Geist von De Angelis‘ Neudefinition des Antagonismus. Für Marx ist der Antagonismus ein Zustand des andauernden Widerspruchs zwischen Kapital und Arbeit, der immer wieder gute Gründe hervorbringt, warum sich eine Klasse zusammentut, um gegen die andere zu kämpfen. Für De Angelis wird der »Antagonismus« zum Ausdruck für die atomisierenden und homogenisierenden Wirkungen des Marktes. De Angelis behauptet einen Zusammenhang zwischen der zweiten und der ersten Auffassung des Antagonismus, aber das ist nicht wahr. Sein Begriff des »Antagonismus« läuft auf die Vorstellung hinaus, dass es »innerhalb« des Kapitals nichts gibt, was materiell den Klassenkampf begründen könnte.

Nun wird auch klar, warum die Einhegungen in dieser Theorie zum fehlenden Bindeglied werden: eine Gesellschaft aus lauter getrennten Individuen, die der Markt nur in Konkurrenz zueinander bringen kann, können niemals einen materiellen Grund dafür finden, miteinander zu kämpfen! Nur mit der Idee von etwas »außerhalb« des Kapitals, den Commons als einer Art Verunreinigung einer sonst gestaltlosen chemischen Lösung, ist eine Gerinnung dieser individuellen Atome zu Kristallen der Solidarität vorstellbar.

Aber diese Gerinnung beruht nur auf der individuellen Wahl zwischen konkurrierenden Diskursen – es liegt am Einzelnen gegen die Scheiße34, die Disziplin, Wettbewerb und Kommando in seinem Körper und Geist anrichten, was zu tun und zu versuchen sich seinen »Gemeinschaften« und deren »Werten« anzuschließen und diese zu stärken.

Im kommenden letzten Abschnitt werden wir sehen, wie uns diese Theorie das denkbar schlimmste Desaster einer Theorie überhaupt beschert: einen aussichtslosen Moralismus.

3. Diskurs oder Leben?

Als wir das Kapital als eine Wechselwirkung der Produktions- und Zirkulationssphäre betrachteten, wurde offensichtlich, warum es ein soziales Verhältnis ist. Ein soziales Verhältnis ist nicht die Art und Weise, wie wir miteinander umgehen oder die ’Bedeutung‘ von dem was wir sagen. Ein soziales Verhältnis bestimmt, wer Macht über wen besitzt, wer Vermögen bekommt und wer enteignet wird. Es ist eben ein materielles Verhältnis und nicht eine kulturbedingte Vereinbarung. Es stimmt natürlich, dass es viele Kulturen und ’Diskurse‘ gibt, die Ergebnis der Rationalisierung dieses Verhältnisses sind und es konstituieren, aber kein Argument, keine kulturelle Konstruktion und kein kultureller Diskurs würde existieren, alleine weil wir daran glauben.

De Angelis‘ Sichtweise spart diese Tatsache einfach aus. Weil er das Kapital auf den Markt reduziert und uns auf ’Individuen, die gegeneinander ausgespielt werden‘, gibt es nichts was erklärt, warum das Kapital die Macht hat, die es hat, warum es expandiert, warum die Märkte unser Leben bestimmen. Das Kapital ist letztlich ein System von ’Werten‘ und ’Diskursen‘ das sich durch unsere Beteiligung an diesen ’Diskursen‘ reproduziert. Von dieser Basis aus verwendet das Buch viele Seiten auf die Analyse ideologischer ’Diskurse‘, hervorgebracht durch die kapitalistische Klasse, um ihre Macht zu rechtfertigen und Bewegungen zu integrieren. Seitenlang werden Diskurse erklärt, die der Markt benützt um Individuen zu unterwerfen: Das Individuum im Kapitalismus wird dem Autor zufolge in einen ’Diskurs‘ der Preissignale eingebunden und internalisiert Verhaltensnormen.35

