Wildcat Nr. 85, Herbst 2009,



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Wenn beim Angeln der Schwimmer in Bewegung kommt, ist die Freude groß. Peinlich, wenn der Köder längst abgefallen ist, und der Angler weiter grinst. Ähnlich wirkte die Euphorie der letzten Wochen, die in den Marktbewegungen den »Aufschwung« sehen und die Krise vergessen machen wollte. »Dubai« hat der Euphorie einen Dämpfer versetzt, die Entwicklungen in der Autoindustrie deutlich gemacht, wohin die Reise geht.

»Diesmal müssen die im Westen anfangen!«

Gedanken und Versuche eines ostdeutschen Autoarbeiters

Siehe auch die Artikel zur Autoindustrie in Wildcat 83: »Ende des Autos«
Wildcat 84: »Auto: Ende einer Schlüsselindustrie«

update 3.12.2009

Dammbrüche

In der letzten großen Krise der Autoindustrie Anfang der 90er Jahre war allenthalben von »Dammbrüchen« die Rede. Die Unternehmer nutzten die Krise, um Produktivitätssteigerungen durchzusetzen, von denen sie zuvor nur träumen konnten. Im historischen Vergleich müssen wir heute von Erdbeben reden: erst Opel, nun Daimler.
GM kündigt an, in Europa alle Werke zu erhalten, aber 20 Prozent der Stellen abzubauen. Damit wollen sie im Eiltempo nachholen, was in den USA seit 2003 gelaufen ist: die »Big Three« sowie Nissan, Toyota und Honda senkten die Arbeitskosten und strichen 100000 Jobs. Daimler will 20% der C-Klasse in den USA produzieren und von dieser Entwicklung direkt profitieren.
In den USA wird ein Auto heute durchschnittlich in 30 Stunden zusammengeklopft und die Jahresarbeitszeit in den Daimlerwerken beträgt 1800 Stunden, in Europa klafft die Schere zwischen alten Fabriken mit teilweise 60 Stunden und den neuen mit 20 Stunden auseinander, und die Jahresarbeitszeit in den Daimlerwerken beträgt durchschnittlich 1350 Stunden.
Zusätzlich zu den Milliarden, die bereits jetzt in Form von Kurzarbeit, Sozialleistungen, Abwrackprämien und Bürgschaften an die Unternehmen geflossen sind, brauchen die Automultis viel Staatsknete, um einerseits den geplanten Produktivitätssprung, andererseits den damit einhergehenden Stellenabbau voranzutreiben. Die Teilverlagerung der C-Klasse in die USA wird als (kleine) Anpassung an den niedrigen Dollarkurs verkauft. In Wirklichkeit sind die Entscheidungen von GM und Daimler der Abschied von den bisherigen Klassenverhältnissen; bereits vorher hatte Daimler mit dem Bau eines neuen Werks in Ungarn für die A- und B-Klasse begonnen. So wie in der Krise Anfang der 90er Jahre die Weichen in der Hausgerätebranche gestellt wurden (und es heute nur noch zwei Waschmaschinenfabriken in Deutschland gibt), werden mit dem Aufbau von Parallelproduktionen in der Autoindustrie die Weichen gestellt für die finalen Kämpfe um das Ende der »Volumenproduktion« hierzulande.

Krise des Autos

Das ursprüngliche Geschäftsmodell der Autoindustrie war mit der Energiekrise 1973, spätestens aber zu Beginn der 80er Jahre zuende. Seither wurde versucht, mit Intensivierung der Arbeit, Kostensenkung, immer weiterer Kostenabwälzung auf die Allgemeinheit und vor allem der Ausweitung der Produktion diese finale Krise hinauszuschieben. Das wurde »japanisches Modell« genannt: Exportorientierung, Kostensenkung, Kopie des »Bewährten« statt Innovation. Die Krux liegt in der Ausweitung der Kapazitäten, um die Überkapazitätskrise zu bewältigen. Der gefeierte Guru dieser Lean-Produktion, Toyota, wird wohl als erster Automulti ins Grab gehen. Am Ende werden fünf bis sechs »global player« übrigbleiben. Die Unternehmer versuchen, ihre geringen Gewinnmargen mit hohem Output zu kompensieren. Für uns heißt das noch mehr Schrott, Lärm und Dreck.

