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10.03.2020

Soziale Ansteckung

Mikrobiologischer Klassenkampf in China

Wir haben diesen Text von Ende Februar vom Blog der Zeitschrift Chuang schnell übersetzt und online gestellt, um der ganzen Panik etwas Fundierteres entgegenzusetzen. Ein erster Kritikpunkt wäre, dass die Autoren die Industrialisierung als eine einzige Apokalypse beschreiben. Eine gute Grundlage für weitere Diskussionen ist der Text allemal!
Im englischen Original sind an vielen Stellen Links eingefügt, um Aussagen zu belegen. Wir haben sie nicht übernommen, ihr findet sie im Originaltext.

Der Hochofen

Umgangssprachlich gilt Wuhan als einer der »vier Hochöfen« Chinas. Den bedrückend feuchtheißen Sommer teilt es mit Chongqing, Nanjing und Nanchang (andere zählen Changsha auf), quirlige Städte mit einer langen Geschichte, am Yangtse gelegen oder nah an seinem Flusstal. Unter den Vieren glänzt Wuhan aber mit echten Hochöfen. Der massige urbane Komplex bildet so etwas wie einen Kern der Stahl-, Beton- und bauorientierten Industrie Chinas, sein Stadtbild gesprenkelt mit den langsamkühlenden Gebläsehochöfen der verbleibenden Stahl- und Eisenschmelzen im Staatseigentum, die geplagt von Überproduktion in eine weitere umstrittene Phase von Rückbau, Privatisierung und Umstrukturierung gezwungen werden – dies allein schon Ursache für mehrere große Streiks und Proteste in den letzten fünf Jahren. Auf den Punkt gebracht ist Wuhan die Hauptstadt der chinesischen Bauindustrie. Als solche hatte die Stadt eine besonders hervorgehobene Rolle in der Phase nach der (letzten) ökonomischen Krise, denn in dieser Zeit wurde das Wachstum durch Immobilien- und Infrastruktur-Projekte aufgebläht. Die Blase hat Wuhan nicht nur mithilfe seines Überangebots an Baumaterialien und Ingenieuren im Staatsdienst vergrößert, sondern wurde selbst zu einem Produkt des Immobilienbooms. Nach unseren Berechnungen hatten in den Jahren 2018-2019 die Baugrundstücke in Wuhan nach ihrem Umfang die Gesamtfläche der Insel Hongkong.

Inzwischen scheint dieser Antriebsofen der chinesischen Nach-Krisen-Ökonomie abzukühlen, ganz ähnlich denen der Stahl- und Eisenkocher. Obwohl der Vorgang schon seit einer Weile lief, stimmt das Bild neuerdings nicht nur im einfachen ökonomischen Sinn. Seit mehr als einem Monat ist die einst hektische Stadt abgeriegelt, sind ihre Straßen auf Regierungsanweisung entleert. »Der wichtigste Beitrag, den Sie leisten können, lautet: Versammeln Sie sich nicht, verursachen Sie kein Chaos« – so stand es groß gedruckt in der Guangmin-Tageszeitung, die unter der Leitung der Propaganda-Abteilung der KP Chinas steht. Die glitzernden Stahl- und Glasbauten in den neuen Prachtstraßen Wuhans liegen nun kalt und leer, während der Winter übers Neujahrsfest vergeht und die Stadt unter den Beschränkungen der Quarantäne stagniert. Sich zu vereinzeln ist ein kluger Ratschlag in China, wo das Ausbrechen des neuen Corona-Virus (kürzlich umbenannt in »SARS-CoV-2« und die von ihm ausgelöste Krankheit in »COVID-19«) bereits mehr als zweitausend Menschen das Leben gekostet hat – mehr als die SARS-Epidemie von 2003. Das ganze Land steht unter Ausgangssperre, wie schon bei SARS. Die Schulen sind geschlossen, und überall bleiben die Leute zusammengepfercht in ihren Wohnungen. Fast die gesamte Wirtschaftstätigkeit kam zum Neujahrsfest am 25. Januar zum Erliegen. Die Unterbrechung wurde auf einen Monat verlängert, um die Ausbreitung der Epidemie zu behindern. Es scheint, als hätten die Hochöfen Chinas aufgehört zu brennen, oder als würden sie nur noch schwach glühen. In einem anderen Sinn ist die Stadt selbst zu einem Ofen geworden, denn das Coronavirus brennt sich durch die Masse der Bevölkerung wie ein heftiges Fieber.

Das Ausbrechen der Krankheit ist fälschlich allem Möglichen zugeschrieben worden: vom verschwörerischen und/oder zufälligen Freisetzen einer Virengeneration aus dem Institut für Virologie in Wuhan – eine zweifelhafte Unterstellung, die durch soziale Netze, vor allem über paranoide Facebook-Posts aus Hongkong und Taiwan verbreitet, aber inzwischen von konservativen Pressestellen und militärischen Nutznießern aufgebläht wird – bis hin zur (angeblichen) Neigung der chinesischen Bevölkerung »unsaubere« oder »abartige« Nahrungsmittel zu verzehren. Dies Letztere, weil die Virenausbreitung auf Fledermäuse oder Schlangen zurückgeführt wird, die auf halblegalen, auf Wild und seltene Tiere spezialisierten wet markets1 angeboten werden (obwohl das nicht der tatsächliche Ursprungsort ist2). Diese beiden Themen rücken die offensichtliche Kriegstreiberei und den Orientalismus ins Blickfeld, die die Berichterstattung über China kennzeichnen, das haben schon einige kritische Medienartikel dargelegt. Doch auch diese Reaktionen tendieren zur Verengung auf die kulturellen Zusammenhänge des Virus – und beschäftigen sich weniger mit den weit brutaleren Kräften, die unterhalb des Medienzirkus im Verborgenen wirken.

Eine leicht abgewandelte Variante begreift wenigstens die ökonomischen Folgewirkungen, auch wenn die möglichen politischen Effekte in rhetorischer Absicht übertrieben werden. Hier begegnen uns die üblichen Verdächtigen, von den bekannten drachentötenden Kriegsfalken bis hin zu aufgeregten reichen Liberalen: Pressefirmen vom National Review bis hin zur New York Times orakeln bereits darüber, wie der Virenausbruch zur Legitimitätskrise der KP Chinas führen könnte, obwohl bisher kaum ein Hauch von Aufstand zu spüren ist. Doch der wahre Kern solcher Voraussagen liegt da, wo sie die wirtschaftlichen Dimensionen der Quarantäne erfassen – ein Aspekt, der Journalisten mit einem Aktien-Portfolio dicker als ihr Kopf schwerlich entgehen kann. Denn offenbar ist, dass die Leute trotz der Regierungsappelle zum Abstandhalten bald gezwungen sein werden, sich zu »versammeln«, um sich der Produktion zu widmen. Den letzten Schätzungen zufolge wird die Epidemie Chinas Wirtschaftswachstum auf fünf Prozent verlangsamen, unterhalb der bereits alarmierenden Wachstumsziffer von sechs Prozent im vergangenen Jahr, der niedrigsten in drei Jahrzehnten. Einige Analysten haben prognostiziert, das Wachstum im ersten Quartal könnte auf vier Prozent oder noch tiefer sinken, und es könnte hieraus eine weltweite Rezession entstehen. Eine bislang undenkbare Frage wurde gestellt: Was kommt eigentlich auf die Weltwirtschaft zu, wenn der chinesische Hochofen erkaltet?

In China selbst ist der Verlauf dieser Ereignisse schwer vorauszusagen, doch hat der Augenblick bereits einen raren Prozess des gemeinschaftlichen Fragens und der Besinnung auf die Gesellschaft ausgelöst. Die Epidemie hat (nach den vorsichtigsten Schätzungen) nahezu 80 000 Menschen direkt infiziert. Doch 1,4 Milliarden hat sie einen Schock vermittelt, der ihren Alltag unter dem Kapitalismus grell beleuchtete und sie in einem Augenblick der Verunsicherung zur Selbstbesinnung zwang. Zeitgleich stellten sich Alle eine Reihe tiefgreifender Fragen: Was wird mit mir? Mit meinen Kindern, meiner Familie, meinen Freunden? Wird es für uns genug zu essen geben? Wird mein Einkommen gezahlt? Wird mein Geschäft sich rentieren? Wer trägt hier für alles die Verantwortung? Auf ungewohnte Weise entspricht die Einzelerfahrung der eines Massenstreiks – aber eines solchen, der in seiner nicht-spontanen, von oben verordneten und insbesondere unfreiwilligen Total-Atomisierung die Grundrätsel unserer strangulierten politischen Gegenwart ebenso klar hervortreten lässt, wie die Massenstreiks des letzten Jahrhunderts die Widersprüche ihrer Ära erhellten. Die »Quarantäne« erscheint somit wie ein Streik, der seiner gemeinschaftsbezogenen Charakteristika beraubt aber gleichwohl geeignet ist, sowohl der Psyche als auch der Volkswirtschaft einen tiefgreifenden Schock zu versetzen. Schon dieser Umstand allein macht sie bedenkenswert.

Selbstverständlich handelt es sich bei Spekulationen über den bevorstehenden Sturz der KPCh, ein beliebter Zeitvertreib des 'New Yorker' und des 'Economist', um vorhersehbaren Unsinn. Inzwischen rollen die normalen Medienunterdrückungsrituale ab, in denen offenkundig rassistische Leitartikel in den Massenmedien gekontert werden von Kommentaren auf Web-Plattformen, die gegen Orientalismus und andere Ideologie-Facetten polemisieren. Doch fast die gesamte Diskussion bleibt auf dem Niveau der Abbildung ― oder bestenfalls dem der Eindämmungspolitik und der wirtschaftlichen Folgen der Epidemie ― ohne Auseinandersetzung mit den Fragen, wie solche Krankheiten produziert, noch weniger, wie sie verbreitet werden. Nicht einmal dies wäre jedoch genug. Überflüssig ist der »eins-zwei-drei«-Marxismus, der dem Schurken die Maske abreißt, um festzustellen: ja, es war wirklich der Kapitalismus, der das Coronavirus hervorgebracht hat. Das wäre auch nicht scharfsinniger als die Auslandskommentatoren, die hinter dem Regime-Wechsel herschnüffeln. Selbstverständlich ist der Kapitalismus schuld, aber wie, und zwar: genau wie findet die Verzahnung der sozial-ökonomischen Sphäre mit der biologischen statt, und welche Lehren sind im Einzelnen aus der Gesamterfahrung zu ziehen?