Richtet man den Fokus weg vom materiellen Klassenverhältnis auf seine kulturellen Erscheinungen, dann wird der Klassenkampf auf einen Kampf zwischen ’Diskursen‘ reduziert oder, noch besser, zwischen Wertesystemen. De Angelis erklärt uns seitenweise, wie die Gesellschaft durch ihre ’Werte‘ strukturiert wird. Unterschiedliche ’Wertepraktiken‘ sind für De Angelis die Grundlage der Reproduktion verschiedener Gesellschaften und ’Gemeinschaften‘. Aber woher kommen diese Wertepraktiken und Werte? Je mehr wir lesen, desto mehr sind wir in einer schrägen Tautologie gefangen: Auf der einen Seite gehen unsere Handlungen (und so auch unsere Praktiken) von einem Wertesystem aus, das, wie De Angelis erklärt, »die Art und Weise beschreibt, wie Menschen die Bedeutung ihrer Handlungen für sich selbst vertreten«. Auf der anderen Seite scheint unser ’Wertesystem‘ auf ’Wertepraktiken‘ gegründet zu sein. Letztlich wird klar, dass ’Werte‘ und ’Wertepraktiken‘ für De Angelis miteinander verschmolzen sind, sich also entsprechen. Ohne eine Theorie, die ’Wertepraktiken‘ mit realen Individuen und ihrer Interaktion, mit den sozialen und materiellen Beziehungen zwischen uns verknüpft, dreht sich De Angelis‘ Konzept der Werte und Wertepraktiken endlos im Kreis.

Das ist tautologischer Idealismus.36 In der gleichen Weise, wie das Gesetz des Marktes keine halbe Stunde überleben könnte ohne die sozialen Verhältnisse der Enteignung, die es stützen, kann kein ’Wertesystem‘ seine Existenz durch die eigenen Wertepraktiken aufrecht erhalten und keine ’Wertepraktik‘ allein durch das entsprechende Wertesystems unterstützt werden.37

Aufheben hat nicht viel Geduld mit einer Theorie, die ’Werte‘ und ’Diskurse‘ derart wichtig nimmt. In keinem wirklichen Kampf und in keiner Bewegung, an der wir jemals beteiligt waren, wäre so ein Fokus irgendwie nützlich gewesen.

In wirklichen Kämpfen und Bewegungen müssen wir uns ständig mit Leuten auseinandersetzen, die unterschiedliche Perspektiven einnehmen, geprägt durch andere direkte soziale Beziehungen (Familie, Freunde, kulturelle oder politische Aktivitäten usw.) und durch ihre Verstrickung mit kapitalistischen ’Werten‘. Die Zersplitterung der an einem Kampf Beteiligten wird überwunden durch einen Prozess der hin- und hergeht zwischen der praktischen Erfahrung von Solidarität und Kampf und vielen Diskussionen, Streitgesprächen, kollektiven Entscheidungen usw.38

Unsere Kämpfe sind lebende Prozesse, in denen sich kollektives Bewusstsein und praktische Umsetzung gegenseitig beeinflussen, so dass was wir tun und was wir sagen niemals völlig das Gleiche ist. Wie unsinnig wäre es, tauchte jemand wie De Angelis auf, um das neueste Flugblatt, die letzte Diskussion oder Zeitung zu studieren, um unser ’Wertesystem‘ zu analysieren!

Was wollen wir also von einer Theorie des Klassenkampfes? Eine Analyse, die uns sagt, was wir beachten müssen, um das revolutionäre Potential eines Kampfes zu verstehen, wie auch seine Grenzen. Aber was wir suchen ist kein ’Wertesystem‘ oder ein anderes Kulturprodukt, sondern das lebende Wesen: Die wirklichen Beteiligten, was sie machen und welche Ziele sie haben. Wie sich diese Beziehungen verändern oder sich verändern können, wenn ein Sieg erreicht und dem Kapital Macht abgerungen wird.

