Wildcat Nr. 79, Herbst/2007, S. 43–47 [w79_sozialkunde.htm]



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Arbeiten fürs JobCenter

Traditionell arbeiten viele Linke in der Sozialpädagogik. In letzter Zeit wurden die Arbeitsbedingungen in diesem Bereich dermaßen verschlechtert, dass die Beschäftigten ihren Entscheidungsspielraum stark eingeschränkt sehen oder selbst einschränken. Viele machen heute Sachen, die für sie früher unvorstellbar waren und sind daran beteiligt, den Zwang zur Arbeit durchzusetzen. Wie verhalten sich die Leute, wenn die Illusion, sie könnten Gutes tun, immer schwieriger aufrecht zu erhalten ist? Und was bringt ihre KollegInnen vom Jobcenter dazu, Hartz IV übereifrig umzusetzen?

Die stetig steigende Arbeitslosigkeit führte seit Ende der 70er Jahre zu einem Boom der privaten und karitativen Weiterbildungsindustrie. Viele Unternehmen nutzten diese, um flexibel auf ein Arbeitskräftereservoir zurückzugreifen und Qualifikationskosten auszulagern. Viele JobberInnen nutzten die Maßnahmen, um sich eine Zeitlang vom anstrengenden Arbeiten zu erholen, nahmen EDV-Kurse mit oder erwarben mit längeren Maßnahmen erstmalig Anspruch auf Arbeitslosengeld. Und auch viele Linke landeten in diesem Sektor als SozialberaterInnen oder AusbilderInnen.

Im Zuge der Umsetzung von Hartz IV erfolgte dann der Umbau der Arbeits- und Sozialämter zu Agenturen und Jobcentern. Er ging einher mit der repressiveren Ausrichtung der Maßnahmen und einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen (Verschlechterung der Personalschlüssel, zunehmende Verwaltungs- und Dokumentationsarbeit, etc.), Entlassungen bei den großen Trägern und massiven Lohnsenkungen um durchschnittlich 30 Prozent. In Großbritannien hat die Zusammenlegung von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe (1996) in den neu eingerichteten »Job centres« im Jahr 2002 zum längsten Streik im öffentlichen Dienst seit 20 Jahren geführt. Die ersten Auseinandersetzungen hatten wir 1999 mit der Übersetzung der Broschüre »Dole Autonomy« dokumentiert.1

Es schien denkbar, dass die Verschlechterung der eigenen Bedingungen, die parallelen Verschlechterungen im Weiterbildungsangebot und die folgenden durch Hartz IV auch hier Konflikte heraufbeschwören würden. Arbeitsverwalter und Arbeitslose könnten in einer gemeinsamen Bewegung zusammenkommen und die »Reform« blockieren. In eigenen Arbeitserfahrungen, Gesprächen mit KollegInnen und Interviews versuchten wir solchen Regungen auf die Spur zu kommen (Wildcat 71 und 74).

Heute können wir feststellen, dass der Staat bei der Umstrukturierung aus den britischen Erfahrungen gelernt hat. Die Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen, mies bezahlte Zeitverträge (siehe Interviews) und die politisch gewollte Überlastung der ARGE-Beschäftigten2 – haben die Leute »individualisiert«. Da wo es Teams gab, die sich gewehrt haben, wurden sie zersetzt und mürbe gemacht. Der Arbeitsdruck und die Drohungen erzeugen eine Angst, die dazu beiträgt, Hartz IV noch repressiver und damit erfolgreich umzusetzen.

Anfang des Jahres haben wir noch einmal zwei Interviews gemacht. Mit einem Genossen, der in einer »niedrigschwelligen« Beratungsstelle für Jugendliche gearbeitet hat. Trotz des erbitterten Widerstands des Teams wurde dieses zum Jobcenter umgebaut, das heute – trotz einiger Rückschläge und längerer Blockade repressiver Anweisungen – erfolgreich arbeitet. Der Genosse hat daraufhin seinen Job an den Nagel gehängt.

Das zweite Interview haben wir mit einer Genossin gemacht, die als Quereinsteigerin bei einem Bildungsträger das ganze Elend der Verschlechterungen und der Vereinzelung erlebt. Es beschreibt, wie die Leute sich an ihren Arbeitsplatz klammern, was sicherlich weit über den Weiterbildungsbereich hinaus das Ergebnis hat, dass Konflikte gegeneinander ausgetragen werden.

