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18.09.2024

Das Elektroauto und die Rückkehr des Bergbaus

Wir unterbrechen unsere B-Serie (Boeing – Bahn – Bangladesch) und beginnen nun mit der A-Serie: A wie Auto.

Also gleich. Denn bei Boeing hat am 13. September der Streik begonnen. Fast 33 000 Arbeiter beteiligen sich. Die neu eingestellten begehen bewusst keinen Streikbruch, sondern suchen sich Nebenjobs oder versuchen so über die Runden zu kommen. Eine Arbeiterin sagt: »Das ist die stärkste Solidarität, die ich je gesehen habe.«

Und BMW ruft gerade 1,5 Millionen Autos wegen fehlerhafter Bremsen zurück. Das Bremssystem kommt vom Zulieferer Continental. Dass es keine mechanische Verbindung zwischen Bremspedal und Radbremse mehr gibt, sondern alles nur noch von Elektronik und Software erledigt wird, spielt dabei auch eine Rolle. BMW hat mehr Produktionsschritte ausgelagert als andere – entsprechend viele Rückrufe gibt es: vor einem Monat 1,4 Millionen Autos wegen defekter Airbags, eine Woche später 720 000 Wagen wegen Kurzschlussgefahr einer fehlerhaften Dichtung an einer Wasserpumpe, dann die Tochter Mini 150 000 E-Autos wegen der Batterie, die Feuer fangen könnte.

BMW muss viel Geld in die »Qualitätssicherung« stecken, um die Lieferanten besser zu überwachen.

Wie wir anhand von Boeing gesehen haben, fällt den Multis ihre jahrzehntelange Auslagerei auf die Füße: weder die industriellen Kapazitäten noch das Arbeiterwissen reichen für den geregelten Betrieb und noch weniger für die »grüne Transformation«. Dass auch die Masseneinkommen nicht mehr reichten, wollte vor allem die deutsche Autoindustrie mit ihrer »Luxus-« und »Chinastrategie« umgehen: die Massenfertigung von günstigeren Kleinwagen wurde nach der Krise 2008 abgelöst von immer dickeren und teureren SUVs für die (chinesische) Oberklasse. Der Anteil der SUVs bei den Verkäufen von Elektroautos ist sogar noch höher als bei Verbrennern. Aber nun kaufen die Chinesen lieber andere Autos. Gleichzeitig werden insgesamt immer weniger Autos verkauft – die Auslastung europäischer Fabriken kommt nicht mehr auf das Niveau von 2019. Die Luxusstrategie ist gegen die Wand gefahren.

Insgesamt sinkt die Industrieproduktion in Deutschland spürbar – viele kleinere Betriebe machen dicht, große Zulieferer entlassen noch mehr Leute, als sie ohnehin bereits angekündigt hatten. Thyssenkrupp und BASF bauen Anlagen ab, Volkswagen kündigt die Beschäftigungssicherungsverträge und droht ganze Standorte zu schließen. Im Kern geht es um den Abbau gut bezahlter Jobs gewerkschaftlich organisierter ArbeiterInnen (die IG Metall ist die größte Industriegewerkschaft der Welt).

VW macht vor, wie das geht: 2021 bis 2023 Rekorddividenden an die Aktionäre ausschütten, Ende 2023 ein Sparprogramm beschließen – und sobald die (nur von Ignoranten nicht vorhergesehene) Absatzkrise die Auslastung der Werke auf 20 bis 30 Prozent drückt, die Belegschaften mit Weltuntergangsszenarien und mithilfe der Wirtschaftspresse weichklopfen.

Eine gute Reaktion war schon mal von den Arbeitern in Brüssel (wo VW das Werk schließen will), die die Schlüssel von fertigen Autos eingesackt haben und erst rausgeben, wenn die Unternehmer ihre Forderungen erfüllen. Am 16. September waren 5500 Leute auf einer Demo gegen die Schließung – nicht nur Arbeiter der Fabrik, sondern auch der Zulieferer.

In Serbien stellt sich laut Umfragen mehr als die Hälfte der Bevölkerung gegen den Lithium-Abbau.

Um idiotische und dreiste Unternehmer und Politiker davon abzuhalten, uns und den Planeten zu ruinieren, braucht es aber sehr viel mehr Widerstand und Aktionen. Die nicht nur wirtschaftliche, sondern vor allem politische und strategische Krise des Kapitalismus sollten wir nutzen, um in die Offensive zu kommen!

Im Folgenden das (gekürzte) Kapitel zum Elektroauto im Artikel »Neue Blockbildung statt Globalisierung?« aus dem aktuellen Heft.

aus: Wildcat 113, Spätsommer 2024

Das Elektroauto und die Rückkehr des Bergbaus

Mit dem Elektroauto fährt womöglich gerade ein weiterer Teil der »grünen Transformation« an die Wand.