In diesem Sinn verstanden, bietet das Ausbrechen der Epidemie zwei günstige Anlässe für das Nachdenken: Zunächst öffnet sich ein lehrreicher Durchblick, in dem wir substanzielle Fragen hinsichtlich der kapitalistischen Produktion in ihrem Verhältnis zur nicht-menschlichen Welt auf einem grundlegenden Niveau neu bewerten können, weil nämlich, kurz gesagt, die »natürliche Welt« unter Einschluss ihrer mikrobiologischen Unterschichten ohne Bezug zur gesellschaftlichen Organisierung der Produktion unverständlich bleibt (da die beiden nämlich nicht getrennt von einander existieren). Zugleich werden wir daran erinnert, dass der einzige Kommunismus, der den Namen wert ist, das Potenzial für einen voll politisierten Naturalismus enthält. Zum Zweiten können wir diesen Augenblick der Isolation für unsere eigenen Überlegungen zum gegenwärtigen Zustand der chinesischen Gesellschaft nutzen. Manche Dinge werden erst deutlich, wenn Alles auf einen unvorhergesehenen Halt heruntergebremst wird. Eine Verlangsamung hilft zwangsläufig dazu, vorher verborgene Spannungen sichtbar zu machen. Weiter unten werden wir diesen beiden Fragen nachgehen und nicht nur zeigen, wie die kapitalistische Akkumulation solche Plagen hervorruft, sondern auch wie der Augenblick der Pandemie selbst ein widersprüchlicher Zustand politischer Krise bildet, die den Menschen die vorher ungesehenen Potenziale und Abhängigkeiten in der sie umgebenden Welt erkennbar machr, während sie zugleich einen weiteren Vorwand für die Ausdehnung der Kontrollsysteme in die Alltagsabläufe bietet.

Seuchenproduktion

Wie ihre Vorläufer Vogelgrippe und Schweinegrippe ist das Virus, welches die gegenwärtige Epidemie bestimmt (SARS-CoV-2), an einem Verknüpfungspunkt zwischen Ökonomie und Epidemiologie entstanden. Nicht zufällig führen so viele dieser Viren Tiernamen in ihren Bezeichnungen: Die Ausbreitung neuer Krankheiten auf die Humanbevölkerung ist fast durchweg das Ergebnis sogenannter ‚zoonotischer Übertragung‘, eine fachsprachliche Ausdrucksweise für das Springen solcher Infektionen von Tieren auf Menschen. Das Über-Springen von einer Spezies auf die nächste ereignet sich unter bestimmten Bedingungen von Nähe und regelmäßigem Kontakt. Zusammengefasst bilden diese Faktoren die Umgebung, in der sich die Krankheit entwickeln muss. Ändert sich diese Schnittstelle zwischen humaner und animalischer Welt, so ändern sich auch die Bedingungen, unter denen die Krankheit sich fortentwickelt. Unter den vier Hochöfen (am Yang-Tse) erhitzt sich ein tiefer gelegener Ofen, der die industriellen Zentren der Welt unterfüttert: der evolutionäre Dampfkochtopf der kapitalistischen Agrikultur und Urbanisierung. Er stellt das ideale Medium dar, in dem immer verheerendere Seuchen erzeugt, verändert und zu zoonotischen Sprüngen veranlasst werden, die dann auf aggressive Weise auf die Menschen übertragen werden. Hinzu kommen ähnlich tiefgreifende Abläufe in den Randzonen der Ökonomie, wo »Wildgebiete« dem Druck von Menschen ausgesetzt sind, die gezwungenermaßen immer umfangreichere agroökonomische Eingriffe in lokale Ökosysteme vornehmen. Mit seiner »wilden« Ursprungslegende und seiner blitzschnellen Verbreitung inmitten eines hochindustrialisierten, verstädterten Kernbereichs der Weltwirtschaft demonstriert das jüngste Coronavirus beide Dimensionen unserer neuen Ära politisch-ökonomischer Seuchen.

Der dargelegte Grundgedanke wurde am gründlichsten von linksgerichteten Biologen wie Robert G. Wallace entwickelt, dessen 2016 erschienenes Buch Big Farms Make Big Flu (»Große Farmen bringen große Grippe«) das Thema der Verbindung zwischen kapitalistischer Landwirtschaft und der Ursachenkette vorausgehender Epidemien von SARS bis Ebola erschöpfend behandelt.3 Diese Epidemien lassen sich vorläufig in zwei Gruppen unterteilen. Die erste umfasst solche, die sich in Kernbereichen der agroökonomischen Wertschöpfung entwickeln, die zweite in deren »Hinterland«. Im Nachweis der Ausbreitung von H5N5, bekannt als »Vogelgrippe«, fasst er bestimmte geografische Schlüsselfaktoren von Epidemien zusammen, die in produktiven Kernzonen entstehen:

Ländliche Flächen in vielen der ärmsten Länder tragen inzwischen die Kennzeichen von ungeregelter Agroökonomie, unmittelbar neben weiträumigen städtischen Slums. Die unüberwachte Übertragung in anfälligen Gegenden erhöht die genetische Variationsbereitschaft, unter der H5N5 humanspezifische Eigenschaften entwickeln kann. Bei seiner Verbreitung über drei Kontinente tritt H5N5 in Berührung mit einer wachsenden Anzahl sozioökonomischer Umfelder einschließlich ortstypischer Verbindungen von vorherrschenden Wirtsformen, Varianten der Massengeflügelhaltung und Maßnahmen der Veterinärmedizin.4

Solche Verbreitung folgt selbstverständlich den weltweiten Warenkreisläufen und den üblichen Wanderungsbewegungen der Arbeitskraft, welche die Geographie der kapitalistischen Ökonomie bestimmen. Als Ergebnis erscheint »ein Typus von eskalierender breiteninfektiöser Selektion« über welche das Virus sich auf einer größeren Anzahl evolutionärer Pfade in kürzerer Zeit positioniert, was die erfolgreichsten Varianten befähigt, die anderen im Wettbewerb zu verdrängen.

Dies jedoch lässt sich leicht beweisen und ist bereits Alltagsweisheit in der Berichterstattung: der Umstand, dass die »Globalisierung« die Ausbreitung solcher Krankheiten beschleunigt, wenn auch hier mit dem bedeutenden Zusatz, dass diese Verbreitung selbst das Virus zu lebhafterer Mutation anregt. Die entscheidende Frage stellt sich allerdings schon früher: Vor der Ausbreitung, welche die Vitalität solcher Krankheit(skeime) erhöht, intensiviert die kapitalistische Grundlogik die Tendenz, vorher abgeschottete oder harmlose Virenstämme in extrem selektionsfördernde Umfelder zu versetzen. Hier finden diese Stämme Bedingungen, die für epidemische Formen günstig sind: schnelle virale Lebenszyklen, die Spannkraft für zoonotische Sprünge zwischen Träger-Arten und die Fähigkeit, neue Übertragungshilfen zu generieren. Diese Virenstämme treten gerade wegen ihrer Virulenz hervor. Rein rechnerisch scheint es, als müsste die Entwicklung virulenterer Stämme die entgegengesetzte Wirkung haben, weil der schnelle Tod des Wirtes dem Virus weniger Zeit für die Verbreitung lässt. Die Alltagserkältung bietet ein gutes Beispiel für dieses Prinzip. Ihre niedrige Intensität erleichtert die Verbreitung in der Bevölkerung. Doch in bestimmten Umfeldern gewinnt die entgegengesetzte Logik an Wahrscheinlichkeit: Findet ein Virus zahlreiche Wirte in der nahen Umgebung vor, und besonders, falls solche Wirte bereits unter verkürzter Lebenserwartung stehen, so verwandelt sich die höhere Virulenz in einen Evolutionsvorteil.

Die Vogelgrippe liefert wiederum ein gutes Beispiel. Wallace erläutert Untersuchungsergebnisse: »...keine endemischen hoch pathogenen Stämme [von Grippe] bei Wildvogel-Populationen, dem absoluten Ursprungsreservoir nahezu sämtlicher Grippe-Unterarten.«5 Domestizierte Populationen hingegen, dicht gedrängt bei industrieller Haltung, scheinen in deutlicher Verbindung mit Ausbrüchen vorzukommen – und dies aus naheliegenden Gründen:

Aufzucht genetischer Monokulturen von Haustieren beseitigt jede Art von immunologischer »Brandmauer«, die Krankheitsübertragung verlangsamen könnte. Größere Populationen und höhere Belegungsdichte fördern wachsende Übertragungsquoten. Die Lebensbedingungen bei erhöhter Belegung vermindern Immunreaktionen. Hoher Durchsatz, wie er zu jeder industriellen Produktion gehört, stellt unablässig neue Infektionskandidaten bereit, Brennstoff für die Evolution der Virulenz.6

Selbstredend entsteht jedes dieser Merkmale aus der Logik des industriellen Wettbewerbs. Insbesondere hat der hohe Durchsatz in diesen Kontexten erhebliche biologische Dimensionen: »Sobald Tiere aus industrieller Haltung das richtige Gewicht erreichen, werden sie getötet. Vorhandene Grippeinfektionen müssen bei jedem Einzeltier den Schwellenwert für die Übertragung schnell erreichen [...] Je schneller die Viren entstehen, desto größer der Schaden für das Tier.«7 Ironischerweise können Versuche, derartige Ausbrüche durch Massenschlachtung zu unterdrücken, eine unbeabsichtigte Folge haben. Sie verschärfen den Selektionsdruck weiter und verursachen die Evolution hypervirulenter Stämme. So war es jedenfalls bei der kürzlich aufgetretenen Schweinepest, die zum Verlust von ungefähr einem Viertel des Weltangebots an Schweinefleisch führte. Obwohl sich in der Geschichte solche (epidemischen) Ausbrüche bei domestizierten Tierarten oft nach Kriegszeiten oder Umweltkatastrophen ereignet haben, die vermehrte Forderungen an den Viehbestand zur Folge hatten, so gehen doch anschwellende Intensität und Virulenz derartiger Krankheiten unbestreitbar mit der Ausbreitung der kapitalistischen Produktionsweise einher.