Aber warum führt insgesamt die massive Verschlechterung der Arbeitsbedingungen dazu, dass der Druck nach unten weitergegeben wird? Dieser Mechanismus ist sicherlich nicht einfach aufzuspüren. Nicht nur, weil die Maschinerie des staatlichen Arbeitszwangs auf vielen Säulen ruht: Agentur für Arbeit, Jobcenter, Weiterbildungsträger, Ein-Euro-Maßnahmen. Sondern vor allem, weil die Konflikte zwischen schweinischen Sachbearbeitern und ihren Kolleginnen, die moralisch sauber zu bleiben versuchen, die verzweigten Wege von Zuständigkeiten, der Zoff zwischen Fallmanagern und Trägerbeschäftigten, usw. usf. das Fass nicht zum Überlaufen bringen, sondern die tägliche Schmiere sind, die die strukturelle Repression am Laufen hält.

Die stetig steigende Arbeitslosigkeit führte seit Ende der 70er Jahre zu einem Boom der privaten und karitativen Weiterbildungsindustrie. Viele Unternehmen nutzten diese, um flexibel auf ein Arbeitskräftereservoir zurückzugreifen und Qualifikationskosten auszulagern. Viele JobberInnen nutzten die Maßnahmen, um sich eine Zeitlang vom anstrengenden Arbeiten zu erholen, nahmen EDV-Kurse mit oder erwarben mit längeren Maßnahmen erstmalig Anspruch auf Arbeitslosengeld. Und auch viele Linke landeten in diesem Sektor als SozialberaterInnen oder AusbilderInnen.

Im Zuge der Umsetzung von Hartz IV erfolgte dann der Umbau der Arbeits- und Sozialämter zu Agenturen und Jobcentern. Er ging einher mit der repressiveren Ausrichtung der Maßnahmen und einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen (Verschlechterung der Personalschlüssel, zunehmende Verwaltungs- und Dokumentationsarbeit, etc.), Entlassungen bei den großen Trägern und massiven Lohnsenkungen um durchschnittlich 30 Prozent. In Großbritannien hat die Zusammenlegung von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe (1996) in den neu eingerichteten »Job centres« im Jahr 2002 zum längsten Streik im öffentlichen Dienst seit 20 Jahren geführt. Die ersten Auseinandersetzungen hatten wir 1999 mit der Übersetzung der Broschüre »Dole Autonomy« dokumentiert.1

Es schien denkbar, dass die Verschlechterung der eigenen Bedingungen, die parallelen Verschlechterungen im Weiterbildungsangebot und die folgenden durch Hartz IV auch hier Konflikte heraufbeschwören würden. Arbeitsverwalter und Arbeitslose könnten in einer gemeinsamen Bewegung zusammenkommen und die »Reform« blockieren. In eigenen Arbeitserfahrungen, Gesprächen mit KollegInnen und Interviews versuchten wir solchen Regungen auf die Spur zu kommen (Wildcat 71 und 74).

Heute können wir feststellen, dass der Staat bei der Umstrukturierung aus den britischen Erfahrungen gelernt hat. Die Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen, mies bezahlte Zeitverträge (siehe Interviews) und die politisch gewollte Überlastung der ARGE-Beschäftigten2 – haben die Leute »individualisiert«. Da wo es Teams gab, die sich gewehrt haben, wurden sie zersetzt und mürbe gemacht. Der Arbeitsdruck und die Drohungen erzeugen eine Angst, die dazu beiträgt, Hartz IV noch repressiver und damit erfolgreich umzusetzen.

Anfang des Jahres haben wir noch einmal zwei Interviews gemacht. Mit einem Genossen, der in einer »niedrigschwelligen« Beratungsstelle für Jugendliche gearbeitet hat. Trotz des erbitterten Widerstands des Teams wurde dieses zum Jobcenter umgebaut, das heute – trotz einiger Rückschläge und längerer Blockade repressiver Anweisungen – erfolgreich arbeitet. Der Genosse hat daraufhin seinen Job an den Nagel gehängt.

Das zweite Interview haben wir mit einer Genossin gemacht, die als Quereinsteigerin bei einem Bildungsträger das ganze Elend der Verschlechterungen und der Vereinzelung erlebt. Es beschreibt, wie die Leute sich an ihren Arbeitsplatz klammern, was sicherlich weit über den Weiterbildungsbereich hinaus das Ergebnis hat, dass Konflikte gegeneinander ausgetragen werden.