Arbeiterkampf

Wir können aus den Auseinandersetzungen in der Hausgerätebranche lernen! Am Anfang hat man alle Trümpfe in der Hand. Wenn man sich aber immer wieder drücken lässt, steht man am Ende ohne Hebel da, und dann können selbst so großartige Kämpfe wie bei AEG und BSH das Ruder nicht mehr rumreißen. Die Sache der Daimler-und der OpelarbeiterInnen ist noch nicht verloren! Sie haben jede Möglichkeit in der Hand, das komplizierte Geflecht aus Kurzarbeit und Sonderschichten, aus vom Konkurs bedrohten Zulieferern, aus Lohnabsenkung und Arbeitsverdichtung zu zerschlagen!
Um dieses Potenzial jetzt ausspielen zu können, brauchen wir Antworten auf die dringendsten Fragen (z.B. wie können wir die Spaltung in Stammwerke und Zulieferer überwinden? Wie die Spaltung zwischen Festen und Leiharbeitern?). Dazu brauchen wir Analysen, die standhalten und von unseren eigenen Erfahrungen ausgehen (kein Gewerkschafts-Wischiwaschi!). Drittens: die Kämpfe bei den kleinen Zulieferern werden nur in der Regionalpresse erwähnt. Aus ihnen lässt sich aber viel lernen! Deshalb brauchen wir eigene Kanäle, um so was mitzukriegen. In ihnen müssen wir uns auch viertens darüber verständigen, wie wir uns gegen die gewaltige Arbeitsverdichtung der letzten Monate wehren können. Alle vier Punkte würden zusammen kommen, wenn die ArbeiterInnen im Zentrum dieses Spinnennetzes den Kampf aufnehmen.

Der Artikel

Der folgende Artikel wurde vor sechs Wochen geschrieben. Wenn ich heute mit Kollegen rede, wirken einige Punkte bereits naiv. Die Entwicklungen verlaufen rasend schnell, und anscheinend spült das Kapital gerade alle vor sich her. Lohnkürzungen, Arbeitsverdichtung, Betriebsschließungen. »Wir zahlen nicht für eure Krise« wirkt als Parole geradezu lachhaft.
Im Herbst war »Ostdeutschland« angesichts des Mauerfalls 1989 in aller Munde. Aber auch wirtschaftlich wird ein Resümee aus 20 Jahren Verwertungslaboratorium gezogen. Lässt sich eine gezielte regionale Deindustralisierung – also partielle Kapitalentwertung ganz ohne Krieg – mit einem anschließenden Neuaufbau so steuern, dass ein Sprung in der Wertschöpfung und somit eine Krisenlösung gelingt? Lässt sich das Verhältnis von einem Billigproduktionsstandort und dem auf Konsum orientierten Abnehmerstaat aufheben? Die Antwort fällt negativ aus.

Auch nach 20 Jahren liegt der Osten um 30 Prozent hinter der westdeutschen Wertschöpfung – und das, obwohl die Arbeits- und Personalkosten bei rund 63 Prozent des Westniveaus liegen, die Ostfirmen im fünften Jahr in Folge profitabler sind und die meisten Marktneuheiten hier entwickelt werden. Die Arbeitsproduktivität liegt im Osten weiterhin nur bei 75 Prozent des Westniveaus. Seit Krisenbeginn werden nun die Nischen gestopft. Gerade im Bereich der höheren Lohngruppen – Qualitätssicherung, Prozesstechnik, aber auch qualifizierte Arbeiten am Band – wird rationalisiert, und allen wird mit »Westarbeitsverhältnissen« gedroht. Die Leute werden entsprechend zurückgestuft. ERA macht‘s möglich. Die Arbeitsweise der Ossis sollte nochmal anders hinterfragt werden. Denn eine Frage schiebt sich in den Mittelpunkt: WIE nehmen wir es selber in die Hand?



