Wildcat Nr. 78, Winter 2006/2007, S. 21–22 [w78_workers_center.htm]



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Weltweite Workers Center?

Neben »Organizing und Campaigning« (siehe Gewerkschaften auf neuen Wegen: wenn der Kollege zum Kunden wird in diesem Heft) sind es die Workers Center in den USA, die als vielversprechender Ansatz einer Organisierung von unten diskutiert werden. Dabei werden diese Workers Center als mögliche Brücke thematisiert: zwischen den theoretischen Debatten und praktischen Kampagnen um migrantische Arbeit und Prekarisierung, zu Hartz IV und Ein-Euro-Realitäten, von Euro-Mayday Mobilisierungen zur Gate-Gourmet-Streik-Unterstützung…

In den USA organisieren sich in und um diese Workers Center in erster Linie MigrantInnen: gegen die Arbeitsbedingungen und Niedriglöhne in den Sweatshops der Textilindustrie; nicht bezahlte Löhne werden »eingetrieben«; »illegale« MigrantInnen unterstützt.

Die folgenden Anmerkungen können keine ausführliche Darstellung der Workers Center in den USA sein. Der kurze Blick in die USA soll helfen, die Frage zu beantworten, was wir davon lernen könnten.

Der Aufstieg der Workers Center

Die Krise der organisierten Arbeiterbewegung seit Ende der 1970er Jahre und eine breite Einwanderungswelle aus Mexiko, Mittel- und Lateinamerika sind der Hintergrund für die Ausbreitung der Workers Center in den USA. Zwischen 1973 und dem Ende der 1990er Jahre sind die Reallöhne um 15 Prozent gesunken, 1978 hatte der US-amerikanische Gewerkschaftsdachverband AFL/CIO 22,8 Millionen Mitglieder, 2004 noch 15,5 Millionen, was einem durchschnittlichen Organisierungsgrad von ca. 10 Prozent entspricht. Zwischen 1981 und dem Ende der 1990er Jahre sind fast 15 Millionen MigrantInnen in den USA angekommen – und aus ihren Kreisen wurde dem Klassenkampf, gewerkschaftlichem oder nichtgewerkschaftlichem, neuer Wind eingehaucht. Wie immer haben sich die Gewerkschaften mit den ImmigrantInnen schwer getan. Erst im Jahr 2000 sah sich die AFL/CIO gezwungen, entgegen ihrer bisherigen Linie die Forderung nach einer »Amnestie für Illegale« zu unterstützen. In den letzten Jahren bemühen sich die Gewerkschaften auch um eine offizielle Kontaktaufnahme zu den Workers Center. Im November 2006 ist mit der New Yorker Taxi Driver Alliance zum ersten Mal ein Workers Center, das sich allerdings schon vorher als Gewerkschaft verstanden hatte, offiziell in die gewerkschaftlichen Strukturen eingebunden worden.

In den 1970er/80er Jahren bildeten sich die ersten Workers Center als Reaktion auf den Gegenangriff von Staat und Kapital nach den Kämpfen der 1960er/70er Jahre: als Reaktion auf Auslagerungen und Fabrikschließungen und die damit verbundenen veränderten Arbeits- und Lebensbedingungen. Mitgegründet wurde sie oft von AktivistInnen aus der Friedens-, Studenten-, Bürgerrechts- und Arbeiterbewegung. Und nicht selten aus bewusster Kritik an den Gewerkschaften. Im Süden der USA gründeten sich einige Workers Center der schwarzen Arbeiterklasse, nachdem eine »Organizing-Kampagne« der Gewerkschaft in den 1950er Jahren fehlgeschlagen war, aber auch als Reaktion auf den Rassismus in den gewerkschaftlichen Strukturen.

Vom Ende der 1980er bis Mitte der 90er Jahren waren es vor allem MigrantInnen aus Mittelamerika, die sich an einer zweiten Welle von Workers Center Gründungen beteiligten. Hintergrund der Einwanderung waren die Kriege in Mittelamerika in den 1980er Jahren.1

Seit 2000 gibt es eine dritte Welle von Neugründungen vor allem in den großen Städten. Nun kommen aber zwei neue Arten von Zentren dazu: Einerseits Workers Center in den ländlichen Gebieten der südlichen Staaten, wo viele MigrantInnen rund um die landwirtschaflliche und fleischverarbeitende Industrie leben. Andererseits entstehen im Süden Workers Center für die Einwanderer aus Mexiko »nach Nafta«. Neu ist auch, dass Kirchen – und Gewerkschaften! – die Workers Center als Terrain der Mitgliederwerbung erkennen.

Die Workers Center sind räumlich stark konzentriert: um die 25 gibt es allein in New York, um die 20 in und um Los Angeles, um die 10 in Chicago, 6 in Boston. Insgesamt wird von 130 Workers Center gesprochen. Die städtischen Ballungsgebiete sind auch die Orte mit dem höchsten Anteil an MigrantInnen (in Los Angeles um die 30 Prozent, New York ungefähr ebenso). 40 Prozent der MigrantInnen, die Kontakt zu Workers Center aufnehmen, kommen aus Zentralamerika, 20 Prozent aus Südamerika, 15 Prozent aus der Karibik und ebensoviele aus Asien.

Die Zentren werden meist nach der Ethnie und/oder der Branche, in der sie was machen, benannt: 25 Prozent »widmen« sich im weitesten Sinn dem Bau, 20 Prozent dem Hotel- und Gaststätten-Gewerbe, 15 Prozent der Landwirtschaft, 15 Prozent der Hausarbeit.

Finanziert werden die Zentren über eine Mischung aus Mitgliedsbeiträgen, Spenden, Stiftungsgeldern und Fund-Raising, in den letzten Jahren unterstützen auch zunehmend die Gewerkschaften.

Die Workers Center funktionieren als Anlaufpunkt für MigrantInnen einer Region, eines Stadtteils. Oft konzentrieren sich auch aber MigrantInnen gleicher Herkunft in bestimmten Branchen, so dass sich die Center nicht selten mit einer bestimmten Ausbeutungssituation beschäftigen. Die Workers Center sind »community-based«, wobei diese Community über die Herkunft, territorial oder über eine bestimmte Arbeitssituation bestimmt sein kann, Überschneidungen inklusive. Ebensowenig lassen sich die Zentren nach politischen oder organisatorischen Rahmenbedingungen einteilen. hnlich sind lediglich die Arbeitsschwerpunkte. Fast immer stehen die Konflikte um nicht bezahlte oder zu niedrige Löhne im Mittelpunkt. Ebenso Bildung, Schulung, Sprachtraining und Beratung. Da die Zentren immer auch Anlaufpunkt für neue EinwanderInnen sind, geht es um Information über ihre Rechte, aber auch um die Organisierung von politischen Kampagnen gegen die Verschärfungen der Einwanderungsgesetzgebung in den letzten Jahren – besonders seit 2001.

Ein Besuch in einem Workers Center bringt für einen »hiesigen Linken« zunächst einige Überraschungen: die Zentren haben wenig mit Stadtteilläden, besetzten Häusern, autonomen Zentren…gemein. Sie sind keine Orte, an denen sich ständig Leute treffen, sei es zum Quatschen, zum Politisieren, zum Essen oder Feiern. Dazu sind auch die Räumlichkeiten meist zu begrenzt. In einem Büro bekommt man von ein oder zwei ehrenamtlichen oder auch mal bezahlten Leuten Informationen über die aktuellen Aktivitäten. Wenn man Glück hat, kann man auch an einer Aktion teilnehmen – und ist dann überrascht, wenn man in den USA noch nie an einer Demo teilgenommen hat. Dann findet man sich z.B. mit einem Dutzend chinesischer Textilarbeiterinnen vor einem Sweatshop in Chinatown/New York wieder und demonstriert auf dem Gehsteig davor relativ unbemerkt von den Massen auf den Straßen mit Schildern gegen den Unternehmer.

Die Leute »fest« zu binden scheint ein Problem zu sein. Ein Workers Center Aktivist schrieb uns im letzten Jahr, dass die Zentren kein Ersatz für die Organisierung im Betrieb sein können. Es gelänge zwar immer wieder ausstehende Löhne einzufordern, aber so wäre man eine Art »Gewerkschaft der Gefeuerten«. Als Hauptaktionsfeld beschreibt er die Straßen. Mit dem Lohn könne zwar ein Stück Würde zurückerlangt werden. Aber auf diese Erfahrungen immer unterschiedlicher Leute könne nicht ’automatisch’ aufgebaut werden. Dauerhafte Erfolge im Betrieb dagegen könnten neue Perspektiven eröffnen.

Auf der anderen Seite wären die riesigen Demos und Massenstreiks der ImmigrantInnen im Frühjahr diesen Jahres ohne die Workers Center schwer vorstellbar gewesen. Es ist wohl noch zu früh, um einschätzen zu können, wie es nach der breiten Mobilisierung im Frühjahr 2006 weitergehen wird. George Caffentzis schloss seinen Artikel in der Wildcat 77 mit einem Appell an die »eingeborene« Arbeiterklasse:

»Klar ist …, dass der Aufstand in den sechs Wochen zwischen dem 25. März und dem 1. Mai mit seiner tiefreichenden Verbindung zu den jüngsten Revolutionen gegen den Neoliberalismus in Südamerika eine andere Art von Arbeiterklassenmacht in den USA verspricht. Es ist jetzt an den eingeborenen US-ArbeiterInnen, ihr Schicksal mit dem entrechtetsten Teil ihrer Klasse zu verbinden.«

Workers Center in Deutschland!?

Noch gibt es kein Workers Center in Deutschland, denn diese Organisationsform ist eng an die spezifischen Bedingungen in den USA gebunden.

Dabei scheint bei allen Unterschieden die Zielsetzung auch hier richtig: eine Diskussion, wie die unterschiedlichen Kämpfe der letzten Jahre zusammenkommen können. Es gab hier wichtige Auseinandersetzungen, die neue Perspektiven bieten. Allerdings werden sie nicht zum »Spiegel« für andere ArbeiterInnen, breiten sich nicht aus, bleiben in der jeweiligen Situation gefangen. Die Linke diskutiert zwar vermehrt über diese Kämpfe, hat aber noch keine Möglichkeit gefunden, sich einzumischen, bzw. geht oft nicht einmal hin. Das gewünschte Zusammenkommen findet bislang nur in den Diskussionen um den Begriff der Arbeit statt. Oder es wird wie beim »Organizing« eine alte gewerkschaftliche Strategie entdeckt und mit der Forderung nach dem bedingungslosen Grundeinkommen eine Vereinheitlichung von oben geschaffen.

Wir können die Workers Center in den USA bzw. die MigrantInnenbewegung als Aufforderung verstehen, wieder mehr auszuprobieren. Dabei sollten wir aber von den Möglichkeiten und Grenzen der aktuellen Kämpfe ausgehen und vor diesem Hintergrund die Frage nach den eigenen Initiativen neu stellen.

 

[1] Siehe hierzu die Artikel in Wildcat 73, Dossier USA, S.17, Der Krieg gegen den Terror und die Arbeiterklasse in den USA. Wildcat 77, S.56, Der »Si se puede«-Aufstand



aus: Wildcat 78, Winter 2006/2007



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