Aber warum führt insgesamt die massive Verschlechterung der Arbeitsbedingungen dazu, dass der Druck nach unten weitergegeben wird? Dieser Mechanismus ist sicherlich nicht einfach aufzuspüren. Nicht nur, weil die Maschinerie des staatlichen Arbeitszwangs auf vielen Säulen ruht: Agentur für Arbeit, Jobcenter, Weiterbildungsträger, Ein-Euro-Maßnahmen. Sondern vor allem, weil die Konflikte zwischen schweinischen Sachbearbeitern und ihren Kolleginnen, die moralisch sauber zu bleiben versuchen, die verzweigten Wege von Zuständigkeiten, der Zoff zwischen Fallmanagern und Trägerbeschäftigten, usw. usf. das Fass nicht zum Überlaufen bringen, sondern die tägliche Schmiere sind, die die strukturelle Repression am Laufen hält.


»Seitdem geht es mir wirklich schlecht«

Gabriele arbeitet bis heute bei einem privaten Träger, der mit Billiglöhnen als Dumping-Anbieter in den Weiterbildungsmarkt eingestiegen ist.

Nach meinem abgeschlossenem Politikstudium habe ich rumgejobbt. Die Jobs waren mir egal – irgendwie muss ich ja meinen Lebensunterhalt verdienen – wichtig war mir jedoch mein soziales Umfeld und dass ich morgens noch in den Spiegel gucken konnte. Zwischendurch war ich oft arbeitslos und bin im Mai 2005 als Quereinsteigerin bei diesem Bildungsträger eingestiegen. Es war die schlecht bezahlteste Stelle – knapp 2000 Euro brutto für 38,5 Stunden, mit meiner 70-Prozent-Stelle entsprechend weniger. Selbst als Sekretärin an der Uni habe ich mehr bekommen, und doch besteht mein ganzes Team aus Akademikern. Ich sah es als Einstieg in die Erwachsenenbildung und habe gedacht ›ist ja was Neues, probier es aus und sieh es als bezahltes Praktikum‹.

Die Arbeit hat mir im ersten Jahr sehr viel Spaß gemacht. In der Zusammenarbeit mit Jugendlichen habe ich mein Ding gefunden. Ich gebe Stützunterricht, unter anderem in Fleischertechnologie. Natürlich kenne ich mich damit nicht aus, aber ich habe das Lehrbuch und kann das – im Vergleich zum lernbenachteiligten Schüler – schnell erfassen. Zu meiner Arbeit gehört auch die sozialpädagogische Betreuung, Förderplan, Betriebssuche, Schul-, Elternkontakte und jede Menge Verwaltungsarbeit.

Verschlechterung der Arbeitsbedingungen

Nach den Ausschreibungen im Sommer 2006 standen neue Verträge und damit Personalgespräche an. Die Arbeit macht mir Spaß, aber die Bedingungen dürfen sich nicht verschlechtern – so bin ich ins Personalgespräch gegangen. Im Personalgespräch wurden Lohnkürzungen und die Erhöhung der Wochenarbeitszeit auf 39 Stunden ohne Lohnausgleich bekanntgegeben. Ich war fest davon überzeugt nicht weiter zu machen, und habe das auch so zum Ausdruck gebracht.

Dann habe ich gesucht wie verrückt, mich sogar nach Berlin beworben, obwohl ich mein Umfeld nie verlassen wollte, aber nichts gefunden. Arbeitslosigkeit kann ich mir nicht leisten, ich müsste gleich ergänzendes ALG II beantragen und habe noch Schulden abzuzahlen. Trotz fester Überzeugung habe ich mangels Alternative und aus Perspektivlosigkeit nicht gekündigt. Seitdem geht es mir wirklich schlecht, ich denke jeden Morgen, meine Güte, ich habe mich selbst belogen und verarscht – das ist eine persönliche Niederlage. Innerlich habe ich gekündigt und erstmal Arbeitsverweigerung betrieben: Sudokus gelöst, krank gefeiert, während der Arbeitszeit Bewerbungen geschrieben und so weiter.

Weitere Verschlechterungen

Ende Juni 2006 ist eine von drei Vollzeitkräften wegen einer neuen Stelle gegangen. Ich habe dann im Juli Vollzeit gearbeitet und im August Urlaub gehabt. Danach musste ich feststellen, dass noch nicht einmal ein Wort darüber verloren wurde, wie man das ausgleichen kann. Bis heute (Mai 2007) ist nichts passiert, nur eine Kollegin aus einer anderen Zweigstelle hilft für einen Nachmittag die Woche aus. Insgesamt wurde der Personalschlüssel verschlechtert. Am Anfang hatten wir 72 Plätze mit etwas mehr als drei Stellen. Jetzt haben wir 86 Plätze mit weniger Personal. Dazu haben wir ganz viele Reha-Fälle, das sind besonders schwierige Fälle, teilweise ohne Schulabschluss. Damals galt: ein Lehrer und ein Sozialpädagoge auf 18 Reha-Fälle, jetzt auf 36 Fälle – nach so nem Personalschlüssel wird da gerechnet! 50 Prozent des Unterrichts sollen von Honorardozenten übernommen werden, aber das Budget dafür wurde nicht erhöht. Und Neueinstellungen sollen zukünftig nur noch 1600 Euro bekommen!