»Diesmal müssen die im Westen anfangen!«

Gedanken und Versuche eines ostdeutschen Autoarbeiters

Die Autoindustrie saust nach wie vor im Blindflug durch ihren Strukturbruch; es wird immer deutlicher, dass es zu massivem Arbeitsplatzabbau und drastischer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen für viele kommen wird. Im letzten Heft hatten wir herausgearbeitet, dass über den Globus hinweg Belegschaften mit den gleichen Krisenursachen und Unternehmerangriffen konfrontiert werden; sie können sich ausrechnen, was auf sie zukommt. Und selbst kleine Belegschaften haben potenziell große Macht, wenn sie in die Produktionsketten eingebunden sind und ihre Produkte nicht von anderen Firmen gefertigt werden können. Diese objektive Chance wird bisher subjektiv nicht ergriffen. Viel eher bekommen wir heulende Arbeiter vorgeführt, die zusammen mit ihren Chefs darum betteln, die alten Firmenstrukturen zu erhalten. Versuche, sich mit selbständigen Aktionen gegen Fabrikschließung, Kündigung und Arbeitshetze zu wehren, bleiben bisher marginal.

Zulieferer sind keine Stammwerker.

Die Zulieferer sind die Hauptbühne in den aktuellen Klassenauseinandersetzungen in der Autoindustrie – und das Hauptproblem der Kapitalisten im verschärften Fusionierungs- und Konzentrationsprozess. Drei Viertel der Wertschöpfung eines Autos entfallen auf die Zulieferer. Sie spürten als erste die Krise, weil sie die Produktionskürzungen der Fahrzeugbauer auffangen mussten und auf den Kosten für Rohstoffe und Entwicklung sitzen blieben. Viele sind nicht mehr in der Lage, die nächste Produktentwicklung zu finanzieren. Weltweit machten 80 Prozent dieses Jahr Verluste. In der BRD droht 100 Zulieferern bis Ende 2009 die Insolvenz, 100 000 Arbeitsplätze in der Branche sind gefährdet (weltweit über eine Million – 15 Prozent).

Nach einer Phase immer größerer Aufspaltungen gibt es seit Jahren einen Konzentrationsprozess bei den Zulieferern. Nur durch Standardisierung der Teile und steigende Chargen war der extreme Kostendruck der Fahrzeugbauer aufzufangen. In der Krise wird diese Strategie noch verschärft, um die Großeinkäufe trotz Absatzeinbrüchen abzusichern. Alle Fahrzeugbauer setzen verstärkt auf die Karte »Plattformbasis«. Die Fusion von VW und Porsche besiegelt eine jahrelange Praxis. VW ist einer der größten Konzerne, der optisch unterschiedliche, jedoch fast baugleiche Fahrzeuge unter verschiedensten Namen verkauft. Ford plant in den kommenden zwei Jahren eine Verdoppelung der Fahrzeuge, die auf der gleichen Plattform basieren. Bei einzelnen Komponenten – z.B. Motoren – geht die Kooperation sogar noch viel weiter und über Konzerngrenzen hinweg.