Geschichte und Entstehen von Krankheiten

Seuchen stellen in hohem Maße den Schlagschatten der kapitalistischen Industrialisierung dar und sind gleichzeitig deren Vorboten. Die offensichtlichen Fälle von Pocken und anderen Pandemien, die nach Nordamerika eingeschleppt wurden, sind ein zu einfaches Beispiel, da ihre Intensität durch die langfristige Separierung von Bevölkerungen durch die Geographie verstärkt wurde - und diese Krankheiten hatten ihre Virulenz ohnehin schon durch vorkapitalistische Handelsnetze und die frühe Urbanisierung in Asien und Europa erlangt. Wenn wir stattdessen nach England schauen, wo der Kapitalismus zuerst auf dem Land durch das massenhafte Abräumen der Bauern entstand, die durch monokulturelle Massentierhaltung ersetzt wurden, sehen wir die frühesten Beispiele für diese ausgesprochen kapitalistischen Seuchen. Im England des 18. Jahrhunderts traten drei verschiedene Pandemien auf, die von 1709-1720, 1742-1760 und 1768-1786 wüteten. Der Ursprung jeder dieser Pandemien war importiertes Vieh aus Europa, das von den normalen vorkapitalistischen Pandemien, die auf Kriege folgten, infiziert war. Aber in England wurde das Vieh bereits in neuen Haltungsarten konzentriert; dort konnte die importierten infizierten Rinder die Herden schneller anstecken als auf dem Festland. Es ist also kein Zufall, dass sich die Ausbrüche auf die großen Londoner Molkereien konzentrierten, die ein ideales Umfeld für die Verstärkung des Virus boten.

Letztendlich wurden die Ausbrüche jeweils durch selektive, kleinere, frühzeitige Schlachtungen in Verbindung mit der Anwendung moderner medizinischer und wissenschaftlicher Praktiken eingedämmt – im Wesentlichen ähnlich wie bei der Bekämpfung solcher Epidemien heute. Hier zeigt sich zum ersten Mal das, was sich zu einem klaren Muster entwickelte und eine Wirtschaftskrise imitiert: immer intensivere Zusammenbrüche, die das gesamte System an den Abgrund zu bringen scheinen, die aber letztlich durch eine Kombination aus Massen-Opferung, die den Markt / die Bevölkerung räumt, und einer Intensivierung des technologischen Fortschritts überwunden werden. In diesem Fall moderne medizinische Techniken und neue Impfstoffe, die oft in zu geringen Mengen und zu spät eintreffen, aber nichtsdestotrotz dabei helfen, in der Nachfolge der Verwüstungen die Dinge wieder zu bereinigen.

Aber dieses Beispiel aus der Heimat des Kapitalismus sagt nichts ohne eine Erklärung der Auswirkungen kapitalistischer landwirtschaftlicher Praktiken an der Peripherie. Während die Rinderpandemien im frühkapitalistischen England eingedämmt wurden, waren ihre Folgen in anderen Ländern weitaus verheerender. Die größten Auswirkungen hatte wohl der Ausbruch der Rinderpest in Afrika in den 1890er Jahren. Der Zeitpunkt des Ausbruchs ist kein Zufall: Die Rinderpest hatte Europa mit einer Intensität geplagt, die dem Wachstum der großflächigen Landwirtschaft direkt entsprach; die Seuche wurde nur durch den wissenschaftlichen Fortschritt in Schach gehalten. Doch das Ende des 19. Jahrhunderts sah den Höhepunkt des europäischen Imperialismus, versinnbildlicht durch die Kolonisierung Afrikas. Die Rinderpest kam mit den Italienern nach Ostafrika, die durch die Kolonisierung des Horns von Afrika zu anderen imperialen Mächten aufzuschließen versuchten. Die militärischen Kampagnen zur Kolonisierung endeten meist mit einem Misserfolg. Aber die Seuche verbreitete sich über die einheimischen Rinderherden und fand schließlich ihren Weg nach Südafrika. Dort verwüstete die Seuche die frühe kapitalistische Agrarwirtschaft der britischen Kolonie und tötete sogar die Herde des berüchtigten weißen Rassisten Cecil Rhodes.

Der bedeutende historische Effekt war unbestreitbar: Die Pest, bei der bis zu 80-90 Prozent des Viehs getötet wurden, führte zu einer beispiellosen Hungersnot in den überwiegend von Viehzucht geprägten Gesellschaften in Subsahara-Afrika. Auf diese Entvölkerung folgte dann die invasive Besiedlung der Strauchlandschaften durch Dornenbüsche. Diese wiederum boten der Tsetsefliege passenden Lebensraum, die sowohl die Schlafkrankheit mit sich bringt als auch das Weiden des Viehs verhindert. Dadurch wurde die Wiederansiedlung in der Region nach der Hungersnot eingeschränkt – freie Bahn für die europäischen Kolonialmächte auf dem Kontinent.

Neben ihren Folgen wie periodischen Agrarkrisen und apokalyptischen Bedingungen, die dem Kapitalismus über seine frühen Grenzen hinaus zu expandieren halfen, haben solche Seuchen auch das Proletariat im industriellen Kern selbst getroffen. Zuerst sei noch einmal darauf hingewiesen, dass der Ausbruch des Coronavirus nichts einzigartig Chinesisches an sich hat. Warum so viele Epidemien in China zu entstehen scheinen, hat keine kulturellen Ursachen, sondern ist eine Frage der Wirtschaftsgeographie. Das wird überdeutlich, wenn wir China mit den USA oder Europa vergleichen, als diese Zentren der globalen Produktion und der massenhaften Industriearbeiterschaft waren.8 Das Ergebnis ist grundsätzlich identisch, mit allen Merkmalen: Dem Aussterben des Viehbestands auf dem Land entsprach in der Stadt schlechte Hygiene und weit verbreitete Verschmutzung. Die frühen liberal-progressiven Reformbemühungen in Arbeitergegenden nahmen diese Zustände in den Fokus – wie es auch die Rezeption von Upton Sinclairs Roman »Der Dschungel« zeigt: Ursprünglich geschrieben, um das Leiden der eingewanderten Arbeiter in der Fleischindustrie zu dokumentieren, wurde der Roman von reicheren Liberalen aufgegriffen, die sich über die Vorstöße gegen sanitäre Vorschriften und die allgemein unhygienischen Bedingungen Sorgen machten, unter denen ihre eigenen Lebensmittel hergestellt wurden.

Diese liberale Empörung über die »Unreinlichkeit« mit all ihrem impliziten Rassismus dürfte immer noch die fast schon automatische Reaktion der meisten Menschen beschreiben, wenn sie mit den politischen Dimensionen von Coronavirus oder SARS konfrontiert werden. Aber die Arbeiter haben wenig Kontrolle über die Bedingungen, unter denen sie arbeiten. Mehr noch: Zwar dringen unhygienische Bedingungen durch die Kontamination von Nahrungsmitteln auch aus der Fabrik heraus, aber dies ist wirklich nur die Spitze des Eisbergs. Solche Bedingungen sind die Norm für diejenigen, die in solchen Umgebungen arbeiten oder in nahe gelegenen Arbeitersiedlungen leben. Diese Bedingungen verschlechtern den Gesundheitszustand der Bevölkerung, wodurch noch bessere Bedingungen für die Verbreitung der vielen Seuchen des Kapitalismus geschaffen werden.

Ein berühmtes Beispiel: die Spanische Grippe, eine der tödlichsten Pandemien der Geschichte. Es war einer der frühesten Ausbrüche der H1N1-Grippe (ähnlich wie neuere Ausbrüche der Schweine- und Vogelgrippe). Lange ging man davon aus, dass die Spanische Grippe sich aufgrund der hohen Zahl der Todesopfer qualitativ von anderen Grippevarianten irgendwie unterscheidet. Dies scheint zwar zum Teil zu stimmen (aufgrund der Fähigkeit der Spanischen Grippe, eine Überreaktion des Immunsystems hervorzurufen). Aber aufgrund späterer Recherchen zu Analysen und epidemiologischen Untersuchungen ergab sich, dass die Spanische Grippe möglicherweise nicht viel virulenter war als andere Grippe-Viren. Stattdessen sorgten wohl in erster Linie die weit verbreitete Unterernährung, die Überbevölkerung der Städte und die allgemein unhygienischen Lebensbedingungen in den betroffenen Gebieten für die hohe Todesrate. Diese Bedingungen begünstigten zudem nicht nur die Ausbreitung der Spanischen Grippe selbst, sondern auch bakterielle Superinfektionen über die zugrundeliegende virale Infektion hinaus.9

Anders gesagt: Die Zahl der Todesopfer durch die Spanische Grippe wurde zwar als eine unvorhersehbare Abweichung im Charakter des Virus gesehen, sie erhielt aber durch die sozialen Bedingungen einen besonderen Auftrieb. Ermöglicht wurde die rasche Ausbreitung der Grippe durch den globalen Handel und die globale Kriegsführung der sich damals schnell verändernden Imperialismen, die den ersten Weltkrieg überlebt hatten. Und erneut ist es die bereits bekannte Geschichte, wie ein solch tödlicher Grippestamm überhaupt entstehen konnte: Obwohl der genaue Ursprung noch immer etwas unklar ist, nimmt man heute an, dass der Virus wahrscheinlich von domestizierten Schweinen oder Geflügel aus Kansas stammt. Zeit und Ort sind in diesem Fall bemerkenswert, da die Jahre nach dem Krieg ein Wendepunkt für die amerikanische Landwirtschaft waren. Mechanisierte, fabrikähnliche Produktionsmethoden verbreiteten sich zunehmend. Diese Trends verstärkten sich in den 1920er Jahren nochmals; die massenhafte Anwendung von Techniken wie dem Mähdrescher führte sowohl zu einer allmählichen Monopolisierung als auch zu einer ökologischen Katastrophe, die die Dust-Bowl-Krise10 und die darauf folgende Massenmigration auslöste. Die Konzentration des Viehbestands, die die späteren Fabrikbetriebe ausmachte, war noch nicht umgesetzt, aber die einfacheren Formen der Konzentration und intensiver Bewirtschaftung, die bereits zu Tierseuchen in ganz Europa geführt hatten, waren nun die Norm. Wenn die englischen Rinderepidemien des 18. Jahrhunderts der erste Fall einer eindeutig kapitalistischen Viehseuche waren und die Rinderpest im Afrika der 1890er Jahre der größte epidemiologische Genozid des Imperialismus, dann kann die Spanische Grippe als die erste kapitalistische Seuche für das Proletariat verstanden werden.