Ungleichzeitigkeit des Protests

Mir ging es die letzten Monate richtig schlecht. Meine Akzeptanzgrenze war auch viel geringer als bei den anderen, die nehmen das dann einfach noch hin, ›ist doch immer noch ein prima Job‹. Eine Kollegin war vor mir im Personalgespräch: ›Ach, hör dir das erstmal an, eigentlich machen die uns ein ganz gutes Angebot.‹ Und sie meinte damit, dass die Gehaltskürzung geringer ausgefallen ist als gedacht. Zwei meiner KollegInnen sind fest davon überzeugt, dass unser Träger noch gut zahlt, einer glaubt, dass er eh keinen anderen Job mehr finden würde. Und die Kollegin glaubt, dass die anderen noch schlechter zahlen, die haben ja alle nachgezogen mit dem Lohndumping. Damit hat auch unser Träger wieder argumentiert bei den Personalgesprächen: ›Die anderen sind günstiger geworden und die Agentur will halt die Günstigsten, also müssen wir …‹. Das sitzt so tief, die sind so überzeugt, dass sie sich festklammern müssen, weil das, was danach kommt, nur noch viel, viel schlimmer wird.

Ich habe das Gefühl, dass ich viel versucht habe in Diskussionen mit meinen Kollegen, mich aber auch ziemlich aufgerieben habe, ich kann ja nicht erwarten, dass die denselben Standpunkt vertreten und ne radikale Sicht auf die Dinge haben. Selbst der Kollege, der mir noch am nächsten steht, der ne linke Vergangenheit hat, hat Angst kritische Gedanken überhaupt zuzulassen. Der ist zwei Bedrohungen ausgesetzt, einmal der des Arbeitgebers, wo die Bedingungen immer schlechter werden, und dann mir, die immer kommt mit ›wir werden hier ausgebeutet‹. Habe auch immer gesagt ›ich kann gar nicht verstehen, dass ihr noch weiter macht‹. Mittlerweile bin ich der Überzeugung, dass das für ihn auch eine Bedrohung war, weil er die Gedanken eigentlich ganz gut nachvollziehen konnte, aber sobald er sie zulässt, müsste er zuviel riskieren … Der hat Familie und Kinder, wohnt auf nem Dorf, die haben drei Autos, anders kommt die Familie da nicht weg. Der hat vorher schon in anderen Maßnahmen gearbeitet, richtige Scheißjobs gehabt, bei uns geht er voll auf. Wir waren ein super Team letztes Jahr, ich bin wirklich gerne dahin gefahren. Das ist eigentlich auch das Schlimmste, durch die ganzen Verschlechterungen, durch die Arbeitsverdichtung, die zunehmende Kontrolle durch die Agentur für Arbeit und die Verschlechterung der Weiterbildungsmöglichkeiten hat sich die Stimmung im Team verschlechtert.

Dann diese zeitlichen Verschiebungen, ich war von Anfang an angekotzt, von mir selbst, von jeder Verschlechterung, die wöchentlich rein kam, nun kommt es bei den anderen Kollegen nach und nach. Während ich depressiv werde, fängt ein junger Kollege an rumzumotzen. Der ältere Kollege – der mit dem Haus und den Kindern – schwankt zwischen Magen-, Kopfschmerzen und depressiven Verstimmungen. Wir können da leider nicht cool und gelassen mit umgehen, sondern kriegen uns öfters in die Haare – so entsteht kein gemeinsames Vorgehen…« 


»Da zerplatzt die Illusion und man wird zum Sachbearbeiter«

Johannes hat bei einem niedrigschwelligem Beratungsangebot für Jugendliche gearbeitet, das zum Jobcenter umgebaut wurde. Er hat keinen neuen Vertrag mit dem Jobcenter akzeptiert und war nach Auslaufen des Vertrags glücklich dort nicht mehr arbeiten zu müssen.