Diese Vereinheitlichung des Fahrzeugs bedeutet, dass weniger Zulieferer nötig sind. Wir stehen also erst am Anfang eines brutalen Selektionsprozesses. Z.B. will Ford die Anzahl seiner 2000 Zulieferer halbieren – obwohl alle mit steigenden Produktionszahlen kalkulieren! Kurzarbeit [..] und Abwrackprämie haben bisher größere Werksschließungen verhindert – wobei das Kurzarbeitergeld bei einem Zulieferer drastisch niedriger als im Stammwerk ausfällt. Wer bei einem kleinen Zulieferer arbeitet, bekommt gewöhnlich keine Aufstockung des Kurzarbeitergeldes durch den Betrieb und muss sich mit 60 bzw. 67 Prozent zufrieden geben – bei sowieso schon deutlich niedrigeren Löhnen, und bei der Gewissheit, sich im Fall der Insolvenz nicht auf die Kanzlerin verlassen zu können!

Prämien heizen die Konkurrenz an.

Abwrackprämie und Kurzarbeit verschärften die Spaltungslinien nicht nur zwischen den Belegschaften der Zulieferer und Stammwerke, sondern quer durch die BRD. 2500 Euro reichten, um soziale Schichten gegeneinander zu stellen. Hartz IV-Empfängern wird die Prämie angerechnet, dabei hätten gerade Leute, die (aufstockend) Hartz IV bekommen, ihre alte Klapperkiste gern gegen die Prämie eingetauscht. Aber so war das nicht gedacht. Viel eher verschrotteten Leute, die es sich leisten konnten, vorzeitig ihre Fahrzeuge. Die im weltweiten Vergleich zweitgrößte Subvention für den Autoabsatz von 5 Milliarden (China 16,5 Milliarden; USA 3 Milliarden) Euro hat in der BRD bis einschließlich August zu 2,6 Millionen Neuanmeldungen geführt. Daran verdienten v.a. einzelne Autohändler; das Geschäft mit Gebrauchtwagen, Ersatzteilen und Reparaturen brach zusammen. 6000 Autohändler stehen vor der Insolvenz, im gesamten KFZ-Gewerbe sind 90 000 Jobs gefährdet. (Dass weitere Branchen wie Möbel und Textil über Umsatzeinbrüche durch die Abwrackprämie klagten, sei hier nur am Rande erwähnt.)

Auch ideologisch funktionierte die Prämie. Neben dem psychologischen Effekt, dass ein Thema wie der Autokauf über Monate hinweg die Gemüter beschäftigt, liegt der Kern der Prämie in der Verschärfung der Standortkonkurrenz. Seit Jahren stellen die Unternehmer Standorte eines Konzerns gegeneinander. Das Werk mit dem ›besseren Angebot‹ bekommt den Zuschlag. Der Mix aus Krise, Kurzarbeit und Abwrackprämie hat das bis in die Abteilungen und Teams hinein verlängert.

Mit Einführung der Prämie stiegen die Verkaufszahlen bestimmter Modelle, innerhalb einer Woche wurden plötzlich Sonderschichten einberufen, während andere Abteilungen weiterhin Kurzarbeit Null machten. Im Winter kam es uns noch völlig irre vor: die Stammbelegschaft bei VW arbeitet kurz, während auf dem selben Gelände bei ehemals Auto 5000 Sonderschichten gefahren werden. Inzwischen ist diese Praxis flächendeckend durchgesetzt. Der Fiesta geht gut, also werden in Köln Sonderschichten gefahren, andere Ford-Werke stehen fast still. Bei Opel in Eisenach, wo sie den Corsa bauen, passiert das gleiche. Hier werden Sonderschichten kurzfristig angesagt und Kurzarbeitstage abgeblasen. Frei nach dem Motto, »wer unter der Woche zwei Tage zu Hause bleibt, muss damit rechnen, am Wochenende zu arbeiten. Kurzarbeit ist kein Urlaub!«

Was bei Opel und Ford für ein Werk gilt, zieht VW in Wolfsburg und Mosel, wo mehrere Modelle gefertigt werden, bis in die Abteilungen rein durch. Das eine Modell verkauft sich, das andere nicht. Die einen bleiben zuhause, die anderen fahren Sonderschichten. Dass VW das Kurzarbeitergeld auf 100 Prozent aufstockt, heizt die Stimmung unter den Leuten an: »Warum soll ich am Samstag knuffen, wenn andere fürs gleiche Geld Ferien machen?« Genau so ist es gewollt, die Schikanen werden nicht in Frage gestellt, sondern provozieren weitere Spaltungen.

