Wildcat Nr. 66 - Juli 2003 - S. 58-59 [w66baube.htm]


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»Probieren kann man's ja mal...«

Kampagne gegen Lohnklau auf Berliner Baustelle

... war wohl die innovative Managementidee bei den Bauarbeiten an den Rathauspassagen am Alexanderplatz: Die landeseigene Berliner Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM, Vermieterin Tausender Wohnungen in Berlin Mitte) ließ Abbrucharbeiten durch die CPM Baugesellschaft mbH durchführen, die ihrerseits die AK-ER GmbH in Gründung als Subunternehmen beauftragte. Später soll da u.a. Wal-Mart rein. Die AK-ER GmbH i.G. stellte Arbeiter afrikanischer Herkunft ein, am Ende wurden 13 500,- Euro Lohn nicht gezahlt. Das alles passierte im September 2002.

Später begegnete einer der Arbeiter seinem Ex-Chef auf der Straße und forderte seinen Lohn: Seitdem kann er seinen Arm nicht mehr richtig bewegen. Statt dessen können die geprellten Arbeiter auch klagen, das Arbeitsrecht lässt solche Klagen selbst dann zu, wenn der Aufenthaltsstatus nicht gesichert oder der/die ArbeiterIn illegalisiert ist. So eine Klage dauert länger, als Bauarbeiter Zeit haben, auf ihr Geld zu warten. Auch in diesem Fall haben 19 der betroffenen Arbeiter ein Rechtsanwaltsbüro beauftragt. Die WBM war nicht kooperationsbereit, selbst Informationen für eine Klage der Arbeiter gegen das Subunternehmen wollte sie nicht zur Verfügung stellen.

Die Arbeiter nahmen Kontakt zur Flüchtlingsinitiative Brandenburg (FIB), zu Elexir-A und zur Antirassitischen Initiative Berlin auf. Sicht- und hörbares Ergebnis war eine Kundgebung am 11. Juni, 11 Uhr vor der immer noch laufenden Baustelle mit anschließender Demonstration zum Hauptsitz der WBM, ca. einen Kilometer entfernt. An der Kundgebung/Demonstration nahmen ca. 50-100 Personen, darunter viele Schwarze, einige Leute der Freien ArbeiterInnen Union mit großen Fahnen, und die üblichen Verdächtigen einer antirassistischen Demo teil. Eine Solidaritätsadresse der IG BAU Hamburg wurde verlesen, in der auch die gewerkschaftliche Befürwortung von »Razzien gegen Schwarzarbeit« kritisiert wurde. Die InitiatorInnen der Demo hatten noch keinen Kontakt zur IG BAU in Berlin aufgenommen.

Die meisten Passanten nahmen spätestens dann ein Flugblatt, wenn man ihnen sagte, dass »die Arbeiter dieser Baustelle um ihren Lohn geprellt werden«. Aus dem Flugblatt: »Wir fordern den Lohn ein, der diesen Arbeitern zusteht. Wir fordern Mindestrechte für alle ArbeiterInnen unabhängig vom Aufenthaltsstatus. Wir fordern gleichen Lohn für gleiche Arbeit und fordern auch die Solidarität der Kolleginnen und Kollegen ein.« In dem Flugblatt und in den Redebeiträgen auf Deutsch, Englisch, Französisch und Russisch wurde darüber hinaus gegen Razzien, gegen die Kriminalisierung von Schwarzarbeit, für das Recht auf Arbeit und dafür argumentiert, dass die WBM den Arbeitern den ausstehenden Lohn zahlen und ihn sich hinterher vom Subunternehmen zurückholen soll.

Dieses letzte Argument wurde wichtig vor der Geschäftsstelle der WBM, wo die Demo wieder zur Kundgebung wurde und die Beteiligten »Lohn her, Lohn her!« und »Zahlen, zahlen!« riefen.

Das journalistische Interesse an dem Fall - durch die Demonstrationsankündigung geweckt - hatte bereits dazu geführt, dass die WBM ihren unkooperativen Kurs verlassen und den Anwälten der Arbeiter die geforderten Informationen zur Verfügung gestellt hatte.

Als die Demo vor dem Hauptsitz der WBM stand, wurde eine Delegation der VeranstalterInnen zum Gespräch gebeten. Das dauerte ziemlich lang, glücklicherweise waren draußen Stimmung und Wetter gut. Dann endlich die Nachricht von drinnen: Es wird ein Vertrag vorbereitet. Die WBM - die natürlich darauf besteht, keine Verantwortung zu tragen - verpflichtete sich auf die CPM einzuwirken, innerhalb von 10 Tagen den ausstehenden Lohn aller Arbeiter dieser Baustelle - auch derer, die sich noch nicht gemeldet hatten - über die veranstaltenden Initiativen an die Arbeiter zu bezahlen.

Weder bei der Kundgebung noch in den Verhandlungen im WBM-Gebäude wurde thematisiert, dass die Arbeiter mit den vereinbarten 6,25 Euro pro Stunde untertariflich bezahlt bzw. geprellt wurden.

Bleibt zu hoffen, dass dieser konkrete Erfolg einer nun doch nicht sooo großen Mobilisierung gegen Lohnraub unter den schwierigen Bedingungen des Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigungsrechts zur Nachahmung in anderen Fällen ermuntert. Zumindest wurden während der Demo Kontakte ausgetauscht und ein Nachbereitungstreffen zur Bildung eines Netzwerkes für ähnliche Fälle angedacht. Probieren kann man's ja mal...

Freitag, der dreizehnte, MM

Nachspann

Auf telepolis könnt Ihr nachlesen, wie rumänische Werkvertragsarbeiter im Januar 2003 ihre ausstehenden Löhne erstreiken wollten. Vor zwei Jahren haben wir einen MigrantInnenstreik in einer Zuliefer-Klitsche als Beispiel für die sich ausbreitenden Kämpfe von Illegalen beschrieben (Wildcat-Zirkular 59/60) und - wenige werden sich erinnern - in der letzten Nummer der Wildcat (Frühjahr 1994) hatten wir einen langen Artikel über die Entwicklung des Bausektors, in dem es u.a. um die verschiedenen Methoden des Lohnklaus und den Widerstand dagegen ging: vom Streik über Sabotage bis zur gewaltsamen Eintreibung. Diese Verhältnisse beschreibt auch Jörg Alt detailliert in seiner Untersuchung »Illegal in Deutschland« (Karlsruhe, 1999).

All das sind - allerdings viel zu spärliche - Hinweise darauf, daß Lohnraub wie auf der WBM-Baustelle in Berlin »nichts Besonderes« ist. Wenn wir die Augen offenhalten, aufmerksam die Lokalzeitungen lesen und vor allem mit den entsprechenden Leuten (z.B. auf den Arbeits- und Sozialämtern oder auf der Arbeit selber) ins Gespräch kommen, werden wir mitkriegen, daß sich die ArbeiterInnen oft heftig zur Wehr setzen, auch wenn sie unter beschissenen Bedingungen kämpfen müssen.

Wir hoffen auf die im Artikel angesprochenen Kontakte - und auf eine entsprechende Debatte beim Kölner Grenzcamp Anfang August!

Die Parolen auf der mehrheitlich von Leuten aus der antirassistischen Szene getragenen Demo waren hauptsächlich »Lohn her!« und »Her mit dem Geld!«, das kam auf dem Alex, bei den Taxifahrerständen und natürlich bei den ganzen Bauarbeitern (es war gerade Mittagspausenzeit!) auf der kurzen Demostrecke gut an und war eine Ecke lebendiger und spaßiger als das übliche Gejammere um Mindeststandards und Hierarchien der Ausbeutung. (Siehe auch die Bildseite beim Umbruch-Bildarchiv.)

Kontakt: Flüchtlingsinitiative Brandenburg (FIB), Elexir-A (eine aus der Anti-Residenzpflichtkampagne hervorgegangene antirassistische Gruppe); Antirassistische Initiative Berlin (ARI): ari-berlin@gmx.de.


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