»Bis Ende 2004 war die Arbeit in wesentlichen Bereichen selbst organisiert. Niedrigschwellig und ohne Zwang zu arbeiten war für uns ganz ganz zentral. Wir hatten einen sehr hohen fachlichen und moralischen Standard. Auf der anderen Seite haben wir aber damit immer alles umgesetzt, was von oben gekommen ist und so über die sanfte Schiene die Jugendlichen mobilisiert. Das war aber auch keine besondere Kunst, denn viele Leuten wollten in ihrer Situation auch irgendwas machen. Und wir hatten nicht nur drei Standardmaßnahmen zur Verfügung, sondern quasi das gesamte Universum von Möglichkeiten: von Schulausbildung nachholen, abgedrehten Computer- oder Theaterkursen, über Führerscheine und Fahrräder finanzieren, Kautionen für Wohnungen übernehmen, bis hin zu Auslandsaufenthalten. Das war dann natürlich auch lukrativ und wir waren beliebt. Falls es Stress gab, haben wir uns auch immer wieder erfolgreich darum bemüht, dass Kürzungen, die ausgesprochen worden waren, wieder rückgängig gemacht wurden.

Die Geschichte vom Übergang zum Jobcenter ist auch eine Geschichte von Konflikten des Teams mit der Leitung

Im Zuge des Übergangs vom niedrigschwelligen Beratungsangebot zum Jobcenter Anfang 2005 ist allen MitarbeiterInnen ein Fünfjahresvertrag angeboten worden (vorher gab es Einjahres- oder Zweijahresverträge). Zusätzlich sind vier bis fünf KollegInnen neu eingestellt worden. Bis auf drei Leute haben alle diese Option der Fünfjahresverträge gewählt und sind damit offiziell im Jobcenter angestellt gewesen – während ich nie im Jobcenter angestellt war. Doch die neuen Verträge sahen ausnahmslos Vollzeitstellen vor. Bisher hatten die meisten KollegInnen 30- oder 32-Stunden-Verträge, eine Kollegin mit zwei Kindern hatte einen 20-Stunden-Vertrag – und das sollte auch so bleiben. Damals war noch usus, dass wir keine Einzelgespräche führen, wir sind als gesamtes Team aufgetreten und haben die Leitung zu einem Teamgespräch eingeladen. Das lief dann sofort auf ne Konfrontation raus, die Leitung hat gesagt, ›das ist unsere Vorgabe, da könnt Ihr machen, was Ihr wollt, da gibt’s keine Gesprächsbereitschaft‹, und uns den Gang zum Arbeitsgericht empfohlen. Doch unsere Entschlossenheit und Rechtskunde ließ sie einknicken. Nach zwei Tagen wollten sie unseren Vorschlag hören, und der ist dann praktisch zu hundert Prozent umgesetzt worden. Das war der erste Auftritt der neuen Leitung bei uns, und der endete im Fiasko.

Mit dem Übergang zum Jobcenter haben die KollegInnen als Fallmanager die ganze Macht des SGBII in die Hand bekommen, gesetzlich könnten sie – entgegen Vorgaben – frei über Angebote, aber auch Sanktionen bestimmen. Die Leitung hat am Anfang versucht, gleich ein Reglement einzuführen, dass festgestellt werden soll, nach welcher Zeit einem Jugendlichen ein Angebot gemacht werden muss, was passiert, wenn sie die Angebote nicht annehmen…, dass also so ein fabrikmäßiger Ablauf organisiert wird. Wir als Team haben gesagt: ›was Ihr verlangt, entspricht nicht den gesetzlichen Vorgaben, und Gesetzesautorität geht vor Ämterhierarchie.‹ ›Ihr könnt uns nichts anweisen; dann können wir uns vorm Arbeitsgericht sehen; geht nicht!‹ Natürlich haben es viele KollegInnen trotzdem gemacht, aber gerade bei den älteren KollegInnen, die schon länger da waren, war kein Durchkommen. Dann haben sie nach einem dreiviertel Jahr das gesamte Team auseinander gebaut.

aufgeknackt…

Die Leitung hielt das Team für nicht führbar und hat den Kontakt mit uns gescheut. An den Teamsitzungen haben sie nicht teilgenommen, sondern Abteilungssitzungen mit Vertretern des Teams einberufen.

Ende 2005 beauftragten sie eine Beratungsfirma damit, eine mehrtägige Organisationsentwicklung durchzuführen, unser alter Organisationsentwickler sei zu nah am Team. Die legten dann gleich morgens los: ihres Erachtens würden die Alten die neuen Leute deckeln. Und deswegen sollte das Team geteilt werden. Am nächsten Tag präsentierten sie ohne weitere Diskussionen den Plan: ein Team der Neuen und ein Team der Alten, drei Leute wurden ganz rausgenommen und machten die alte Beratungsarbeit für Nicht-SGBII-LeistungsempfängerInnen. Es gab mindestens zwei, drei KollegInnen im Jobcenter, die ihnen auch nicht unbedingt gepasst haben, die hatten aber Verträge fürs Jobcenter, die konnten sie nicht rausnehmen. Das ging ganz gezielt gegen mich, weil ich ziemlich offensiv die Sachen blockiert habe, und gegen eine andere Kollegin, die nur das gemacht hatte, was sie wollte. Eine weitere Kollegin, die mit mir im Büro saß, wurde quasi in Kollektivhaftung genommen. Wir waren genau die drei, die keine Verträge mit dem Jobcenter wollten und gemacht hatten.