In Ostdeutschland verlaufen die Dinge drastischer.

Ähnlich wie in den USA der »gewerkschaftsfreie Süden« erfüllt nicht nur Osteuropa, sondern auch unmittelbar Ostdeutschland die Funktion, regional die Arbeiterklasse zu spalten. Jahrelang galten die ehemaligen DDR-Autofabriken in Eisenach (Opel), Mosel (VW) und Ludwigsfelde (Daimler) den Unternehmern als Laboratorien für Arbeitsexperimente. Und die hier durchgesetzten Produktivitätssteigerungen wurden unmittelbar zur Erpessung der KollegInnen im Westen benutzt.

Nach der Wende gingen viele »Ossis« Richtung Westen, auf den bundesdeutschen Arbeitsmarkt. Eine Grenze dafür, was man an Arbeit alles in Kauf nimmt, gab es kaum. Ein Kollege in einer Westberliner Fabrik meinte: »Wir haben uns jahrelang gegen die Lohndrückerei gewehrt. Sie stellten uns Leute aus Jugoslawien, aus Vietnam, aus Polen ans Band. Und wir haben immer durchgesetzt, dass alle das Gleiche bekommen. Erst mit den ›Ossis‹ sind wir gescheitert, sie fanden die Lohndifferenz nicht schlimm. ›Hauptsache Arbeit!‹ Dass es eine Frage der Kollektivität ist, interessierte sie nicht.«

Demgegenüber stehen die Arbeiter, die in der ehemaligen DDR geblieben sind und davon ausgingen, dass sich die Lebensbedingungen ›dem Westen‹ anpassen werden. Sie realisierten nicht, dass es auch im ›Westen‹ deutliche regionale Lohnunterschiede gibt – und Lohnunterschiede gerade in den 20 Jahren seit der Wende massiv verschärft wurden (z.B. durch Ausgliederung wie bei Visteon/Ford).

Traumatisierend wirkte bei den Leuten im Osten der abgebrochene IG Metall-Streik für die 35 Stundenwoche im Jahr 2003. Branchenübergreifend legten die ostdeutschen Metallbetriebe die Fabriken im Westen still. Die Leute erinnern sich gut, wie gerade die Autozulieferer die Stammwerke im Westen unter Druck setzten. Vorbei das Bild vom abgeräumten deindustralisierten Osten. Man ging davon aus, mit dem Westen zu streiken und gemeinsame Arbeitsbedingungen durchzusetzen.

Das Gegenteil passierte. Die Betriebsratsfürsten im Westen schossen gegen den Streik. Die IG Metall Funktionärsposten wurden neu verteilt. Der Streik wurde abgewürgt. Die Gewerkschaft schwenkte auf die Unternehmerlinie ein, dass der Hochlohn in den (westdeutschen) Stammwerken der Autoindustrie nur durch weitere Ausdifferenzierung nach unten gehalten werden kann. – Nach 2003 gab es im Osten keine Aktivität mehr in der Metallindustrie. Die Tage vereinzelter Warnstreiks lassen sich an einer Hand abzählen. Die Gewerkschaft ist (mund)tot.

Verglichen mit den anderen Löhnen in ihrer Region und den Lebenshaltungskosten verdienen die ArbeiterInnen bei Opel, VW und Daimler auch im Osten recht gut. Aber seit dem Abbruch des Streiks betrachten sie die Stammbetriebe im Westen mit einer Mischung aus Hass und Bewunderung. Nach ihrer eigenen Niederlage sehen sie nun die Kollegen im Westen in der Bringschuld: »Diesmal müssen die im Westen anfangen zu streiken, wir springen dann auf, wenn sich was bewegt.« Dass es damals im Westen Solidaritätsstreiks gab, ist vergessen.

