Der Streik der GDL brachte endlich mal wieder »volkswirtschaftlichen Schaden«. Und die hohen Lohnforderungen und der Kampf gegen miese Arbeitsbedingungen und für Arbeitszeitverkürzung brachten neue Töne in die Tarifauseinandersetzung der letzten Jahre. Offensiv von den eigenen Bedingungen und Bedürfnissen ausgehen – so was wie »Klassenkampf« wurde am Horizont sichtbar! Auch die Kampfformen waren ungewohnt offensiv: der Fern-, Güter- und Nahverkehr wurde teilweise lahmgelegt, die just in time-Produktionsabläufe gestört. Die Lokführer demonstrierten ihre »strukturelle Macht«, die sie im Gegensatz zu den viel länger streikenden VerkäuferInnen im Einzelhandel haben. Sie streikten quasi als Stellvertreter und Vorkämpfer und fanden Solidarität und Sympathie in der Bevölkerung.
Nach dem Desaster der IG Metall 2003 um die Durchsetzung der 35-Stunden-Woche in Ostdeutschland war es der erste Streik, der vor allem von ArbeiterInnen aus dem Osten getragen wurde, wobei viele Bahner aus dem Osten im Westen arbeiten. Sie waren als Nicht-Beamten in die GDL eingetreten und bildeten das Rückgrat des Streiks, etwa bei den Gleisblockaden mit ICEs in Hamburg und Berlin. Und die ursprüngliche Lohnforderung war genau darauf gezielt, ihren Lohnabstand zu den »westdeutschen Beamten« aufzuholen.
Aber im Verlauf des Streiks zeigte sich: Zwar ließen Unerfahrenheit und geringe Größe der GDL Raum für Selbstorganisation, doch auch die muss sich von der Gewerkschaft emanzipieren und braucht dafür Zeit und Lernprozesse. Letztlich blieb es ein gewerkschaftlicher Streik, es gelang der GDL, den Deckel drauf zu halten. Sie kämpfte um ihre Existenz als Gewerkschaft. 2002 war sie aus der Tarifgemeinschaft mit Transnet und GDBA ausgetreten. Die Verschlechterungen der Jahre zuvor waren hauptsächlich zu Lasten ihrer Klientel durchgesetzt worden. In der anstehenden Auseinandersetzung musste sie sich zwangsläufig gegen die »Aufsichtsratsgewerkschaft Transnet« profilieren, und dazu gehört auch eine eigene »Basis«.
Die Forderungen orientierten sich an den Bedürfnissen der Lokfahrdienste und Zugbegleitdienste: Anhebung des Einstiegslohns auf 2500 Euro, deutliche und nachholende Lohnerhöhungen, Begrenzung der Schichtlänge auf zwölf Stunden, bessere und längerfristige Schichtplanungen usw., aber auch die Einbeziehung der Fahrpersonale bei DB Zeitarbeit in den Vertrag.
Damit konnte die GDL für den (für Sommer 2007 geplanten!) Streik eine hohe Legitimation erreichen. Die zögerliche Streiktaktik machte aber schnell klar, dass aus dem mobilisierten Fahrpersonal eine Verhandlungsmasse für den »eigenständigen Tarifvertrag« zur Sicherung der Existenz der GDL werden sollte. Sie hat einen konsequenteren Streik führen müssen, um sich überhaupt den Respekt des Unternehmers zu verschaffen. Kaum war sie in der Verhandlung, wurden die Streiks abgeblasen. Der Abschluss hat sie auf eine »berufsständische« Gewerkschaft zurückgestuft. Sie hat den Rest des Fahrpersonals geopfert, um die »richtigen« Lokführer vertreten zu können. Gegenüber dem Transnet-Tarifvertrag haben nur die dienstältesten Lokführer »gewonnen«. Die GDL hat konsequenter als die Transnet das gemacht, was »die Basis« von »ihrer« Gewerkschaft erwartet.