»Normalisierung« durch Überlastung und Drohung

Im Laufe des Jahres hatte sich unser Team auf ca. 20 KollegInnen verdoppelt und die Einstellungspolitik hatte sich verändert. Früher konnte man sich im linksalternativen Sumpf bewegen, das Team suchte sich die Leute selbst aus, '98 hatten wir noch Mitsprache- und Veto-Recht. Am Anfang gab es im Jobcenter noch viele bekannte Gesichter mit dem gleichen Background, doch damit haben sie komplett gebrochen. Die letzten sieben, acht Leute, die eingestellt wurden, waren häufig nicht aus dem Metier, BerufsanfängerInnen ohne Erfahrung. Das hat sich für die Leitung ausgezahlt, denn die sind wesentlich erpressbarer. Zum Januar 2005 eingestellte KollegInnen haben schon kein Weihnachts- und Urlaubsgeld mehr bekommen, das ging dann immer weiter, zuletzt gab es vier verschiedene Tarife innerhalb des Teams. Die Trennung der alten und der neuen KollegInnen hat sich massiv ausgewirkt, es gab von da an keinerlei gemeinsame Teamsitzungen mehr. Der einzige Ort, wo wir noch gemeinsam miteinander reden konnten, war die Supervision. Direkt nachdem das Team aufgelöst worden war, haben wir versucht, einen Team-Stammtisch aufzuziehen. Am Anfang kamen nur die alten Leute. Als die neuen dann kamen, hat er sich wirklich zum Stammtisch entwickelt. Es wurde nicht mehr über Arbeit geredet und nur noch Bier getrunken. Als Versuch, noch ne Kommunikation im Team aufrechtzuerhalten, hat der Team-Stammtisch niemals funktioniert.

Drei bis vier Monate nach der Organisationsentwicklung, im Frühjahr 2006, eskalierte die Arbeitsüberlastung

300 Leute warteten mehrere Monate auf einen Termin, die Fallzahlen wurden auf 100 Fälle pro Fallmanager hochgesetzt – es waren einfach viel zu wenig KollegInnen (für uns, die keine SGBII-Fälle mehr gemacht haben, war es vollkommen bedeutungslos). Es wurden nochmal ein paar Leute eingestellt, aber sieben oder acht KollegInnen hatten fast 200 Fälle, was nicht mehr zu leisten war.

Die Leute wurden von der Arbeitsüberlastung aufgefressen: Schlafstörungen, massive körperliche Reaktionen bis kurz vor'm Burnout. Ein Kollege hat einen Tinnitus bekommen, und die Ärzte haben ihm geraten, dass er den Job aufgibt (er hörte später tatsächlich auf), im Erwachsenenbereich hatte einer einen Schlaganfall. Es wurde thematisiert, aber für das Team gab es kaum noch Möglichkeiten, sich dagegen zu wehren. Dieses Auseinanderschneiden hat die wesentliche Kraft rausgenommen. Einige haben dann eine Überlastungsanzeige geschrieben und darauf aufmerksam gemacht, dass ›wir für die Umsetzung des SGBII verantwortlich sind. Wir sind so überlastet, dass wir dem gesetzlichen Auftrag, den hoheitlichen Aufgaben nicht mehr Folge leisten können‹. Die sind dann alle eingeladen worden und in Anwesenheit von Abteilungsleiterin, Vorstand und Personalrat wurden sie unter Druck gesetzt: ›Dann müssen wir den Auftrag zurückgeben!‹ ›Wir werden das bei der Vertragsverlängerung berücksichtigen, ob ihr überhaupt in der Lage seid, das zu machen; wir haben das jetzt erstmal nicht weiter gegeben…‹. Eine Überlastungsanzeige muss weitergegeben werden! In Einzelgesprächen wurden die KollegInnen massiv von der Leitung bedroht: ›Wenn du es nicht schaffst, dann such dir was anderes!‹ Diese Überlastungsanzeige ist dann ein Stück nach hinten losgegangen, sie hat auf der einen Seite die Leitung gebunden, was zu machen, und auf der anderen Seite hat sie dazu geführt, dass dieser Druck und diese Drohungen ganz massiv wurden, so dass ein Teil der Leute, die die Überlastungsanzeige gestellt hatten, das als den größten Fehler angesehen haben, den sie gemacht haben.