Den Hass auf das eigene Elend und die eigene Niederlage lenken sie auf die Leute im Westen, die »mit völlig überzogenen Löhnen« »vergessen haben, was Arbeit ist« und wünschen ihnen das gleiche Schicksal, das ihnen widerfahren ist: »eine Lohnkürzung würde die auf den Boden zurückholen. Das, was sie denen abnehmen, sollen sie uns drauf packen.«

Andererseits klingt Bewunderung durch, wenn ein Ossi ein paar Monate in einen Westbetrieb ausgeliehen war und zurückkommt. »Die wissen noch, dass Arbeit Scheiße ist, die halten zusammen. Da gibt es keinen Wurm von Meister, der die Leute rumkommandieren kann, da wird gefragt, und was nicht ist, ist eben nicht, basta!« Das nächste Mal wünscht er dann wieder »den weltfremden und überbezahlten Westlern eine Augenwäsche«. Die Unternehmen haben erreicht, was sie wollen. Sie brauchen nicht mehr ins Ausland abzuwandern.

Neue – Alte, die blockierte Neuzusammensetzung

Wieso begnügen sich die Leute mit dem Frust auf andere, anstatt auf die Barrikaden zu gehen? Eine große Rolle dabei spielt die Heterogenität der Belegschaften im Osten. Noch immer haben wir Kernbelegschaften aus der DDR. In Eisenach sind von 1700 Opelarbeitern noch 1000 ehemalige Wartburgarbeiter, in Ludwigsfelde ist das Verhältnis ähnlich. Im Gegensatz dazu sind die »Neuen« meist keine zehn Jahre im Betrieb. Während die »Alten« noch wissen, was ein Kollektiv ist, aber noch nie den Arbeitsmarkt erlebten, kennen die »Neuen« den Arbeitsmarkt als freie Wildbahn und sind Individualisten. Beide haben schon »alles« erlebt: einen Regimewechsel, die Wendezeit, Währungsreform, Insolvenzen… und wissen was es heißt, wenn ein Industriegebiet mit 30 000 Arbeitern in ein Landschaftsmuseum verwandelt wird. Aber die »Alten« kennen auch die Kämpfe, die während des Abwickelns möglich sind. Heute sehen sie sich abgesichert und ruhen sich bis zur Rente aus. Die »Neuen«, heute um die 40 Jahre alt, haben in der Regel in der Wendezeit die Lehre beendet – und flogen dann raus. Bis heute haben sie ihren Frust über die fehlende Solidarität nicht vergessen: »Die alten Genossen haben schon zugesehen, dass sie ihr Schäfchen ins Trockene bringen«. Nicht von ungefähr nennen sie die alten Meister die »roten Bazillen von damals«. Zudem wurden bei der Einstellung vorrangig Leute genommen, die in ihrem Leben bereits gescheitert sind, insolvente Ex-Selbstständige, Leute mit hohen Schulden, Arbeiter, die mehrere Betriebsinsolvenzen hinter sich haben… (siehe auch Wildcat 81 – »Arbeit schafft Familie – Familie schafft Arbeit«.)

Die Spaltung zwischen »Neuen« und »Alten« lässt sich mit der Zeit überwinden. Das wissen auch die Unternehmer. Deswegen ziehen sie die Spaltungslinien immer tiefer.

In Eisenach z.B. ist der Produktionsprozess ein Mix aus unterschiedlichsten Firmen. Die Zulieferteile werden außerhalb des Werks von einer Logistikfirma gesammelt, sortiert und dann im Minutentakt ans Band geliefert. Den Staplerverkehr im Werk macht eine weitere Firma. Kantine und Putzen sind sowieso ausgelagert, und am Band sind neben den üblichen »Leihkräften« auch ArbeiterInnen von Industrie-Servicefirmen direkt in die Teams integriert. Arbeitgeber, Arbeitsbedingungen, Löhne, Rechte … alles anders!