Seit Jahren rutscht die Autoindustrie in die Krise. 2017 hatten die globalen jährlichen Verkäufe mit über 85 Millionen Autos ihren Höhepunkt erreicht. Seither sind sie im Durchschnitt unter 70 Millionen gefallen – bei einer Produktionskapazität für über 100 Millionen Autos. Um die Überkapazität von 30 Millionen Autos abzubauen, müssten 60 große Fabriken geschlossen werden.

Das E-Auto sollte der Autobranche aus der Krise helfen und die geopolitischen Abhängigkeiten vom Erdöl beenden, verschärft aber die Abhängigkeiten von China bei den Rohstoffen und bei zentralen Teilen wie der Batterie. Und bezahlbar ist es sowieso nur, wenn es in China hergestellt wird.

E-Autos verkaufen sich schlecht. Alle Elektroauto-Start-ups bauen gerade Kapazitäten ab oder gehen pleite. Tesla entlässt Leute und hat den Bau seiner fünften Fabrik (in Mexiko) ausgesetzt. VW kündigt Leute in der Elektroproduktion. Profite machen Autokonzerne nach wie vor nur mit Verbrennern.

Dass aus Bergarbeitern Autoarbeiter wurden, galt im Ruhrgebiet der 60er Jahre als »gelungener Strukturwandel«. Mit dem E-Auto geht’s zurück in die Erde. Zur Herstellung einer Standard-60- kWh-Batterie, die 185 kg wiegt und ein Viertel vom Preis eines Elektroautos ausmacht, braucht man 52 kg Graphit, 35 kg Aluminium, 29 kg Nickel, 20 kg Kupfer, 20 kg Stahl, 10 kg Mangan, 8 kg Kobalt, 6 kg Lithium und 5 kg Eisen.

Zur Gewinnung dieser Rohstoffe muss der Bergbau wieder ausgeweitet werden. Das ruiniert nicht nur den Planeten, sondern bedeutet auch die Rückkehr lebensgefährlicher (Kinder-)Arbeit.1 Die Hälfte der bekannten Kobalt-Vorkommen liegt in der DR Kongo, drei Viertel des weltweit verarbeiteten Kobalts kommen von dort.

Gegen die massiven Umweltfolgen des Lithium-Abbaus regt sich Widerstand. Am Oberrhein protestieren seit Jahren Anwohner gegen die Vulcan Energy (Erdbebengefahr!). In Bosnien kämpfen die Leute gegen die Schweizer Arcore AG, die Lithium an Mercedes liefern will. In Serbien hatten 2021 Proteste ein neues Lithium-Bergwerk verhindert. Anfang Juli 2024 genehmigte das serbische Verfassungsgericht dann doch den Abbau. Kanzler Scholz und Mercedes-Chef Ola Källenius fuhren persönlich zur Unterzeichnung der Absichtserklärung. Laut serbischer Regierung wird der Abbau nicht vor 2028 beginnen. Derweil geht der Widerstand massiv weiter.

Chinas Dominanz

Chinesische Unternehmen förderten 2022 global etwa 70 Prozent aller seltenen Erden und 68 Prozent des Graphits.2 Bei der Verarbeitung lag ihr Anteil sogar bei 85 Prozent; denn das ist ein eher schmutziges Geschäft, aus dem sich westliche Unternehmen zurückgezogen hatten, um sich auf die »höherwertigen« (profitableren) Schritte in der Wertschöpfung zu konzentrieren. Im Rahmen der Belt-and-Road-Initiative hat China weltweit viel Geld in den Bergbau investiert. Es kontrolliert viele Kobaltminen im Kongo und Nickelminen in Indonesien.

Als einziges Land kann China ein Elektroauto komplett ohne ausländische Zulieferer fertigen. BYD hat nach Verkaufszahlen Tesla als größten Elektroauto-Hersteller der Welt überholt. Das Unternehmen mit 700 000 Beschäftigten ist vertikal integriert und lässt sich nur Reifen und Fenster liefern. Es betreibt eine eigene Schiffsflotte, um die Autos nach Europa zu bringen. Mit Fabriken außerhalb Chinas will BYD Importzölle und Sanktionen umgehen. Im Juni 2024 wurde eine Fabrik in Thailand eröffnet, weitere in Usbekistan, der Türkei, Ungarn, Indonesien, Mexiko und Brasilien sind in Bau oder Planung.

2012 hatten chinesische Elektroautos einen globalen Marktanteil von 0,1 Prozent – heute sind es 60 Prozent. Auch die Hälfte aller Teslas wird in China produziert. Die Autoexporte aus China haben sich von 2021 auf 2023 mehr als verdoppelt, der Anteil der Elektroautos daran stieg von 15 auf 25 Prozent.