Im Verhältnis zur IGM oder zur ver.di verfügt die GDL nur über einen winzigen gewerkschaftlichen Apparat mit wenig Streikerfahrung und entsprechender Logistik. Die Eisenbahner waren gezwungen, ihren Streik zu organisieren. Der Eisenbahnverkehr erfordert eine hochkomplexe Zusammenarbeit von verschiedensten ArbeiterInnen und Qualifikationen, doch gerade die Fahrpersonale führen diese »kooperierende Arbeit« alleine aus: Ein ICE-Lokführer sitzt auf »seinem« Bock, eine Zugbegleiterin betreut »ihren« Wagen, ein Railion-Lokführer zieht alleine in der Nacht viele hundert Meter Güter von Berlin nach Hamburg, und eine S-Bahnfahrerin fährt den ganzen Tag (oder die ganze Nacht) alleine rum. Der Streik war eine Chance, um untereinander in Diskussion zu kommen – und die wurde ergriffen! Erfahrungen wurden ausgetauscht, die eigenen Bedürfnisse ausgesprochen (z.B. zu den Schichtplänen) und gemeinsam überlegt, wie der Streik geführt werden kann. Die persönlichen Kontakte reichten zwar selten über die Meldestellen hinaus, das Bahnerforum im Internet etablierte sich aber schnell als bundesweites Kommunikationsforum. Während des Streiks gab es selbst in den großen Städten kein gemeinsames Streiklokal, keine Vollversammlungen. Erst in der letzten Phase des Vollstreiks im November 2007 organisierten sich einige Berliner Bahner mit Unterstützung einen solchen Ort, doch sie hatten nicht mehr die Möglichkeit, als selbstorganisierte Gruppe in den Streik zu intervenieren. Die Selbstorganisierung der Aktivisten konnte sich noch nicht von der Gewerkschaft emanzipieren. So blieb der Streik der Eisenbahner ein Streik der GDL.
Spätestens seit November 2007 rumorte es gegen die GDL-Führung, u.a. gegen ihre Streiktaktik und (Nicht-)Informationspolitik. Nach dem Abschluss führten das Streikergebnis und die Streikführung der GDL zu einigem Frust unter den Bahnern – aber auch zu Überlegungen, wie das beim nächsten Mal besser laufen kann.
Eine Berliner Gruppe trifft sich seither regelmäßig, organisiert offene Treffen, seit Februar 2008 gibt es die Flugschrift »Standpunkt – von aktiven Mitgliedern der GDL«. Außerdem gehen Leute aus diesem Kreis offensiv zu anderen Streiks.
Solche Gruppen werden von der Gewerkschaft kritisch beobachtet und torpediert. So etwa nach der erneuten Streikankündigung für den 10. März 2008. Die Basisaktivisten waren heiß auf den Streik, nach den Diskussionen und Treffen der letzten Wochen wäre er zum ersten Mal »vorbereitet« gewesen. Im Unterschied zur »zersplitteren Streikkultur« 2007 sollte ein zentraler Ort gefunden und die Möglichkeit geschaffen werden, über Ortsgruppen und Schichten hinaus in Kontakt zu kommen. Die GDL hatte nichts vorbereitet, eine kleine Gruppe hätte umso mehr erreichen können.
Dann kam der Streik bei der BVG (U-Bahn, Busse, Straßenbahn) dazu – der für den 10. März angekündigte Vollstreik bei der Bahn hätte zusätzlich den S-Bahn-Verkehr in der Hauptstadt stillgelegt. Für GDL und Bahn war der gemeinsame Streik im Nahverkehr eine Gefahr. Die GDL musste beweisen, dass sie in der Lage ist, die Selbstorganisation »ihrer« Basisaktivisten wieder einzufangen. Am Montag, den 10. März ging der Streik der BVGler weiter, doch die S-Bahnen fuhren weiter.
In den aktuellen Streiks werden an der »Basis« wieder Kampferfahrungen gesammelt, wieder »Arbeiterforderungen« (gegen miese Arbeitsbedingungen und Arbeitszeiten) artikuliert (die in den Abschlüssen regelmäßig ignoriert werden). Immer wieder kommt es zu Versammmlungen von »Arbeiteraktivisten« und Gruppen von ArbeiterInnen, die mehr wollen, als mit der Gewerkschaft möglich ist. Ob diese mit dem Ende des Streiks wieder verschwinden oder letztlich nur den Apparat erneuern – oder ob sich diese selbstorganisierte Erfahrung von der Gewerkschaft emanzipieren kann, werden die nächsten Auseinandersetzungen zeigen.