Ab Mitte 2006 wurde mit der Einführung eines neuen EDV-Programms die Kontrolle ausgebaut. Der Leitung war es nun möglich die Fallzahlen direkt abzufragen. Zusätzlich wurden wir verpflichtet, sämtliche Termine über Outlook zu machen, was auch überwacht wurde. Überlastung und Angst fingen an zu wirken. Mit der Ausweitung der Kontrolle über unsere Arbeit wurden auch klaglos Zwangsmaßnahmen zugewiesen. Obwohl das Handeln der KollegInnen zu Beginn oftmals sehr forsch gewesen ist, waren ihre inhaltlichen Positionen immer einen Schritt hinter dem, was sie gemacht haben. Und es gab dann diese Kombination von Niederlage nach dem Aufspalten, sehr gezielter Informationspolitik, dem Einbinden von einzelnen Leuten, Druck auf andere, permanenter Drohung mit der Auflösung der Verträge und mit Entlassung, dem Zuscheißen mit Arbeit … all das hat dazu geführt, dass die Leute nur noch daran orientiert waren: ›Wann hab ich Urlaub? Wann ist Wochenende? Wie krieg ich meinen Schreibtisch halbwegs leer, damit ich nicht draufgehe?‹ So wurden alle Versuche, etwas gemeinsam zu machen, zerstört.

In dieser Verdichtung ist die Arbeit immer mehr zu einem Vollzug bestimmter Abläufe geworden, da gibt es nicht mehr viel zu entscheiden. Damit verändert sich ein ganzer Berufsstand, die fachliche Arbeit wurde einem klassischen Proletarisierungsprozess unterworfen und ist zunehmend zu einem technischen Beruf geworden. Ganz viele dieser Abwehrkämpfe drehen sich darum: ›Die müssen doch sehen, dass wir das fachlich gut hinkriegen und müssen uns doch dann diese Entscheidungen auch zugestehen!‹

Doch tatsächlich laufen die Zuweisungen über eine spezielle Software, im U25-Bereich können sämtliche Neuantragsteller in Gruppenveranstaltungen nur noch aus zwei oder drei Angeboten auswählen. Das ist zwar eigentlich ungesetzlich, aber es heißt: ›Das probieren wir mal aus! Ich will das jetzt gar nicht hören.‹

Da zerplatzt die Illusion und man wird zum Sachbearbeiter. Im Selbstverständnis sind es noch die selbständigen, selbst entscheidenden SozialpädagogInnen, die eigentlich eine unvergleichbare Arbeit haben und sich mit den KollegInnen auf ner fachlichen Ebene austauschen können. Aber die Einzelfälle sind so unterschiedlich, dass wir keine wirklichen Vergleiche untereinander anstellen können. Und das ist Humbug, die Arbeit ist mittlerweile seriell.«

Wie erklärst du dir, dass viele Fallmanager Hartz IV krasser umsetzen, als es die Gesetzeslage hergibt?

»Ganz zentral ist die Drohung der Arbeitslosigkeit. Die wissen im Grunde genommen, was ihnen blüht, wenn sie arbeitslos werden. Das wird von der Leitung ganz offensiv benutzt. Die Leute werden einzeln vorgeladen und ihnen wird gesagt: ›Wenn du damit nicht klar kommst, dann such dir was Anderes! Ich werde mir überlegen, ob ich deinen Vertrag nochmal verlänger, wenn du die Arbeit nicht schaffst.‹ Das macht Eindruck auf die Leute! Gleichzeitig bieten sie dir aber Zuckerstückchen, wenn du das machst, was sie wollen. Dann wird auch schon mal eine Stelle so ausgeschrieben, dass du dich drauf bewerben kannst. Dann gibt es auch eine Fürsorgepflicht, dann wird auch jemand, dem es schlecht geht, mit einem Einzelgespräch aufgebaut. Es gibt so einen Kettenhund der Leitung, der hat früher mal in Hilfe zur Arbeit gearbeitet und hat Beratung von Aussiedlern gemacht. Nun hat er die Monitoring-Stelle, die hat früher 'ne Sozialpädagogin bekleidet. Die hat auf einer methodischen Ebene Fallreflektionen mit dir gemacht, das war total gut. Der Typ hat keine Ahnung von dem Job, läuft durch die Gegend: ›Was haste dort gemacht? Wär's nicht mal Zeit, dass du ein bisschen härter rangehst? Was ist mit Kürzungen?‹ Ein heiß geliebter Mensch, mit dem sich niemand freiwillig an einen Tisch setzt.