Vergoldetes Zeitalter

Die Parallelen zum aktuellen chinesischen Fall sind auffallend. Um COVID-19 zu verstehen, müssen wir uns ansehen, wie Chinas Entwicklung der letzten Jahrzehnte in und durch das globale kapitalistische System das Gesundheitssystem des Landes und den Zustand der öffentlichen Gesundheit im Allgemeinen geprägt hat. Die Epidemie mag neu sein, ähnelt aber anderen Gesundheitskrisen vor ihr. Sie werden mit fast derselben Regelmäßigkeit wie Wirtschaftskrisen produziert und in der Publikumspresse ganz ähnlich behandelt: als wären sie zufällige »Schwarzer-Schwan«-Ereignisse11, völlig unvorhersehbar und beispiellos. In Wirklichkeit aber folgen diese Gesundheitskrisen ihren eigenen chaotischen, zyklisch und mit steigender Wahrscheinlichkeit wiederkehrenden Mustern, denn dahinter stehen strukturelle, dem Wesen der Produktion und dem proletarischen Leben im Kapitalismus innewohnende Widersprüche. Ähnlich wie die Spanische Grippe konnte sich das Coronavirus ursprünglich durch eine allgemeine Verschlechterung der medizinischen Grundversorgung in der breiten Bevölkerung rasch durchsetzen und ausbreiten. Aber gerade, weil diese Verschlechterung inmitten eines spektakulären Wirtschaftswachstums stattfand, wurde sie verdeckt vom Prunk der glitzernden Städte und gewaltigen Fabriken. In Wirklichkeit sind die Ausgaben für öffentliche Güter wie Gesundheitsversorgung und Bildung in China nach wie vor extrem niedrig, während der Großteil der öffentlichen Ausgaben in die konventionelle Infrastruktur (Brücken, Straßen und billige Elektrizität für die Produktion) geflossen ist.

Gleichzeitig ist die Qualität der Produkte auf den einheimischen Märkten oft gefährlich schlecht. Seit Jahrzehnten produziert die chinesische Industrie hochwertige Exporte, die nach den höchsten globalen Standards für den Weltmarkt hergestellt werden. Dazu gehören beispielsweise fertige Geräte wie iPhones, aber auch Zulieferteile wie Computerchips. Die Waren jedoch, die für den Verbrauch auf dem heimischen Markt vorgesehen sind, sind von miserabler Qualität und rufen regelmäßig Skandale sowie tiefes öffentliches Misstrauen hervor. Die vielen Fälle sind ein deutliches Echo auf Sinclairs »Der Dschungel« und andere Geschichten aus dem Amerika des Vergoldeten Zeitalters12. Der größte Fall aus jüngster Zeit, der Melamin-Milch-Skandal von 2008, hinterließ ein Dutzend tote und Zehntausende kranker, in Krankenhäuser eingewiesene Kinder (obwohl möglicherweise Hunderttausende davon betroffen waren). Seitdem erschütterten eine Reihe von Skandalen die Öffentlichkeit: 2011, als in Restaurants im ganzen Land Abfall-Öl aus Fettabscheidern gefunden wurde, oder 2018, als fehlerhafte Impfstoffe mehrere Kinder töteten, und dann ein Jahr später, als Dutzende ins Krankenhaus eingeliefert wurden, weil gefälschte Impfstoffe gegen humane Papillomviren verabreicht worden waren. Weniger krasse Geschichten passieren noch viel häufiger und bilden eine vertraute Kulisse für jeden, der in China lebt: aus Kostengründen mit Seife verschnittene Tütensuppen; Unternehmer, die an mysteriösen Ursachen verendete Schweine in Nachbardörfer verkaufen; detaillierte Klatschgeschichten darüber, in welchen Imbissen man am ehesten krank wird.

Bevor das Land Stück für Stück ins kapitalistische Weltsystem integriert wurde, wurden Dienste wie die Gesundheitsversorgung in China über das danwei-System betrieblicher Sozialleistungen (vor allem in den Städten) oder von lokalen Gesundheitszentren mit ihren zahlreichen »Barfußmedizinern« (vor allem, aber nicht nur auf dem Land) kostenlos zur Verfügung gestellt. Die Erfolge der sozialistischen Gesundheitsfürsorge wie auch die Erfolge im Bereich der Bildung und Alphabetisierung waren so groß, dass selbst die schärfsten Kritiker des Landes sie anerkennen mussten. Die Wurmerkrankung Schistosomiasis, die das Land jahrhundertelang geplagt hat, war in Kernchina praktisch vollständig ausgemerzt, und kam mit Nachdruck zurück, als das sozialistische Gesundheitssystem abgebaut wurde. Die Kindersterblichkeit ging stark zurück, und trotz der mit dem »Großen Sprung nach vorn« verbundenen Hungersnot stieg die Lebenserwartung zwischen 1950 und den frühen 1980er Jahren von 45 auf 68 Jahre. Impfungen und allgemeine Hygienemaßnahmen setzten sich durch, grundlegende Informationen über Ernährung und Gesundheit sowie der Zugang zu elementaren Medikamenten waren kostenlos und für alle zugänglich. Gleichzeitig vermittelten die Barfuß-Mediziner einem großen Teil der Bevölkerung grundlegendes, wenn auch begrenztes medizinisches Wissen; sie trugen so zum Aufbau eines robusten, von unten nach oben aufgebauten Gesundheitssystems unter Bedingungen materieller Armut bei. Wir sollten nicht vergessen, dass China damals pro Kopf ärmer war als das durchschnittliche Land im subsaharischen Afrika heute.

Seitdem haben Nachlässigkeit und Privatisierung dieses System erheblich verschlechtert, und zwar genau zu dem Zeitpunkt, als die rasche Verstädterung und die unregulierte industrielle Produktion von Haushaltsgegenständen und Lebensmitteln eine umfassende Gesundheitsfürsorge erst recht notwendig gemacht hätten – ganz zu schweigen von Lebensmittel-, Drogen- und Sicherheitsvorschriften. Heute gibt China nach Angaben der WHO 323 USD pro Kopf für öffentliche Gesundheitsversorgung aus. Diese Zahl ist selbst im Vergleich zu anderen Ländern mit »oberem mittlerem Einkommen« niedrig: ungefähr die Hälfte von dem, was Brasilien, Belarus und Bulgarien ausgeben. Kontrollen gibt es praktisch keine, was zu den vielen Skandalen wie den oben erwähnten führt. Die Folgen bekommen dabei vor allem die Hunderte von Millionen von WanderarbeiterInnen zu spüren, die jedes Recht auf eine medizinische Grundversorgung verwirken, wenn sie ihr Heimatdorf verlassen – dort sind sie im Rahmen des Hukou-Systems13 unabhängig von ihrem tatsächlichen Aufenthaltsort gemeldet, öffentliche Ressourcen sind anderswo nicht zugänglich.

Angeblich wurde die öffentliche Gesundheitsversorgung Ende der 1990er Jahre durch ein stärker privatisiertes (aber vom Staat verwaltetes) System ersetzt, in dem Gesundheitsversorgung, Renten und Wohnraumversicherung durch Beiträge sowohl von Arbeitgebern wie von Arbeitnehmern bezahlt werden. Dieses Sozialversicherungssystem leidet aber an systematischem Geldmangel, so sehr dass die Arbeitgeber ihre »Pflichtbeiträge« oft einfach ignorieren und die allermeisten ArbeiterInnen den Arzt aus eigener Tasche zahlen müssen. Laut der jüngsten verfügbaren nationalen Schätzung haben nur 22 Prozent der WanderarbeiterInnen eine grundlegende Krankenversicherung. Dass die Beiträge zur Sozialversicherung nicht gezahlt werden, liegt aber nicht einfach daran, dass individuelle korrupte Chefs sich um ihre Verpflichtungen drücken, sondern vor allem daran, dass die Profitmargen dünn sind und keinen Raum für Sozialleistungen lassen. Laut unseren Berechnungen14 würde die Nachzahlung von unbezahlten Sozialversicherungsbeiträgen in einem Industriezentrum wie Dongguan die Profite in der Industrie um die Hälfte reduzieren und viele Firmen in den Konkurs treiben. Um die riesigen Lücken auszugleichen, hat China eine aufs Allernötigste reduzierte Krankenversicherung für Rentner und Selbständige eingeführt, die durchschnittlich nur Krankheitskosten von ein paar hundert Yuan pro Kopf und Jahr abdeckt.

