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12.2.2019

aus: Wildcat 103, Winter 2019

Aus dem Editorial der Wildcat 103

Nah an Noske

Wolfgang Thierse (SPD) brachte das Gedenken an den Bürgerkrieg vor 100 Jahren und die Rolle seiner Partei dabei in der Leipziger Volkszeitung auf den Punkt: »Es gab radikalisierte Elemente in der Arbeiterschaft. Die waren nun mit Waffengewalt zu besiegen. Das bleibt ein schmerzlicher Vorgang, auch im Rückblick, aber man kann doch wissen, dass der Weg, der dann eingeschlagen wurde, der bessere war.«

Wer der Frage nachgeht, wie in Deutschland weniger als 14 Jahre nach dem massenhaften Versuch einer Revolution die Nazis an die Macht kommen konnten, findet einen Großteil der Erklärung im Terror, mit dem die Regierung Ebert und ihr Kriegsminister Noske gegen die aufständischen ArbeiterInnen vorgingen. Im Januar 1919 setzten sie in Berlin zum ersten Mal Freikorps zusammen mit Freiwilligen aus dem Bürgertum als Sturmtruppe der Konterrevolution ein. In den folgenden Monaten gingen sie in ganz Deutschland gegen die massiven Streiks und die Versuche zur Ausrufung einer Räterepublik mit Tanks, Flugzeugen, Artillerie und Minenwerfern vor. Bei der blutigen Niederschlagung des Berliner Generalstreiks vom März 1919 hatten sie mit einem Schießbefehl die Erlaubnis zum offenen Terror auch gegenüber Zivilisten gegeben, was nicht einmal das alte Preußen gekannt hatte. Karl Heinz Roth schreibt im Vorwort zu Klaus Gietingers Buch »November 1918 − der verpasste Frühling des 20. Jahrhunderts« (Nautilus 2018): »(Gustav Noske) hatte einen durch seine Parteiführung gedeckten Schießbefehl erlassen, der die Kontinuität zu den deutschen Kolonialmassakern zu Beginn des Jahrhunderts und zu den während des Ersten Weltkriegs begangenen Kriegsverbrechen herstellte und nun auf die eigene Bevölkerung – darunter auch Teile der eigenen Parteibasis – übertrug.«

Der aktuelle Grünenchef Robert Habeck hat vor zehn Jahren ein Theaterstück über 1918 geschrieben, in dem Gustav Noske recht positiv wegkommt; von der FAZ im Juni 2018 darauf angesprochen, erklärte er: »Als ich das mit meiner Frau schrieb, befand ich mich in einer Situation, in der ich politisch mehr Verantwortung übernehmen wollte, deswegen war mir die Noskesche Situation schon sehr nahe.«

 
 
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