Mittlerweile werden die Leute auch aggressiver, KollegInnen wurden bedroht, was es bei uns früher nie gegeben hat. Das führt jetzt dazu, dass ein Alarmsystem eingeführt wird, Security-Firmen in den Jobcentern… So wird auch das Feindbild verstärkt: klassisch wie beim Sozialamt führt das zur Infantilisierung des Klientels: ›Die kommen ja eh nur her, um was abzuzocken und werden dann auch noch frech!‹ – Wenn du anders arbeiten wolltest da drin, dann hast du auch Unmengen mehr Arbeit. Wenn du dich gegen dieses System wehrst, hast du mehr Arbeit, das ist ganz klar. Es ist gut möglich, sich in der Verbindung mit der Leitung Arbeit vom Hals zu schaffen.« 

 


Fußnoten:

1Zur Situation in Britannien und dem Streik 2002 ein Artikel aus der SoZ

Dole Autonomy – gegen die Wiederdurchsetzung der Arbeit. Eine Analyse der aktuellen Tendenz zu Workfare im UK von der Gruppe Aufheben aus England. Gesamttext als PDF oder die Kurzfassung

2 ARGE Bochum »Die Geschäftsführung der Bochumer ARGE (Arbeitsgemeinschaft für die Grundsicherung Arbeitsuchender) hat eine Umfrage zu den Belastungen ihrer Mitarbeiter durchgeführt. 80 Prozent der Beschäftigten haben angegeben, daß sie ihre Aufgaben in der geforderten Qualität nicht erfüllen können. Zudem erklärten 69 Prozent der Mitarbeiter, nicht auf jeden Erwerbslosen individuell eingehen zu können. […] ›Wir sind seit langem in Kontakt mit Beschäftigten der ARGE und wissen aus ihren Berichten von den internen Mißständen und den sich aus der Überlastung ergebenden gesundheitlichen Folgen für die Beschäftigten. Bereits seit 2005 haben wir öffentlich auf die personelle Unterbesetzung und die unzureichende Aus- und Fortbildung der Sachbearbeiter hingewiesen, was jedoch nicht zu Veränderungen geführt hat. Die Beschäftigten unterliegen einem großen Druck. Sie sollen zum Beispiel eine möglichst hohe Zahl von Sanktionen gegen Arbeitslosengeldempfänger verhängen und diverse sogenannte Eingliederungsmaßnahmen, unter anderem in Ein-Euro-Jobs, vorweisen.‹«. (Interview in der Jungen Welt vom 24.07.2007 mit Norbert Hermann, Sprecher der Unabhängigen Sozialberatung in Bochum) ARGE Köln »Der Druck in der ARGE ist gewaltig. In dem gemeinsamen Gebilde von Arbeitsagentur und Stadt treiben die Teamleiter ihre Mitarbeiter angeblich bis aufs Äußerste an. ›Die Dauer des Gangs zur Toilette wird kontrolliert und freiwillige Arbeit auch am Sonntag erzwungen‹, sagt ein Mitarbeiter. ›Wenn Sie das nicht schaffen, sehen Sie die Theke von der anderen Seite!‹, sei ihm offen gedroht worden. […] 290 der 1178 ARGE-Leute haben einen befristeten Vertrag. Er läuft zum Jahresende aus. ›Die Arge startete vor zwei Jahren mit 864 Leuten. Wir bräuchten aber 1400‹, sagt der Personalratsvorsitzende Josef Krämer.« (Kölnische Rundschau, 08.05.2007)

»Auszubildende der Stadtverwaltung erzählen unumwunden, dass die drei Monate in der ARGE die schlimmsten in der ganzen Ausbildung waren und dass sie im Falle einer Übernahme nicht dort hin wollten. Fallmanager und persönliche Ansprechpartner haben keine Zeit zum Pinkeln gehen, und fast täglich flattert eine neue Durchführungsverordnung auf den digitalen Schreibtisch. Die bundesweiten Gesetze werden so schnell geändert, dass die juristischen Verlage mit den Neuauflagen kaum hinter her kommen. Selbst die Verantwortlichen in Köln können einem nicht erklären, welche Vorteile eine Entgeltvariante gegenüber einem Ein-Euro-›Job‹ hat. Es werden versuchsweise neue Verfahren und Formulare eingeführt, deren Rechtmäßigkeit ungeprüft bleibt. Der Geschäftsführer der Kölner ARGE, Josef Ludwig, hat den Satz geprägt: ›Dann klagen Sie doch, dann haben wir Rechtssicherheit.‹ – Erwerbslose und Mitarbeiter als Versuchskaninchen.« (Neue Rheinische Zeitung, 16.05.2007)



aus: Wildcat 79, Herbst 2007



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