Dieses belagerte Gesundheitssystem produziert selbst wiederum erschreckende soziale Spannungen. Jedes Jahr werden mehrere Krankenhausbeschäftigte getötet und Dutzende verletzt, wenn sie von wütenden Patienten oder öfter noch von Angehörigen von Patienten, die in ihrer Obhut gestorben sind, angegriffen werden. Der jüngste Angriff fand am Weihnachtsabend statt: In Peking wurde ein Arzt vom Sohn einer Patientin erstochen, der glaubte, seine Mutter sei an der schlechten Pflege in dem Krankenhaus gestorben. Laut einer Umfrage hatten 85 Prozent der ÄrztInnen schon Gewalt am Arbeitsplatz erlebt. Laut einer anderen Umfrage von 2015 waren 13 Prozent der chinesischen ÄrztInnen im Laufe des letzten Jahres körperlich angegriffen worden. Chinesische ÄrztInnen behandeln viermal so viele Patienten pro Jahr wie US-ÄrztInnen, verdienen aber mit 15.000 USD im Jahr weniger als das Durchschnittseinkommen (16.760 USD). Dagegen verdient eine durchschnittliche ÄrztIn in den USA mit 300.000 USD im Jahr fast fünfmal so viel wie das Durchschnittseinkommen (60.200 USD). Bevor das Blog-Projekt von Lu Yuyu und Li Tingyu zur Dokumentation von Unruhen geschlossen und seine Betreiber festgenommen wurden, verzeichnete es jeden Monat mindestens ein paar Streiks und Proteste von Krankenhausbeschäftigten15. 2015, im letzten vollen Jahr ihrer akribischen Datensammlung, gab es 43 derartige Vorfälle. Außerdem gab es jeden Monat Dutzende von »Protesten gegen medizinische Behandlungen« durch Angehörige von Patienten. 2015 wurden 368 solcher Vorfälle dokumentiert.

Angesichts eines derartig massiven Rückzugs des Staats aus dem Gesundheitssystem ist es kein Wunder, dass COVID-19 sich so schnell ausbreiten konnte. Zusammen mit der Tatsache, dass alle ein, zwei Jahre in China eine neue ansteckende Krankheit ausbricht, sorgt er dafür, dass die Epidemien weitergehen. Wie bei der Spanischen Grippe hat der allgemeine schlechte Zustand des öffentlichen Gesundheitswesens für die proletarische Bevölkerung dazu beigetragen, dass das Virus Fuß fassen und sich schnell ausbreiten konnte. Das ist aber wie gesagt nicht nur eine Frage der Verteilung. Wir müssen auch verstehen, wie das Virus selbst produziert wurde.

Es gibt keine Wildnis

Im Fall des jüngsten Ausbruchs verläuft die Geschichte weniger geradlinig als bei der Schweine- oder Vogelgrippe, die so klar mit dem Kern des agrarindustriellen Systems in Zusammenhang gebracht werden. Einerseits ist noch nicht völlig klar, wo das Virus herkommt. Es ist möglich, dass er von Schweinen stammt, die eine von vielen domestizierten und wilden Tierarten sind, die auf dem Wuhaner wet market gehandelt werden, der das Epizentrum des Ausbruchs zu sein scheint. In diesem Fall wäre der Kausalzusammenhang den obigen Fällen ähnlicher, als es sonst erscheinen mag. Wahrscheinlicher ist jedoch wohl, dass das Virus in Fledermäusen entstand oder möglicherweise in Schlangen, die beide gewöhnlich als Wildtiere gefangen werden. Selbst hier besteht jedoch ein Zusammenhang, da die abnehmende Verfügbarkeit und Sicherheit von Schweinefleisch durch den Ausbruch der Afrikanischen Schweinepest bedeutet, dass die steigende Nachfrage nach Fleisch oft durch diese wet markets gedeckt wird, die Fleisch vom »Wild« verkaufen. Aber kann denn ohne direkten Zusammenhang zur Agrarfabrik demselben ökonomischen Prozess eine Mitverantwortung für den aktuellen Ausbruch zugesprochen werden?

Die Antwort lautet ja, aber auf andere Weise. Wiederum verweist Wallace nicht auf eine, sondern auf zwei Hauptrouten, über die der Kapitalismus dazu beiträgt, immer tödlichere Epidemien auszubrüten und zu entfesseln: die erste und oben ausgeführte ist der direkte industrielle Fall, wo sich Viren in einem industriellen Ambiente entwickeln, das der kapitalistischen Logik vollständig unterworfen ist. Aber der zweite Fall ist der indirekte, über die kapitalistische Expansion und Extraktion im Hinterland, wo bis dahin unbekannte Viren im wesentlichen aus Wildbeständen geerntet und entlang weltweiter Kapitalkreisläufe verteilt werden. Die beiden Routen verlaufen natürlich nicht völlig voneinander getrennt, doch scheint es, als beschreibe der zweite Fall das Entstehen der aktuellen Epidemie am besten. Hierbei schafft die erhöhte Nachfrage nach den Körpern wilder Tiere für Konsum, medizinischen Gebrauch oder (wie im Fall der Kamele und MERS16) eine Vielfalt von Zwecken mit kultureller Bedeutung neue weltweite Lieferketten von »Wild«-Waren.17 In anderen Fällen weiten sich bereits bestehende agrarökologische Wertschöpfungsketten einfach in bis dahin »wilde« Bereiche aus. Dabei verändern sich die örtliche Ökologie und die Schnittstelle zwischen dem Menschlichen und dem Nichtmenschlichen.

Wallace selbst ist da ganz deutlich, indem er verschiedene Dynamiken erklärt, die schlimmere Seuchen schaffen, obwohl die Viren schon längst in »natürlicher« Umgebung existieren. Die Ausweitung der Industrieproduktion selbst »kann zunehmend kapitalisierte Wildtiere in die letzten Reste der ursprünglichen Landschaft treiben, wobei eine größere Bandbreite an Krankheitserregern mit Seuchenpotential erschlossen wird.« Anders gesagt werden Tiere, während die Kapitalakkumulation neue Gebiete erfasst, in schwerer zugängliche Gegenden gedrängt, wo sie mit vorher isolierten Seuchenerregern in Kontakt kommen. Wobei die Tiere selbst zu Waren werden, da »sogar die wildesten Gattungen in die landwirtschaftlichen Verwertungsketten hineingezogen werden.« Gleichermaßen drängt diese Expansion Menschen näher zu diesen Tieren und Umgebungen hin, was »die Schnittstelle (und Übertragung) zwischen wilden nichtmenschlichen Populationen und erst kürzlich urbanisiertem Landleben verbreitern kann.« Dies gibt dem Virus mehr Gelegenheiten und Möglichkeiten, auf eine Weise zu mutieren, die ihm erlaubt, Menschen zu infizieren, was eine Übertragung zwischen den Arten viel wahrscheinlicher macht. Und sowieso ist die Geographie der Industrie selbst nie so ganz sauber in städtisch und ländlich getrennt, wie etwa die monopolisierte industrielle Landwirtschaft sich sowohl riesiger Farmen als auch bäuerlicher Kleinbetriebe bedient: »Ein Nutztier kann sich auf einem am Waldrand gelegenen Kleinbetrieb, der als Sub für einen Großbetrieb arbeitet, einen pathogenen Keim einfangen, bevor es in eine fleischverarbeitende Fabrik am Rand einer Großstadt geliefert wird.« Tatsache ist, dass die Sphäre der »Natur« bereits von einem die ganze Welt umfassenden kapitalistischen System erfasst ist, dem es gelang, grundlegende klimatische Bedingungen zu verändern und dermaßen viele vorkapitalistische18 Ökosysteme zugrunde zu richten, dass die verbliebenen nicht länger so funktionieren, wie sie es in der Vergangenheit vielleicht getan haben. Hier liegt ein weiterer Kausalfaktor, denn laut Wallace verringern all diese Prozesse ökologischer Verheerung »die Art von Vielfalt in der Umwelt, mit der der Wald Übertragungsketten unterbricht.« In Wirklichkeit ist es also unzutreffend, sich solche Gebiete als die natürliche »Peripherie« eines kapitalistischen Systems vorzustellen. Der Kapitalismus ist bereits global und allumfassend. Er hat keinen Rand mehr oder eine Grenze mit einer natürlichen, nichtkapitalistischen Sphäre jenseits seiner selbst. Und daher gibt es auch keine große Kette der Entwicklung, in der »rückständige« Länder ihren Vorreitern beim Aufstieg in der Wertkette folgen, und keine wirkliche Wildnis, die man in einer Art reinen, unberührten Zustands erhalten könnte. Stattdessen hat das Kapital nur ein untergeordnetes Hinterland, das vollständig von weltweiten Wertketten erfasst ist. Die daraus entstehenden gesellschaftlichen Systeme – vom Tribalismus bis zu Neuauflagen antimoderner fundamentalistischer Religionen – sind vollständig Produkte der modernen Zeit. Und fast immer sind sie de facto an globale Märkte angeschlossen, oft ganz direkt. Dasselbe gilt für die daraus resultierenden biologisch-ökologischen Systeme, da die »wilden« Gebiete dieser globalen Ökonomie tatsächlich immanent sind. Und zwar sowohl im abstrakten Sinn einer Abhängigkeit vom Klima und damit verbundenen Ökosystemen als auch im direkten Sinn eines Anschlusses an diese selben globalen Wertschöpfungsketten.