Diese stärker materielle Analyse könnte sogar De Angelis helfen, sein liebstes ’Dilemma‘ zu lösen: Warum und wie das Kapital Bewegungen integriert. Ist es nicht sinnvoller, anstatt ’Diskurse‘ von Paul Wolfowitz zu analysieren, zu ergründen warum diese Diskurse für die wichtig sind, die ihre eigene Integration akzeptiert haben? Welche sozialen Kräfte waren im Spiel? Welcher Schlag von Menschen war das und was waren ihre Ziele? Was passierte während die Bewegung entstand, größer wurde, und was hinderte sie daran ihre Grenzen zu überschreiten? Was waren die materiellen Grundlagen für diese Kompromisse?

Außerdem müssen wir die materiellen Bedingungen und die Klassenverhältnisse einbeziehen, wenn wir verstehen wollen, was wir denken und tun sollen angesichts vieler ’Gemeinschaften‘ und Kämpfe, die andere Ziele haben als wir. Wie können wir gemeinschaftliche Erfahrungen wie islamistische Ausbildungslager verstehen? Was können wir über die muslimische Gemeinschaft sagen, aus der die Respect-Partei ihre Wählerschaft rekrutieren wollte, nur damit der lokale muslimische Grundbesitzer mit den Stimmen seiner Mieter und deren Familienanhang Stadtrat wird. Und was machen wir aus der ’gemeinschaftlichen‘ Erfahrung der weißen britischen antipädophilen ’Lynch-Mobs‘?39 Diese ’Gemeinschaften‘ erfahren direkte Beziehungen alternativ zum Kapital und reagieren auf die Vereinzelung durch den Markt, und trotzdem brauchen wir eine Theorie, die es uns ermöglicht zu verstehen wie, und ob40, wir unsere Kämpfe verbinden können!

Aus den oben genannten Gründen und obwohl The beginning of history Aktion, Klassenkampf und subjektiven Antagonismus auf eine gute Art betont, ist das eine ziemlich unbrauchbare Theorie. Als ein Moment der Reflexion von Praxis sollte die Theorie in der Lage sein, wieder in die Praxis einzufließen. Sie sollte aus praktischen Erfahrungen die Erkenntnisse entwickeln, die die Praxis auf eine neue Stufe heben. Es stimmt natürlich, dass ein kleines Buch nicht jeden einzelnen Kampf und jede ’Gemeinschaft‘ analysieren kann. Eine Theorie sollte beispielsweise klarmachen, welche Fragen wir in einer konkreten Situation stellen können und welche Hinweise wir suchen sollten.

The beginning of history bietet keine solche Hilfe. Weil die sozialen Verhältnisse, die das ’Wertesystem‘ unterstützen, nicht in Betracht gezogen werden, kann das Buch nur über sehr allgemeine und vor allem abstrakte Konzepte von ’Werten‘ und ’Wertepraktiken‘ schwafeln, die wie ein am Fließband produzierter Schuh jeder ’Gemeinschaft‘ passen. Es liefert uns eine allgemeine Definition von ’Gemeinschaft‘ ausgehend von jeder direkten Beziehungen zwischen Individuen41 und einen moralistischen und vagen Aufruf, dass sich ’Gemeinschaften‘ verbinden sollen.

Tatsächlich drängen sich die Grenzen dieses Buches schon beim ersten Lesen auf: es wurde von jemandem geschrieben, der die letzten G8-Proteste mit seinem ’kleinen Van‘ einholte, kurz stehen blieb und dem Geschehen nachdenklich zuschaut.42

(Footnotes)

1 Diese Begriffe sind oft redundant. Z.B. folgt auf ‘telos’ immer eine alternative Umschreibung, die für sich stehen könnte, ohne dass der Satz seine Bedeutung ändern würde: ‘sense of direction’ (S.30) [Orientierung], ‘purpose’ (S. 56) [Zweck], ‘value practice’ (S. 61) [Wertpraxis] usw. Ähnlich folgt dem ‘conatus’ auf den Seiten 67 und 86 die ‘Selbsterhaltung’ [self preservation], die ebenso für sich hätte stehen können.

2 Auch die tollen Diagramme, die das Buch schmücken, sollen eher den Leser beeindrucken als Erklärung zu liefern. Sie zeigen eine Reihe von Pfeilen und Linien (im Zickzack, fett und dünn) und Kästen (quadratisch und oval, rund und trapezförmig) usw., aber De Angelis hält sich oft nicht damit auf, zu erklären, warum er diese oder jene benutzt. Die Undurchsichtigkeit scheint diese Diagramme noch faszinierender zu machen. Oft bedeuten sie etwas, das man in einem kurzen Satz sagen kann. Z.B. bedeutet Darstellung 3 auf Seite 73 schlicht: ’Produktion und Reproduktion sind weltweit miteinander verbunden.‘ Darauf wären wir nicht gekommen, bevor wir von diesem Filz aus Ovalen, Pfeilen und geheimnisvoll gepunkteten und nicht-gepunkteten Linien überwältigt wurden.

3 Siehe Keep on Smiling, Questions on Immaterial Labour in Aufheben Nr. 14, 2006

4Und in Frankreich für die europäische Verfassung mit ’Ja‘ zu stimmen.

5Der Titel bezieht sich auf The end of history and the last man von Francis Fukuyama [dt. Das Ende der Geschichte], eine Rechtfertigung der liberalen Demokratie, die mit der vollständigen Entwicklung kapitfile:///home/sascha/sub/website/aktuell/a083_Aufheben_kritik_Angelis_lang.htmlalistischer Verhältnisse das Ende der Geschichte verkündet.

6Viele marxistische Autoren, z.B. Rosa Luxemburg, hatten Theorien entwickelt zum Zwang des Kapitals, sich auf neue Gebiete auszuweiten. Das Neue bei De Angelis besteht darin, ’Einhegung‘ und ’Kapital‘ neu zu definieren, um damit jede Art von Konflikt beschreiben zu können, einschließlich, wie wir im Text sehen können, Kämpfe gegen die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen usw.

7 Siehe ‘Moishe Postone, Capital Beyond Class Struggle?’ in Aufheben Nr. 15, 2007

8Auf den Seiten 37/38 in Aufheben Nr. 13, 2005, diskutieren wir die theoretische Bedeutung von Harry Cleavers »Brille des Unglaublichen Klassenkampfs« [Cartoon im Heft]

9Ähnlich sieht Paolo Virno das Potential für ein autonomes Subjekt in einer Abhängigkeit des Kapitals von allgemeinen kognitiven Fähigkeiten, von nicht von der ’Multitude‘ abtrennbaren primären Produktionsmitteln. Produktive Tätigkeit nennt er ’Virtuosität‘. Siehe dazu The language of retreat in Aufheben Nr. 16, 2008

10Auch George Mombiot hat kürzlich ’Commons‘ und ’Einhegungen‘ übernommen…

11Er weicht dem Problem aus, indem er sagt, Krankenhäuser seien Kontrollinstrumente des Kapitals, aber sie seien auch Commons.

12In diesem Artikel versuchen wir zu sagen, dass direkte soziale Beziehungen sich nur durch Kämpfe immer mehr von diesen widersprüchlichen Aspekten befreien, indem sie sich ihrer Opposition zum Kapital zunehmend bewusst werden.

13De Angelis gibt diesem Phänomen der Koexistenz einen guten griechischen Namen: ’Homöostasis‘. Dieser Begriff scheint von einem Kräftegleichgewicht auszugehen und vermittelt dadurch die Spannung zwischen dem ’Innen‘ und ’Außen‘.

14Freibauern, sozial unterhalb des Landadels angesiedelt, aber mit politischen Rechten, kleine Landbesitzer oder wohlhabende Bauern.

15Karl Marx und Friedrich Engels, Die deutsche Ideologie, MEW 3

16Bewegung in England Mitte des 17. Jhd., die die gesellschaftlichee Ordnung stürzen, Besitzverhältniss einebnen und eine agrarische Lebensweise ausgehend von kleinen Kommunen wollte. Sie besetzte z.T. Land und begann es zu bearbeiten (to dig = graben). (A.d.Ü.]

17Es ist eine Ironie, dass nach all den Jahren, in denen ein Kampf um den gesellschaftlichen Lohn erwartet worden war, ein getreuer Autonomist wie De Angelis es vorzieht, den Kampf gegen die Privatisierung des Gesundheitssystems als einen Kampf ’zur Verteidigung eines Gemeinguts‘ anzusehen.

18Der Vati der Dialektik, G.W. Friedrich Hegel, lehrt uns, dass das Positive und das Negative zwei Aspekte sind, die einander reflektieren: ’Der Unterschied an sich ist der wesentliche, das Positive und das Negative, so daß jenes so die identische Beziehung auf sich ist, daß es nicht das Negative, und dieses das Unterschiedene so für sich ist, daß es nicht das Positive ist. Indem jedes so für sich ist, als es nicht das Andere ist, scheint jedes in dem Anderen und ist nur, insofern das Andere ist.« Wissenschaft der Logik, §119. Halten wir trotz alledem fest, dass für Hegel die entgegengesetzten Seiten der Realität Aspekte einer Einheit sind, die innerhalb des absoluten Geistes bereits besteht. Diese Harmonie gibt es für uns und Marx nicht. Die Überwindung bestehender Gegensätze (positiv und negativ, innen und außen usw.) muss konkret erreicht werden, durch aktiven Klassenkampf.

19 Werner Bonefeld hat in einem Artikel in The commoner Nr. 2 betont, dass die Trennung zwischen Produzenten und Produktionsmitteln im Kapitalismus durch die ursprüngliche Akkumulation entstand. Aber im Gegensatz zu De Angelis sagt Bonefeld, dass dieser ‘historische Akt’ der Enteignung innerhalb des etablierten Kapitalismus in der neuen Form des Lohnverhältnisses weiterbesteht. Weil die Form der Enteignung sich so grundlegend verändert, muss Bonefeld diese neue Form in seiner Analyse des Kapitalismus als Klassensystem aufgreifen. Tatsächlich dreht sich der Großteil seines Artikels, bis auf die Einführung und den Schluss, nicht um Einhegungen, sondern um Lohnarbeit und ist dem, was wir in diesem Abschnitt schreiben, sehr ähnlich. Siehe ‘The Permanence of primitive Accumulation’, in The commoner, N. 2, Septemer 2001, http://www.thecommoner.org

20Die Charakteristika des marktförmigen Tauschs schließen das Bestehen von Praktiken, die dessen grundlegende Freiheit und Gleichheit verletzen, nicht aus. Eine einfache, aber liberale Kritik wäre es, auf Ausnahmen hinzuweisen (Zwangsprostitution etc.), die von der Bourgeoisie selbst missbilligt werden. Aber Marx hat etwas Besseres gemacht: er fand heraus, dass die Freiheit und Gleichheit der Zirkulationssphäre (selbst wenn sie ohne Ausnahmen funktionieren würde!) struktureller Teil eines Mechanismus ist, der das Proletariat versklavt. Das ist viel mächtiger, als in Ausnahmen herumzustochern und die bürgerliche Freiheit als ‘korrupt’ anzuklagen. In Multitude folgt Negri genau diesem Weg, er lässt Marx’ grundlegenden Angriff auf das bürgerliche System einfach fallen und rechtfertigt letztendlich die ideale bürgerliche Freiheit und Demokratie.

21 Es stimmt, dass wir die Notwendigkeit einen Lohn zu bekommen verinnerlichen und uns bemühen, unseren Job zu behalten oder Karriere zu machen. Aber dahinter steht die Ziellosigkeit dessen, was wir auf Arbeit tun: wie Marx sagte, wenn die Arbeiter ihren Lohn bekämen ohne zu arbeiten, würden sie das tun.

22In der UdSSR basierte die Entfremdung des Proletariats auf der kollektiven Kontrolle über die Produktionsmittel, ausgeübt durch eine Klasse von Staatsbürokraten, die das Kapital repräsentierten.

23In ‘The arcane of productive reproduction’ Aufheben 13, 2005, zeigen wir, wie die Tätigkeit der Hausfrau durch das Zusammenspiel von Produktionssphäre und Zirkulationssphäre die Form von produktiver Arbeit annimmt. Wir zeigen auch, dass es absolut keinen Grund gibt, ihr auf Teufel komm raus die Produktion von Wert zuzuschreiben.

24Zu dieser Ideologie gehörte etwa das Argument, dass ‘produktive Arbeiter effektiver im Kampf seien, weil sie Profit für das Kapital produzieren’. Dass das eine Ideologie ist, wird klar, wenn wir uns zum Beispiel das Chaos vorstellen, das ein Generalstreik unproduktiver Bankarbeiter in der Wirtschaft anrichten würde, oder wenn wir uns an die Wirksamkeit der Bewegung gegen die Poll Tax erinnern.

25Mit der Ausdehnung der Fabrik auf die Gesellschaft übersetzten die Operaisten ihre Betonung des Kampfs um den Lohn in der Fabrik in die Erwartung zukünftiger Kämpfe in der Gesellschaft für einen ‘sozialen Lohn’, oder einen besseren ‘sozialen Lohn’. Aber diese Hoffnung hat sich nie so konkretisiert, wie sie es erwartet hatten.

26Harry Cleaver, Reading capital politically, Leeds: AK, 2000, S.100

27‘Beyond the technological and the social paradigms: A political reading of abstract labour as the substance of value’, Capital and class 57, Herbst 1995, Seiten 107-134.

28Am Ende des 18. Jahrhunderts entwarf der bürgerliche Philosoph Jeremy Bentham ein für das aufgeklärte 19. Jahrhundert geeignete Gefängnis. Es sollte ein kreisförmiges Gebäude werden, wo Gefangene in Zellen von einem Wächter in einem zentralen Turm überwacht werden konnten. Das sollte die Notwendigkeit direkter Zwangsausübung (und die Kosten der Überwachung) vermindern, denn die Gefangenen würden sich ständig überwacht fühlen. Bentham hat das Panoptikum in eigener Initiative entworfen und trotz seiner zahllosen Bemühungen um die Finanzierung eines Baus nie einen Cent dafür bekommen.

29Um in den vollen Genuss dieser gedanklichen Verrenkung zu kommen, sollte man sich ‘Box 1’ auf S.207 der englischen Ausgabe ansehen.

30In seinem Artikel ‘Marx and Primitive Accumulation: the Continuous Character of Capital’s Enclosures’ in The commoner Nr.2 setzt De Angelis bei Marx und seiner Analyse an und scheint so eine Klassensprache zu sprechen! Aber das ist lediglich der Anfang. Im Verlauf des Artikels ändert De Angelis Marx’ Theorie auf subtile Weise: er behauptet, dass Einhegungen die Grundlage für die Trennung der Produzenten von den Produktionsmitteln im Kapitalismus sind, und entledigt sich damit der Zentralität des Lohnverhältnisses. In seinem neuen Buch wird klarer, dass das im Endeffekt bedeutet, den grundlegenden Mechanismus der Klassen selbst abzuschaffen.

31Ganz haarsträubend wird es, wenn uns das noch als Marxsche Aussage beigebogen werden soll (S.197). Tatsächlich war für Marx seit den Ökonomisch-philosophischen Manuskripten von 1844 Entfremdung entscheidend eine materielle Enteignung und eine Klassenfrage: »Die Verwirklichung der Arbeit erscheint so sehr als Entwirklichung, daß der Arbeiter bis zum Hungertod entwirklicht wird. Die Vergegenständlichung erscheint so sehr als Verlust des Gegenstandes, daß der Arbeiter der notwendigsten Gegenstände, nicht nur des Lebens, sondern auch der Arbeitsgegenstände, beraubt ist.« (MEW Ergänzungsband, 1.Teil, S. 512)

32Wörter wie »Arbeiterklasse« benutzt er nur, wenn er Zitate von Harry Cleaver oder Karl Marx kommentiert, in denen diese Begriffe benutzt werden.

33Die Bezeichnung »Tuende« hat er sich bei John Holloway geliehen, der in Die Welt verändern ohne die Macht zu übernehmen, Verlag Westfälisches Dampfboot 2002, eine sorgfältige und nützliche Darstellung der Marxschen Theorie liefert, insbesondere des Warenfetischismus. Vielen alten Marxschen Begriffen wie Arbeit, Arbeiter, Entfremdung… gibt er in diesem Buch neue Namen.

34Auch dafür findet De Angelis einen passenden lateinischen Begriff: »Detritus«.

35 Ironischerweise wirkt es, als hätte De Angelis den ideologischen Diskurs unserer herrschenden Klasse mit einem Schwamm aufgesogen. In der Sprechweise von New Labour definieren Konzepte wie ’Fürsorge in der Gemeinschaft‘, ’die muslimische Gemeinschaft‘ etc. implizit die Gemeinschaft als jede Beziehung jenseits von Tausch und Staat, und als vermeintlich von Natur aus gut. Ganz ähnlich hat De Angelis die Idee von Preisen als Signalen oder Informationen zwischen Individuen am Markt direkt aus bürgerlichen Wirtschaftslehrbüchern übernommen.

36 De Angelis Kulturfetischismus spiegelt sich in seinen Konzepten der linearen, zirkulären und Phasen-bezogenen Zeit wieder, die der Zeit zuschreibt, was eigentlich menschlich und sozial ist. Dies erinnert an Moishe Postones Zeitfetisch, paraphrasiert auf Seite 52 in Aufheben Nr. 15: »Wie oft muss ich dir noch sagen, es ist nicht unsere Bewegung in der Zeit, es ist die Bewegung der Zeit. Es ist eine inhärente Dynamik… Auf keinen Fall können wir ihren Ablauf beeinflussen.«

37Man könnte argumentieren, dass dieser Fokus auf Wertepraktiken als ’materiell‘ und ihr Gebrauch anstelle von materiellen sozialen Beziehungen auf Louis Althusser zurückgeführt werden kann. In ‘Ideologie und ideologische Staatsapparate’ schreibt Althusser: ’Daraus ergibt sich also, daß ein Subjekt handelt, insofern es durch das folgende System bewegt wird (…): eine in einem materiellen ideologischen Apparat existierende Ideologie, die bestimmte materielle durch ein materielles Ritual geregelte Praktiken vorschreibt, wobei diese Praktiken wiederum in den materiellen Handlungen eines Subjekts existieren, das mit vollem Bewußtsein seinem Glauben entsprechend agiert.« In: Ideologie und ideologische Staatsapparate. Aufsätze zur marxistischen Theorie, Hamburg/Berlin 1977.

38Für eine Darstellung der Rolle von Aktivität und Bewusstsein in konkreten alltäglichen Kämpfen, siehe: ’Theory and Practice, Recent Struggles in Brighton‘, Aufheben 15, 2007.

39Siehe ’When the mobs are looking for witches to burn, nobody‘s safe‘: Talking about the reactionary crowd. J. Drury, Discourse & Society, 13, 51-73, 2002.

40oder auch: warum nicht

41‘Gemeinschaft‘ definiert de Angelis einfach als ’Wertepraxis alternativ zum Kapital plus organisatorische Reichweite‘, Seite 68.

42De Angelis war so nett, uns darüber zu informieren, dass er nicht nur einen kleinen Van besitzt, sondern in seiner Kindheit auch in einer kleinen Wohnung im Zentrum von Mailand gewohnt hat, und dass er heute eine kleine Küche zu Hause hat.

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