Chinesische Elektroautos kosten im Durchschnitt 32 000 Euro, deutsche 52 700. In China selber verkauft BYD seine Autos umgerechnet ab 11 000 Euro. Die deutschen Hersteller verlieren in ihrem wichtigsten Absatzmarkt seit vier Jahren Anteile. Industriepolitisch sind die EU-Zölle ein Eingeständnis des Scheiterns.

Weltweite Überkapazitäten in der Batterieproduktion

Der »Inflation Reduction Act« hat in den USA zu einem Bauboom bei Batteriefabriken geführt. 2019 gab es dort zwei und weitere zwei in Bau. 2024 sind elf in Betrieb oder im Anlauf und 22 in Bau oder Planung. Bis 2030 soll sich die US-Batterieproduktion auf über 1000 Gigawattstunden im Jahr vervierfachen; das wäre genug für die (geplanten) zehn Millionen Elektroautos jährlich.

Volkswagen plant seine größte Zellfabrik in Kanada – subventioniert mit mehreren Milliarden Euro. Europäische Batteriehersteller kriegen ihre Produktion nicht hochgefahren. Mit 6,1 Milliarden Euro haben die Mitgliedstaaten der EU seit 2019 die Batterieproduktion subventioniert. Das wirkt aber nicht (Northvolt). Oder es wird zum Fenster rausgeschmissen: 137 Millionen flossen an Varta – das nun Ende Juli vor dem Bankrott steht, die Subventionen sind futsch.

Zwei Drittel der weltweiten Lithium-Ionen-Batterien werden in China gebaut, allein BYD und CATL produzieren mehr als die Hälfte. Auch die Beschichtungsmaschinen für Anoden und Kathoden der Akkus kommen aus China. Das Land wird bis 2030 über viermal mehr Kapazitäten für die Batterieproduktion verfügen als die Vereinigten Staaten. Chinesische Hersteller allein könnten die weltweite Nachfrage nach Batterien drei- bis vierfach abdecken; trotzdem bauen alle ihre eigenen Fabriken.

Neue Arbeiterkämpfe?

Mit dem Elektroauto breiten sich miserable Arbeitsbedingungen und verschärfte Naturzerstörung über den Globus aus. Aber der Wettlauf um nationale Industriekapazitäten führt auch zu neuen Möglichkeiten im Arbeiterkampf. Das Tesla-Werk in Grünheide ist ein Beispiel für beides.

Die Ersetzung des Verbrenners durch Elektromotoren reduziert die Montagearbeit. Betrachtet man aber die gesamte (vorgelagerte) Produktions- und Lieferkette, ist eher mehr denn weniger Arbeit zur Herstellung eines Elektroautos nötig.3

Hätten die Kinder im Kongo Tariflöhne, wäre ein Elektroauto sowieso unbezahlbar. Die entscheidende Frage ist, ob das Elektro-Auto zur Tarifflucht genutzt werden kann. Die neuen Batteriefabriken in den USA sollten nicht unter den Tarifvertrag der UAW fallen. Mit dem Streik 2023 konnten die Arbeiter dies verhindern und ihre Bedingungen verbessern. In Grünheide protestieren Anwohner und Klimaaktivisten gegen die Erweiterung der Fabrik, Arbeiter und IG Metall kämpfen für einen Tarifvertrag. Auch in Skandinavien kämpfen Tesla-Beschäftigte für Tarifverträge.

Fußnoten

[1] Siddharth Kara, Autor von »Blutrotes Kobalt« (HarperCollins 2024), der lange in der DR Kongo recherchiert hat, sagt: »Während meiner gesamten Zeit im Kongo habe ich nie etwas von Aktivitäten gesehen oder gehört, die mit [einer der Initiativen für Unternehmerverantwortung] in Verbindung stehen, geschweige denn von Maßnahmen, die auf eine konkrete Umsetzung der Verpflichtungen der Unternehmen zu internationalen Menschenrechtsstandards, Audits durch Dritte oder eine Nulltoleranzpolitik gegenüber Zwangs- und Kinderarbeit hinweisen könnten.« (S. 18)

[2] China produziert 70,3 Prozent aller seltenen Erden (zusammengefasst) und verfügt über 35 Prozent der Reserven, Russland über 16,7. Bei den Reserven spielt nur Brasilien – ein weiteres Land der BRICS-Gruppe – eine wichtige Rolle (16,7 Prozent); dort wird aktuell fast nichts abgebaut. Die BRD importierte von Januar bis November 2022 rund 66 Prozent ihrer seltenen Erden aus China. 2023 belegte die chinesische Regierung Germanium, Gallium und Graphit mit Exportbeschränkungen.

[3] siehe Mark P. Mills: The EV Jobs Myth, www.city-journal.org, 21.9.2023 sowie Emily Pontecorvo: There’s Surprisingly Little Evidence That EVs Will Require Fewer Workers, www.heatmap.news, 6.10.2023

 
 
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