Diese Tatsache schafft die notwendigen Voraussetzungen dafür, »wilde« Virenstämme in weltweite Pandemien zu verwandeln. Doch COVID-19 ist kaum deren schlimmste. Eine ideale Veranschaulichung für dieses grundlegende Prinzip – und die weltweite Gefahr – findet sich stattdessen in Ebola. Das Ebola-Virus19 ist ein klares Beispiel für ein bestehendes Reservoir an Viren, das sich in die menschliche Bevölkerung überträgt. Aktuelle Befunde legen nahe, dass seine ursprünglichen Wirte verschiedene Arten von Fledermäusen sind, die in West- und Zentralafrika vorkommen und als Träger fungieren, selbst aber durch das Virus nicht beeinträchtigt werden. Dies gilt aber nicht für die anderen wilden Säugetiere wie etwa Primaten und Antilopen, die sich das Virus periodisch einfangen und rasche Ausbrüche mit hohen Sterberaten erleiden. Jenseits seiner Wirtsarten hat Ebola einen besonders aggressiven Lebenszyklus. Durch Kontakt mit diesen wild lebenden Wirten können sich Menschen ebenfalls infizieren, mit verheerenden Ergebnissen. Es kam zu mehreren größeren Epidemien, und bei den meisten war die Sterblichkeitsrate außerordentlich hoch, fast immer über 50 Prozent. Der größte dokumentierte Ausbruch, der sich von 2013 bis 2016 sporadisch in mehreren westafrikanischen Ländern vollzog, verzeichnete 11 000 Tote. Bei Patienten, die es in ein Krankenhaus schafften, lag die Sterblichkeitsrate hier bei 57 bis 59 Prozent, und bei denen, die keinen Zugang hatten, lag sie noch wesentlich höher. In den letzten Jahren haben private Firmen verschiedene Impfstoffe entwickelt, aber langsame Zulassungsverfahren und strenge Gesetzgebungen zum Schutz geistigen Eigentums haben zusammen mit einer weitgehend mangelhaften Infrastruktur im Gesundheitswesen eine Situation geschaffen, in der Impfstoffe wenig dazu beitrugen, die jüngste Epidemie mit Schwerpunkt in der Demokratischen Republik Kongo zu stoppen, die jetzt der am längsten andauernde Ausbruch ist.

Oft wird die Seuche als eine Art Naturkatastrophe dargestellt – im besten Fall als Unglück, im schlimmsten als Folge »unreiner« kultureller Praktiken der im Wald siedelnden Armen. Doch der Zeitpunkt dieser beiden größeren Ausbrüche (2013-16 in Westafrika und 2018 bis heute in der DRK) ist kein Zufall. Beide traten genau dann auf, als die Expansion von Grundstoffindustrien im Wald siedelnde Bevölkerungen weiter vertrieb und örtliche Ökosysteme zum Erliegen brachte. Und tatsächlich scheint dies für mehr als nur die jüngsten Fälle zuzutreffen. Denn, wie Wallace erklärt, »jeder Ausbruch von Ebola scheint mit kapitalgetriebenen Verschiebungen bei der Nutzung von Land zusammenzuhängen, einschließlich des ersten Ausbruchs 1976 in Nzara im Sudan, wo eine aus Großbritannien finanzierte Fabrik regionale Baumwolle spann und verwob.« Ähnlich geschahen die Ausbrüche in Guinea 2013 kurz nachdem eine neue Regierung begonnen hatte, das Land für die Weltmärkte zu öffnen und riesige Gebiete an internationale Agrarkonzerne zu verkaufen. Eine besondere Verantwortung scheint der für ihre Rolle bei der weltweiten Entwaldung und ökologischen Zerstörung berüchtigten Palmölindustrie zuzukommen. Denn deren Monokulturen zerstören zum einen die robusten ökologischen Redundanzen, die dabei helfen, Übertragungsketten zu unterbrechen, zum anderen ziehen sie buchstäblich gerade die Fledermausarten an, die den Viren als natürliche Umgebung dienen.20

Derweil zieht der Verkauf von Land an Agroforstwirtschaftskonzerne sowohl die Enteignung der im Wald siedelnden Anwohner nach sich als auch die Zerrüttung ihrer von ihrem Ökosystem abhängigen örtlichen Formen von Produktion und Ernte. Oft bleibt den Landarmen dann keine andere Wahl, als noch tiefer in den Wald vorzudringen, während gleichzeitig ihre traditionelle Beziehung mit diesem Ökosystem unterbrochen wurde. Als Ergebnis hängt das Überleben zunehmend von der Jagd auf Wild ab oder von der Ernte örtlicher Pflanzen und von Holz, um es auf dem Weltmarkt zu verkaufen. Derartige Bevölkerungsgruppen werden dann zu den Sündenböcken für den Zorn globaler Umweltschutzorganisationen, die sie als »Wilddiebe« und »Waldfrevler« (illegale Holzfäller) anprangern und just für die Entwaldung und die ökologische Zerstörung verantwortlich machen, die sie erst in solche Gewerbe getrieben hatten. Oft nimmt dieser Prozess dann eine noch dunklere Wendung, wie in Guatemala, wo vom Bürgerkrieg im Land übrig gebliebene antikommunistische Paramilitärs zu »grünen« Sicherheitskräften gemacht wurden. Sie sollten den Wald »schützen« vor illegalem Holzeinschlag, Wilderei und Drogenhandel, was die einzigen Gewerbe waren, die den indigenen Einwohnern zugänglich waren – die in solche Aktivitäten durch eben die gewaltsame Repression getrieben worden waren, die sie vonseiten derselben Paramilitärs während des Kriegs erfahren hatten.21 Dieses Muster wiederholt sich seither auf der ganzen Welt, angefeuert durch Beiträge aus Hochlohnländern in den sozialen Medien, in denen die (oft buchstäblich live gefilmte) Exekution von »Wilderern« durch angeblich »grüne« Sicherheitskräfte gefeiert wird.22

Eindämmung: Übung in der Kunst der Staatsführung

COVID-19 hat wie nichts vorher globale Aufmerksamkeit erregt. Bei Ebola, Vogelgrippe und SARS gab es natürlich auch Aufregung in den Medien. Aber irgendwas an dieser neuen Epidemie zieht alle Augen weiter auf sich. Zum Teil liegt das höchstwahrscheinlich an der spektakulären Reaktion der chinesischen Regierung, die zu ebenso spektakulären Bildern von leergefegten Megastädten führt. Sie stehen in starkem Gegensatz zu den üblichen Medienbildern von China als überfüllt und verdreckt. Diese Reaktion war eine reiche Quelle für Spekulationen über den unmittelbar bevorstehenden politischen oder wirtschaftlichen Zusammenbruch des Landes – auch angesichts der zusätzlichen Spannungen durch den Handelskrieg mit den USA, der sich noch auf einer frühen Entwicklungsstufe bewegt. Zusammen mit der schnellen Ausbreitung des Virus entstand so das Bild einer unmittelbaren globalen Bedrohung, trotz seiner niedrigen Sterblichkeitsrate.23

Wenn man tiefer geht, ist das Faszinierendste an der staatlichen Reaktion, wie sie über die Medien als melodramatische Generalprobe für eine weitreichende innenpolitische Aufstandsbekämpfung inszeniert wurde. Wir erfahren dabei einiges über die repressiven Möglichkeiten des chinesischen Staates, aber auch über seine Unfähigkeit, die sich in seiner Abhängigkeit von Propagandamaßnahmen in allen Medien zeigt und in der freiwilligen Mobilisierung von Leuten vor Ort, die dazu eigentlich nicht verpflichtet sind. Die chinesische und die westliche Propaganda hat den tatsächlich repressiven Charakter der Quarantäne betont, die erste als effektive Regierungsmaßnahme in einer Notlage, die zweite als weiterer Fall totalitärer Überreaktion des dystopisch wirkenden chinesischen Staates. Die unausgesprochene Wahrheit ist aber, dass sein aggressive Durchgreifen eine tiefergehende Unfähigkeit des Staates zeigt, der sich selbst noch im Aufbau befindet.

Er entwickelt neue und innovative Techniken sozialer Kontrolle und Krisenreaktion, die auch dann eingesetzt werden können, wenn es nur wenige oder gar keine grundlegenden Staatsfunktionen gibt. Es ist interessant zu überlegen (wenn auch spekulativ), wie Regierungen egal in welchem Land reagieren würden, wenn Krise und Aufstand zu einem ähnlichen Zusammenbruch führen. Der Ausbruch des Virus ist in jeder Hinsicht durch die schlechte Verbindung der unterschiedlichen Regierungsebenen verschlimmert worden: Repression von »Whistleblower«-Ärzten durch Funktionäre vor Ort entgegen der Interessen der Zentralregierung, ineffiziente Berichtssysteme in Krankenhäusern und sehr schlechte medizinische Grundversorgung sind nur einige Beispiele. In der Zwischenzeit sind Regionalregierungen in unterschiedlicher Geschwindigkeit zur Normalität zurückgekehrt, fast völlig außerhalb der Kontrolle des Zentralstaats (abgesehen von Hubei, dem Epizentrum). Im Moment scheint es fast komplett zufällig, welche Häfen und Betriebe wieder laufen. Dieses Quarantäne-Puzzle führt dazu, dass Logistiknetzwerke unterbrochen bleiben, weil wohl jede Lokalregierung Züge und LKW durch ihr Gebiet stoppen kann.

Diese grundlegende Unfähigkeit des Staates hat ihn gezwungen, mit dem Virus wie mit einem Aufstand umzugehen, er spielt Bürgerkrieg mit einem unsichtbaren Gegner.

Die Staatsmaschinerie begann am 22. Januar so richtig zu laufen, als die Behörden die Notfallmaßnahmen auf ganz Hubei ausweiteten und der Öffentlichkeit mitteilten, dass sie das Recht hätte, Quarantäne-Einrichtungen aufzubauen und sich Personal, Fahrzeuge und Einrichtungen für die Eindämmung der Krankheit oder die Errichtung von Blockaden und Verkehrskontrollen anzueignen (und damit das legitimierte, was ohnehin passieren würde). Der volle Einsatz staatlicher Ressourcen begann also mit dem Aufruf zum freiwilligen Engagement der Menschen vor Ort. Einerseits wird ein derartiger Katastrophenalarm jeden Staat an die Grenzen seiner Möglichkeiten bringen (was man auch bei Hurricanes in den USA sieht). Andererseits ist das ein übliches Muster der chinesischen Staatsführung: Dem Zentralstaat fehlen effiziente Kommandostrukturen, die bis vor Ort reichen. Daher nutzt er auf eine Kombination von breit veröffentlichten Aufrufe an Funktionäre und BürgerInnen zum freiwilligen Einsatz vor Ort und Bestrafung für die, die schlecht reagiert haben (ausgegeben als Bekämpfung von Korruption). Die einzig effiziente Reaktion gibt es in bestimmten Gebieten, wo der Zentralstaat seine ganze Macht und Aufmerksamkeit konzentriert, in diesem Fall Hubei allgemein und vor allem Wuhan. Am Morgen des 24. Januar war die Stadt bereits vollständig abgesperrt, ohne jeglichen Zugverkehr, fast einen Monat, nachdem das Virus entdeckt worden war. Gesundheitsbeamte erklärten, dass die Gesundheitsämter jeden untersuchen und in Quarantäne schicken können. Dutzende andere Städte in ganz China, einschließlich Beijing, Guangzhou, Nanjing und Shanghai, haben auf unterschiedliche Art die Bewegung von Gütern und Menschen eingeschränkt.

Auf die staatlichen Aufrufe hin sind an manchen Orten seltsame, strenge Maßnahmen getroffen worden. Am erschreckendsten davon war die Ausgabe lokaler Pässe an 30 Mio. Bewohner von vier Städten in Zhejiang, wo nur eine Person pro Haushalt alle zwei Tage die Wohnung verlassen durfte. Städte wie Shenzhen und Chengdu haben die einzelnen Viertel abgeriegelt, und Hochhäuser für 14 Tage unter Quarantäne gesetzt, wenn es dort einen Krankheitsfalls gab. Hunderte wurden wegen der Verbreitung von »Gerüchten« über die Krankheit festgenommen oder bestraft, und manche, die der Quarantäne entflohen, wurden zu langen Gefängnisstrafen verurteilt. In den Gefängnissen selbst gibt es gerade einen starken Ausbruch der Krankheit, weil die Aufseher unfähig sind, in einer für die Isolierung gemachten Umgebung kranke Gefangene zu isolieren.

Diese aggressiven, verzweifelten Maßnahmen spiegeln extreme Fälle von Aufstandsbekämpfung und erinnern an die militärisch-koloniale Besetzung etwa von Algerien und Palästina. Nie zuvor wurden sie in solch einem Ausmaß durchgeführt, schon gar nicht in den Megastädten, in denen ein Großteil der Weltbevölkerung heute lebt.

Wie der Staat hier durchgegriffen hat, ist eine Lehrstunde für alle, die sich für eine globale Revolution interessieren, weil es ein Probelauf der vom Staat angeführten Reaktion ist.

Unfähigkeit

Das staatliche Durchgreifen profitiert an dieser Stelle von seinem scheinbar humanitären Charakter, deshalb kann eine große Zahl Freiwilliger für die Bekämpfung des Virus rekrutiert werden. Aber wie zu erwarten geht eine solche Aktion auch nach hinten los. Aufstandsbekämpfung ist ein verzweifelter Krieg, zu dem es erst kommt, wenn stabilere Formen von Eroberung, Beschwichtigung oder wirtschaftlicher Unterwerfung unmöglich geworden sind. In einem teuren, gefährlichen Rückzugsgefecht demonstriert die jeweiligen Macht ihre Unfähigkeit – sei es der französische Kolonialstaat, das niedergehende amerikanische Imperium, oder andere. Das Ergebnis ist fast immer ein zweiter Aufstand, blutig gezeichnet von der Niederschlagung des ersten und noch verzweifelter. Hier endet die Parallele zwischen Quarantäne, Bürgerkrieg und Aufstandsbekämpfung. Aber auch dabei ging die Aktion zum Teil nach hinten los. Obwohl der Staat viel Aufwand mit der Kontrolle der Informationen und ständiger Propaganda über alle möglichen Medien betrieb, drückte sich über dieselben Kanäle Unmut aus.

Der Tod von Dr. Li Wenliang, ein früher Whistleblower des Virus, am 7.2.20 hat die in ihren Wohnungen eingeigelten BürgerInnen im ganzen Land erschüttert. Li war einer der acht Ärzte, die Anfang Januar wegen der Verbreitung »falscher Informationen« verhaftet worden waren, später zog er sich das Virus selbst zu. Im Netz äußerten Leute ihre Wut darüber, die Regierung von Wuhan äußerte ihr Bedauern. Die Leute fangen an zu sehen, dass der Staat aus stümperhaften Funktionären und Bürokraten besteht, die keine Ahnung haben, was sie tun, aber dennoch auf stark machen müssen.24 Das wurde besonders deutlich, als der Bürgermeister von Wuhan, Zhou Xianwang, im Fernsehen zugeben musste, dass seine Regierung die Veröffentlichung wichtiger Informationen über das Virus verzögert hatte. Die durch das Virus erzeugte Spannung und die totale Mobilisierung durch den Staat beginnen, den Leuten die Risse im Bild zu zeigen, das die Regierung auf hauchdünnem Papier von sich zeichnet. Die aktuelle Lage hat eine wachsende Zahl von Menschen, die bisher der Propaganda geglaubt haben, auf die grundlegende Unfähigkeit des chinesischen Staates gestoßen.

Wenn die Reaktion des Staates in einem einzigen Bild zusammengefasst werden kann, wäre es so etwas wie das Video, das ein Bewohner von Wuhan mit dem westlichen Internet über Twitter in Hongkong teilte.25 Es zeigt mehrere Leute, die Ärzte oder Sanitäter zu sein scheinen, Schutzkleidung tragen und Fotos von sich vor der chinesischen Flagge schießen. Die Person, die das Video aufnimmt, erklärt, dass jeden Tag vor dem Gebäude Fotos gemacht werden. Das Video zeigt dann die Männer, wie sie die Schutzkleidung ablegen und rauchend herumstehen, sie benutzen sogar einen Schutzanzug, um ihr Auto abzuwischen. Bevor sie wegfahren, wirft einer die Schutzausrüstung einfach in den Müll und versucht nicht mal, sie so hineinzustopfen, dass sie nicht gesehen wird. Solche Videos haben sich schnell verbreitet, bevor sie zensiert wurden – kleine Risse im dünnen Schleier des staatlich sanktionierten Spektakels.

Auf einer grundlegenderen Ebene zeigt sich die erste Welle wirtschaftlicher Auswirkungen der Quarantäne auf die Menschen. Über die makroökonomische Seite wurde viel berichtet, mit der starken Abschwächung des Wirtschaftswachstums in China droht eine neue globale Rezession, vor allem im Zusammenhang mit der andauernden Stagnation in Europa und dem Einbrechen eines wichtigen Wirtschaftsindex in den USA, der einen plötzlichen Rückgang der Wirtschaftstätigkeit zeigt. Weltweit prüfen chinesische Unternehmen und die, die von chinesischen Produktionsnetzwerken abhängen, die Klauseln über die Einwirkung höherer Gewalt in ihren Verträgen, die Verzögerungen und Widerrufe ermöglichen, wenn der Vertrag nicht erfüllbar ist. Obwohl es im Moment unwahrscheinlich ist, hat die bloße Aussicht darauf zur Forderung nach einer Wiederaufnahme der Produktion im ganzen Land geführt. Das ist bisher nur stückchenweise passiert, in einigen Regionen läuft alles bereits wieder, anderswo steht alles noch unbefristet still. Die staatlichen Behörden rufen gegenwärtig dazu auf, dass außerhalb des Epizentrums am 1. März die Arbeit wieder aufgenommen werden soll.

Andere Auswirkungen waren weniger sichtbar, sind aber viel wichtiger. Viele WanderarbeiterInnen hängen in der Luft, auch die, die über Neujahr am Ort ihres Arbeitsplatzes geblieben oder vor dem Lockdown dorthin zurückgekehrt sind. Aus Shenzhen, wo die große Mehrheit der Bevölkerung MigrantInnen sind, berichten Bewohner, dass die Zahl der Obdachlosen zunimmt. Diese neuen Leute auf der Straße sind keine Langzeit-Obdachlosen, sie sind noch relativ gut gekleidet und kennen sich nicht damit aus, wo man am besten übernachten und an Essen kommen kann. Diebstahl hat zugenommen, vor allem von Essen, das vor die Tür von Menschen in Quarantäne geliefert wurde. ArbeiterInnen in allen Bereichen haben während der Produktionspause Lohnausfälle. Den besten Fall erleben die ArbeiterInnen von Foxconn in Shenzhen, die sich in Wohnheimen ein bis zwei Wochen in Quarantäne begeben müssen, in der Zeit ungefähr ein Drittel ihres Lohns bekommen, und dann wieder arbeiten dürfen. Ärmere Unternehmen können das nicht bieten, und das Angebot günstiger Kredite der Regierung an kleinere Firmen wird langfristig nicht viel helfen. Das Virus wird zum Teil einfach den Trend zur Verlagerung von Fabriken beschleunigen, denn Firmen wie Foxconn weiten ihre Produktion in Vietnam, Indien und Mexiko aus, um den Rückgang in China auszugleichen.

Der surreale Krieg

Eine tiefgehende Unfähigkeit im Herzen der Staatsmaschinerie deutet sich an: in der ungeschickten anfänglichen Reaktion auf das Virus; im Einsatz von Strafe und Repression, um es zu kontrollieren; in der Unfähigkeit überregional zu koordinieren, wie Produktion und Quarantäne gehandhabt werden. Wenn, wie unser Freund Lao Xi sagt, der Schwerpunkt der Regierung Xi der Aufbau des Staates war, bleibt noch viel zu tun. Wenn das Vorgehen gegen Covid-19 als Probelauf für die Aufstandsbekämpfung zu lesen ist, fällt auf, dass die Regierung nur im Epizentrum Hubei eine effektive Koordinierung zustande gebracht hat und die Reaktion in anderen Gegenden, auch angesehenen und wohlhabenden wie Hangzhou, unkoordiniert und verzweifelt war. Das bedeutet zweierlei: einmal zeigt es die Schwäche unterhalb der harten Kanten der Staatsmacht, und zweitens ist es eine Warnung vor unkoordiniertem und irrationalen Verhalten vor Ort, wenn die Staatsmacht überfordert ist.