In Ludwigsfelde wurden die »Neuen« zunächst über Leiharbeitsverträge eingestellt, die »nach Bewährung« individuell in befristete Verträge umgewandelt wurden. Von 2800 Beschäftigten hatte ein Viertel solche Befristungen – die fast alle zu unterschiedlichen Zeitpunkten ausliefen. Eigens dafür hebelten Unternehmen und Gewerkschaft das Befristungsgesetz mit einem Ergänzungstarifvertrag aus, der eine Befristung auf 48 Monate möglich macht. Daimler verspricht immer wieder die Übernahme, und die letzten Befristeten machen sich weiterhin Hoffnung auf eine Verlängerung. Wenn die ausbleibt, bekommt das Verschwinden des Einzelnen kaum jemand mit.

Was bleibt stehen, wenn Dämme brechen?

Das jahrzehntelange Propagieren des japanischen Modells im Sinne von kontinuierlichen Verbesserungsprozessen (kaizen) ist da an Grenzen gestoßen, wo die Leute merkten, dass es nicht um »Verbesserung«, sondern um dauernde Kostensenkung ging und geht. Das Management hat das Verbesserungswesen oft abgewürgt, weil es zur Artikulierung von Protest benutzt wurde und im Gegenzug einzelne Leute befördert, um (erneut, vertieft) Einblick in den Produktionsprozess zu bekommen. Die Beförderten suchten sich Nischen, wo sie weniger arbeiten mussten. Keine Verschlankung der Hierachieebenen, sondern ein Apparat aus lauter ›Stellvertretern‹. In manchen Belegschaften im Osten halten über 40 Prozent irgendeinen Titel.

Trotzdem geben die Managementberatungen dem klapprigen Gaul kaizen weiterhin die Sporen – und fordern »grundsätzliche Säuberungen« zur weiteren Durchsetzung. Was paradox erscheint, macht durchaus Sinn. Das japanische Modell war nie ein innovativer Schub für die kapitalistische Produktionsweise. Im Gegenteil wurde damit in Japan eine eigene Autoproduktion durch das Kopieren und Weiterentwickeln europäischer und amerikanischer Fahrzeugmodelle aufgebaut. Es ging nicht um große Sprünge, sondern um die »Optimierung« eines bestehenden Produkts. Und genau das ist heute das vorherrschende Prinzip in der Autoindustrie rund um den Globus: »Kosten senken, Produktion optimieren, Durchlaufgeschwindigkeit erhöhen«.

Der nächste Optimierungsschritt in diesem Mix aus ›schneller arbeiten‹ und ›weniger verdienen‹ ist der Übergang von einer Fertigungslinie pro Modell auf Fließbänder, an denen mehrere Modelle durchlaufen. Das ehemalige Auto 5000-Werk in Wolfsburg machte den Anfang. Die Kurzarbeit dient dazu, flächendeckend entsprechende Schritte einzuleiten. Dabei werden große Teile der alten Belegschaften »freigesetzt«. Wie das geht, lässt sich an einem Werk zeigen, das wegen Absatzeinbrüchen von Dreischicht- auf Zweischichtbetrieb umgestellt wurde.

Dazu wurden die Leute neu verteilt, gewachsene Teamstrukturen auseinander gerissen. Durch die ständig wechselnde Besetzung (auch unter der Woche werden individuelle Kurzarbeitspläne geändert und Leute kurzfristig an andere Arbeitsplätze versetzt!) müssen sich die Leute ständig neu kennenlernen. Das schafft Verwirrung, während die Flexibilität noch weiter getrieben und die Arbeit massiv verdichtet wird (Geschwindigkeitserhöhung und neue Arbeitsschritte). