verfasst von einer Genossin aus Griechenland
Heute (17. Januar) ist der 79. Streiktag der Stahl-Arbeiter von »Elliniki Halivourgia« in Aspropirgos. Der Streik hat am 31. Oktober begonnen, als der Fabrikbesitzer 15 Arbeitern durch Gerichtsvollzieher die Kündigung zukommen ließ. Heute beträgt die Anzahl der gefeuerten ArbeiterInnen 65, das sind rund 15 pro Monat.
Die Streikenden kritisieren die Entlassungen und die nach dem »Memorandum« von Europäischer Kommission, Europäischer Ζentralbank und IWF vom Mai 2010 geänderten Arbeitsbedingungen – fünf Stundentag und Lohnkürzungen von bis zu 40 Prozent. Sie haben sich entschlossen, den Kampf bis zum Ende zu führen und wollen keinesfalls geschlagen zur Arbeit zurückkehren. Aber ihnen steht eine erhebliche Schwierigkeit entgegen: ihre KollegInnen von den beiden anderen »Halivourgia«-Fabriken in Volos und Velestino in Zentralgriechenland haben sich auf Verhandlungen mit ihrem Boss Manesis über die Arbeitsbedingungen für die nächsten Monate eingelassen. Die Gewerkschaftsführung hat für die nächsten vier Monate einem Fünf-Stunden-Tag zugestimmt, dafür soll in dieser Zeit niemand entlassen werden. Aber jetzt arbeiten sie aufgrund des Streiks in Aspropirgos acht Stunden am Tag. »Das funkioniert als Streikbruch. Wir sagen ihnen nach wie vor, dass sie nicht verstanden haben was sie da unterschrieben haben. Der Arbeitgeber kann sie jetzt ganz legal drei Tage die Woche je drei Stunden beschäftigen, mit der Begründung es gebe nicht genug Arbeit«, führt der Gewerkschaftsvorsitzende in Aspropirgos, Giorgos Sifonios, in einem Interview am 15. Januar aus.
Die Wirtschaftskrise scheint eine hervorragende Gelegenheit für die Bourgeoisie zu sein, Gewinnausfälle und notwendige Einsparungen zu behaupten und in hohe Lohnkürzungen zu übersetzen. Die Arbeiter von Halivourgia sind da anderer Meinung: Sie sagen, dass die Produktion von 1,5 Mio. auf 2,7 Mio. Tonnen angestiegen ei. Manesis selbst hat keinen genauen Geschäftsbericht für das letzte Jahr veröffentlicht. Die Arbeiter glauben die Drohungen nicht, dass die Fabrik aufgrund von Gewinneinbrüchen geschlossen werden soll. »Er benutzt jedes Mal dasselbe Argument, wenn er mit Forderungen der Arbeiter konfrontiert wird. Wenn die Kollegen in seinen beiden anderen Fabriken uns unterstützt hätten, hätten wir gewonnen. Es gibt Arbeit, die getan werden muss. Ich bin völlig überzeugt, dass die Fabrik nicht geschlossen wird. Man erkennt es schon daran, dass er sich um die Instandhaltung der Maschinen kümmert, er hat Wachpersonal. Das würde er nicht für eine Fabrik machen, die geschlossen werden soll.«
Es ist nicht verwunderlich, dass dieser dreimonatige Streik in Griechenland mythische Dimensionen annimmt und die Aufmerksamkeit der Arbeiterklasse überall auf der Welt erregt. Das liegt zum einen daran, dass er in einem Stahlwerk stattfindet. In einem Land mit einer großen Minderheit von Bauern, Kleinunternehmern und Selbständigen, in dem sich die ökonomische Aktivität seit der Integration in die EG/EU zum Tourismus und anderen Dienstleitungen1 hin verlagert hat, hat das soziale Ideal des Fabrikarbeiters im kollektiven Bewusstsein der Klasse einen wichtigen Platz. Darüber hinaus versucht die herrschende Klasse die Leuten davon zu überzeugen, es gebe in Griechenland keinen produktiven Sektor, hier würde nichts produziert, das Land sei völlig deindustrialisiert. Und dann gibt es einen Streik in der Schwerindustrie. Also gibt es doch Fabriken in Griechenland. Also gibt es doch Streiks, die die Produktionsketten unterbrechen.
Außerdem ist es harte Arbeit, möglicherweise die härteste in diesem Land. Es war früher eine gut bezahlte Arbeit, aber in den letzten Jahren führten Kürzungen der Überstunden- und Wochenendzuschläge und der Boni zu einem dramatischen Lohnrückgang.
Die Streikenden sind sich dessen voll bewusst. Als wir sie letzte Woche zwei Stunden besuchten, drehte sich der Großteil der Unterhaltung um die Art der Arbeit, die in der Fabrik verrichtet wird. Sie sprachen von der Hitze, in der sie arbeiten und dem fast vollständige Fehlen einer Schutzausrüstung. Außerdem bestanden sie darauf, uns Handy-Videos von ihrem Arbeitsplatz zu zeigen, die tatsächlich an »Mordor« im Hollywood- Film »Der Herr der Ringe« erinnern. Einer von ihnen fährt ein Triebfahrzeug in zehn Metern Höhe und hat eine kleine Explosion gefilmt. Ihr Motto ist: »Wir arbeiten mit Feuer, der Stahl wird durch unsere Körper gehärtet«. Das Urbild der proletarischen Imagination tritt an die Spitze des Klassenkampfes, der gegenwärtig in Griechenland ausgetragen wird.
Auch der Zeitpunkt des Streiks ist wichtig. Im Oktober stimmte das griechische Parlament für das Polinomoschedio, ein Gesetz das praktisch alle übrig gebliebenen Arbeitsrechte durch die Abschaffung kollektiver Arbetisverträge auslöscht. Der Besitzer von Halivourgia und Präsident der Vereinigung der Griechischen Stahlindustrie, verkündete den Arbeitern 12. Oktober, dass sie zwischen dem Fünf-Stunden-Tag und der Entlassung wählen müssten. Als die Arbeiter einheitlich mit »Nein« antworteten, fing er an, Leute zu entlassen. »Unsere Industrie war die erste, die vom Artikel 37 des Polinomoschedio Gebrauch machte, der Kollektivverträge abschafft«, sagte der Gewerkschaftsvorsitzende in einem Interview.
Der Beginn des Streiks fiel mit der Einsetzung der neuen Regierung des Technokraten Papadimos zusammen, nachdem es am Nationalfeiertag (28. Oktober) zu Unruhe gekommen war2 und ein Referendum Alarm ausgelöst hatte, das niemals durchgeführt wurde. Die Diskussion über die Zukunft der Eurozone überlagerte den Kampf der ca. 400 Stahlarbeiter, der in den Nachrichten nicht vorkam. Es dauerte eine Weile, bis die griechischen ArbeiterInnen, Arbeitslosen und die anderen Streikenden darauf aufmerksam wurden, was bei Halivourgia los war. Die ersten Solidaritätsbekundungen gab es erst zwei oder drei Wochen nach Streikbeginn. Nach einem Monat aber entstand vor den Toren des Stahlwerks eine Welle der Solidarität, wie wir sie noch nicht gesehen haben. Alle Arten von ArbeiterInnen-, sozialen und politischen Gruppen und Organisationen sehen sich als Teil des Kampfs der Stahlarbeiter. Ihr Kampf wurde zum Kampf der griechischen Gesellschaft gegen den Angriff des Kapitals. Und fast alle waren sehr stolz darauf. Viele Leute aus alles Ecken des Landes halfen den Streikenden zu Überleben und schickten Geld und Nahrungsmittel. Hinter dem Streik der Stahlarbeiter zeigte siche eine wundersame Welt dutzender Streiks, von denen die Medien des Regimes nichts wussten oder die sie vergessen hatten. Streiks in der Nahrungsmittelindustrie, der Telekommunikationsbranche, von unbezahlten Pressejournalisten. Die Leute der Zeitung »Eleftherotipia« und dem Fernsehsender »Alter« stellten sich an die Seite der Stahlarbeiter, so dass nun eine Klassenfront gegen den Angriff des Kapitals steht.
Noch überraschender war die Bandbreite politischer Kräfte, die zur Verteidigung des Stahlarbeiterkampfs zusammenkam. Es ist vielleicht das erste Mal, dass ein Streik von einer der PAME (Gewerkschaftsbund der Kommunisitischen Partei) zugehörigen Gewerkschaft so stark von allen Teilen der sozialen Bewegung unterstützt wird, einschließlich des antiautoritären Milieus.
Es ist nichts Neues, dass die Mehrheit der Gewerkschaften in der Schwerindustrie durch die Kommunisitische Partei (KKE) kontrolliert wird. Ihre Funktionäre sind in allen größeren Betrieben aktiv, in denen hauptsächlich Leute mit regulären Arbeitsverträgen beschäftigt sind, sie überlassen die Organisierung der prekären ArbeiterInnen der antiautoritären Bewegung. Immer, wenn ich das Werk besucht habe oder auf einer Demo in Athen war, waren hochrangige Funktionäre bei den Streikenden. Wir wissen zu gut, wie eine Kommunistische Partei funktioniert, sich als Avantgarde begreift und divergierende Meinungen ausschließt, unterdrückt und bestraft. Wir kennen alle die dreckige Rolle der KP während und nach dem Zweiten Weltkrieg, während des Bürgerkriegs und auch noch in den 70ern. Damals tat die Partei ihr Bestes für die Auflösung unabhängiger Gewerkschaften, die ihren Plänen für ein Gewerkschaftsimperium, das mit den Bossen im Konsens verhandeln würde, im Weg standen. Aber…
…aber die Versammlung der Stahlarbeiter hat seit ihrem ersten Treffen eine Bedeutung gewonnen, die den Rest der Gesellschaft überrascht hat. Auch wenn sie in einem Text vom 15. November behauptet, die PAME stehe an ihrer Seite, schreibt sie am 31. November: »Gewerkschaften, Arbeitslose, Arme, StudentInnen, SchülerInnen, ihr alle helft uns mit den Löhnen, die ihr gar nicht habt«, und weist so auf die viel umfassendere Unterstützung hin. In ihrem dritten Text stellt sie sich recht klar auf einen Klassenstandpunkt: »Wir sind nicht eure Untergebenen! Nach 35 Streiktagen gibt es kein zurück. Dieser Streik ist eine Universität, wie ihr sie nie besucht habt.« Er endet mit den Worten: »Wir sind alle gefeuert. Ihr wollt uns für 500 Euro zu Sklaven machen.« Ich kann nicht sagen, ob dieser Klassenstandpunkt von PAME für einen Gwerkschaftskampf so geplant war, oder ob sie dem deutlichen Willen der Streikenden nachgeben musste. Es scheint, als wäre selbst die Politik der KP im Moment das Ergebnis eines Kampfs zwischen der Führung und den Mitgliedern. Die Zeiten werden immer härter, und die Partei wendet sich einem Klassendiskurs zu, um den ArbeiterInnen entgegenzukommen, die brutalen Sparmaßnahmen und Lohnkürzungen ausgesetzt sind. Die Stahlarbeiter, mehrheitlich Mitglieder der KP, sind sich bewusst, dass die riesige Solidarität mit ihrem Kampf weit über die PAME hinausgeht. Aber was passiert, wenn politische Entscheidungen gefällt werden müssen?
In der zweiten und dritten Januarwoche kam es zu einer militanten Öffnung des Streiks für andere ArbeiterInnen. Am 12. kamen zwei Busse mit Stahlarbeitern aus Attica nach Volos, um den Leuten vor Ort (die KP, Mitglieder linksradikaler Parteien und Leute aus dem antiautoritären Milieu) bei der Blockade der anderen Betriebe von Halivourgia zu helfen. Sie schafften es, beide Werke den ganzen Tag zum Stillstand zu bringen. Der zweite Versuch am 17. war nicht ganz so erfolgreich. Einige der Arbeiter waren seit dem Abend vorher im Werk und versucheten, es am Laufen zu halten. Da die Produktionskette unterbrochen war, funktionierte der Betrieb aber dennoch nicht, und einige der Arbeiter drinnen kamen ans blockierte Tor und sprachen mit den Streikenden. Über ihnen hing ein großes Transparent mit dem Slogen »Nein zur Diktatur der PAME«. Viele der Arbeiter, die gegen den Streik sind, hatten Angst, dass ihre Kollegen aus Aspropirgos die Fabrik besetzen und die Produktion anhalten würden.
Der 17.1. sollte ein Aktionstag in Solidarität mit den Streikenden sein. Er wurde von der PAME ausgerufen, von einigen Wokers‘ Centers unterstützt und vom Griechischen Gewerkschaftsbund ignoriert. Er endete mit einer starken Demo der PAME auf einem der zentralen Plätze Athens und einer schwachen Demo der restlichen Militanten auf dem anderen. Die Streikenden entschieden sich, mit der PAME zu demonstrieren und riefen auch alle anderen Streikenden dazu auf. Damit war die Möglichkeit für einen gemeinsamen Marsch aller streikenden ArbeiterInnen versperrt, weil die IndustriearbeiterInnen mit der PAME liefen und die JournalistInnen mit den Militanten. Im Augenblick der politischen Entscheidung entschieden sich die Stahlarbeiter für die Sicherheit bei der KP.
Sonntag, 22.1., erneuter Besuch bei Halivourgia. Einer der Streikenden führt mich durchs Werk. Er erklärt, wie alles funktioniert. »Vasilis, was machst du, wenn Manesis euch alle feuert?« »Wir werden bleiben, wir alle, draußen vor dem Tor, und die Fabrik besetzt halten. Was kann er schon tun? Er darf keine anderen Leute anstellen.« Später kommt eine Frau in das kleine Wachhäuschen, das die Streikenden jetzt als Pausenraum nutzen. Die Ehefrauen der Streikenden waren in den vergangenen drei Monaten sehr aktiv. »Seit dieser Streik angefangen hat, fühle ich mich wie ein Mensch. Immer, wenn jemand etwas vorbeibringt, fühle ich mich so…«
Nach drei Monaten sind alle etwas erschöpft. Aber der Streik hat noch einen langen Weg vor sich…
1Dem Nationalen Statistikamt zufolge verteilt sich die wirtschaftlich aktive Bevölkerung Griechenlands im Jahre 2001 wie folgt: von insgesamt von 4.614.499 sind 12.043 Bergarbeiter, 530.515 arbeiten in der Produktion, 38.547 in der Wasser-, Gas- und Elektrizitätsversorgung und 375.660 im Baugewerbe (es handelt sich hier um die Periode vor den Olympischen Spielen, als es viele öffentlische Baumaßnahmen gab), vom Rest sind 599.755 Bauern. 1981 gab es im Vergleich 1.305.611 IndustriearbeiterInnen (darunter sind alle obigen Kategorien zusammenfasst) bei insgesamt 3.543.797 Beschäftigten.
2Bei zahlreichen Demos wurde Wut auf die PolitikerInnen zum Ausdruck gebracht. In Thessaloniki wurde die traditionelle Militärparade abgesagt.