Da die Zerstörung durch die endlose Akkumulation heute vom Klima bis zu den mikrobiologischen Schichten des Lebens reicht, sind das wichtige Erkenntnisse. Krisen wie die gegenwärtige werden häufiger entstehen. Die säkulare Krise des Kapitalismus nimmt einen scheinbar nicht-ökonomischen Charakter an, und neue Epidemien, Hungersnöte, Überschwemmungen und andere »Naturkatastrophen« werden angeführt werden, um die Ausweitung staatlicher Kontrolle zu rechtfertigen. Der Umgang mit diesen Krisen wird zunehmend genutzt werden, um neue Instrumente der Aufstandsbekämpfung auszuprobieren. Eine kohärente kommunistische Politik muss beides zusammenbringen. Auf der theoretischen Ebene müssen wir verstehen, dass die Kritik des Kapitalismus verkümmert, wenn sie von den Naturwissenschaften abgekoppelt wird. Aber auf der praktischen Ebene heißt das auch, dass politische Projekte sich heute auf einem von ökologischen und mikrobiologischen Katastrophen geprägten Terrain und in einem dauerhaften Zustand von Krise und Atomisierung bewegen müssen.

In der Quarantäne sehen wir die ersten groben Züge solch einer Landschaft: leere Straßen im Spätwinter mit einer dünnen Schicht unberührten Schnees; von Telefonen beleuchtete Gesichter am Fenster; willkürliche Barrikaden, an denen Krankenschwestern, Polizisten, Freiwillige oder einfach bezahlte Schauspieler Fahnen heben und dich anweisen müssen, deine Maske aufzusetzen und zurück nach Hause zu gehen. Die Ansteckung ist sozial. Es sollte daher nicht überraschen, dass sie in einem derart späten Stadium nur durch einen surrealen Krieg gegen die Gesellschaft selbst bekämpft werden kann. Versammelt euch nicht, macht kein Chaos! Aber Chaos kann auch in der Isolation entstehen. Während die Hochöfen zu sanft knisternder Glut und dann zu schneekalter Asche abkühlen, werden die vielen kleinen Verzweiflungen unweigerlich ihren Weg aus der Quarantäne finden und sich zu einem großen Chaos sammeln, das vielleicht eines Tages schwer zu kontrollieren ist, wie die aktuelle soziale Ansteckung.

Fußnoten:

[1] Wet market: Markt für frische Lebensmittel, zum Teil werden Tiere lebend gehandelt bzw. frisch geschlachtet [A.d.Ü.]

[2] siehe »Research excludes Wuhan seafood market as origin of SARS-CoV-2: CAS«, China.org.cn, 23.2.2020;

[3] Vieles, was wir hier erklären, ist einfach eine zugespitzte Zusammenfassung von Wallace‘ Argumenten, für eine allgemeinere LeserInnenschaft formuliert und ohne die Notwendigkeit, andere Biologen durch penible Argumentation und ausführliche Belege zu überzeugen. Wir verweisen diejenigen, die das zugrundeliegende Material in Frage stellen, auf die Arbeit von Wallace und seiner Landsleute.

[4] Robert G. Wallace, »Big Farms Make Big Flu: Dispatches on Infectious Disease, Agribusiness, and the Nature of Science«. Monthly Review Press, 2016. p.52

[5] Ebd., S.56

[6] Ebd., S. 56-57

[7] Ebd., S. 57

[8] Das soll nicht bedeuten, Vergleiche zwischen den USA und China heute seien nicht informativ. Da die USA einen eigenen riesigen Agroindustrie-Sektor haben, tragen sie selbst zur Produktion gefährlicher neuer Viren bei, von antibiotikaresistenten Bakterien ganz zu schweigen.

[9] S. J.F. Brundage, G.D. Shanks, What really happened during the 1918 influenza pandemic? The importance of bacterial secondary infections”. The Journal of Infectious Diseases Bd. 196, Nr. 11, December 2007, S. 1717–1718, Antwort des Autors S. 1718-1719; und D.M. Morens, A.S. Fauci, »The 1918 influenza pandemic: Insights for the 21st century«. The Journal of Infectious Diseases. Bd. 195, Nr. 7, April 2007, S. 1018-1028.

[10] Dust Bowl: versteppte, von Sandstürmen heimgesuchte Landschaften in den Great Plains während der Weltwirtschaftskrise in den 1930er Jahren [A.d.Ü.]

[11] Sehr seltenes, unwahrscheinliches und unvorhersehbares Ereignis [A.d.Ü.]

[12] Vergoldetes Zeitalter: von Mark Twain geprägter Ausdruck für die Zeit ca. 1877-1900 in den USA, eine Zeit des Aufschwungs und Fortschritts verbunden mit Armut und Korruption. [A. d. Ü.]

[13] Hukou: offizielle staatliche Wohnsitzkontrolle in der VR China [A.d.Ü.]

[14] siehe »Picking Quarrels« in der zweiten Ausgabe unserer Zeitschrift

[15] siehe »Picking Quarrels« in der zweiten Ausgabe unserer Zeitschrift

[16] Middle East Respiratory Syndrom, durch das MERS-Coronavirus übertragene Erkrankung der Atemwege

[17] Auf ihr Art sind die zwei Arten der Produktion von Pandemien ein Spiegel davon, was Marx die »reelle« und »formelle« Subsumtion in der Produktion nennt. Bei der reellen Subsumtion wird der Produktionsprozess selbst durch die Einführung neuer Technologien verändert, die Geschwindigkeit und Umfang der Produktion intensivieren – so wie die Industrie die Bedingungen für die Evolution von Viren verändert, was dazu führt, dass neue Mutationen schneller entstehen und durchsetzungsfähiger sind. Bei der formellen Subsumtion, die der reellen vorausgeht, gibt es diese Technologien noch nicht. Stattdessen werden Produktionsarten an neuen Orten zusammengebracht, wo sie eine Schnittstelle zum Weltmarkt haben. So war es, als die WeberInnen in Betriebe gebracht wurden, die ihre Produkte verkauften. Und das ähnelt der Art, wie in einer »natürlichen« Umgebung entstandene Viren von wilden Populationen über den globalen Markt auf domestizierte Populationen übertragen werden.

[18] Es ist nicht richtig, diese Ökosysteme mit der vormenschlichen Welt gleichzusetzen. China ist das beste Beispiel, weil viele seiner scheinbar urzeitlichen Landschaften tatsächlich das Ergebnis sehr viel früherer Phasen menschlicher Expansion sind, die zum Aussterben von vorher in Ostasien verbreiteten Arten wie Elefanten führte.

[19] Technisch ist das nur eine allgemeine Bezeichnung für ca. fünf unterschiedliche Viren, von denen der tödlichste selbst einfach Ebola-Virus heißt, früher Zaire-Virus.

[20] Zu Westafrika, s. R.G. Wallace, R. Kock, L. Bergmann, M. Gilbert, L. Hogerwerf, C. Pittiglio, R. Mattioli, R. Wallace, »Did Neoliberalizing West African Forests Produce a New Niche for Ebola«, International Journal of Health Services, Bd. 46, Nr. 1, 2016; einen Überblick über die Verbindung zwischen ökonomischen Bedingungen und Ebola findet sich im Buch von Robert G. Wallace und Rodrick Wallace (Hg.); Neoliberal Ebola: Modelling Disease Emergence from Finance to Forest and Farm, Springer, 2016; die deutlichsten, aber weniger akademischen Aussagen zum Fall finden sich im Artikel von R.G. Wallace, »Neoliberal Ebola: the Agroeconomic Origins of the Ebola Outbreak«, Counterpunch, 29 July 2015.

[21] Siehe Megan Ybarra »Green Wars, Conservation and Decolonization in the Maya Forest«, University of California Press, 2017.

[22] Es ist sicherlich falsch zu implizieren, dass jede Wilderei von der armen ländlichen Bevölkerung betrieben wird, oder dass alle Ranger in den Wäldern der verschiedenen Länder frühere antikommunistische Paramilitärs sind, aber die gewalttätigsten Zusammenstöße und die aggressivste Militarisierung von Wald scheinen im Grunde diesem Muster zu folgen. Einen weitgefasstern Überblick über das Phänomen gibt es in der Sonderausgabe von Geoforum (69) zum Thema, das Vorwort ist online zu finden: Alice B. Kelly, Megan Ybarra, »Introduction to the med issue: ‘Green security in protected areas’«, Geoforum, Volume 69, 2016. S.171-175.

[23] COVID-19 hat die niedrigste Todesrate aller hier erwähnten Krankheiten; die relativ vielen Toten gehen vor allem auf die rasche Ausbreitung auf viele Menschen zurück, die zu höheren Todeszahlen führt, als ihrer Todesrate entspricht.

[24] In einem Podcast-Interview zitiert Au Loong Yu Freunde vom chinesischen Festland mit der Aussage, dass die Regierung von Wuhan durch die Epidemie gelähmt sei. Sie meint die Krise zerreiße nicht nur die Gesellschaft, sondern auch die bürokratische Maschinerie der KPCh. Mit der Verbreitung des Virus werde das zu einer Krise lokaler Regierungen im ganzen Land.

[25] Das Video ist authentisch, aber gerade Hongkong ist eine Hochburg von Rassismus und Verschwörungstheorien über Festlandchina und die KPCh. Deswegen muss man den Wahrheitsgehalt von Informationen, die aus Hongkong in den sozialen Medien über das Virus verbreitet werden, sorgfältig überprüfen.

 
 
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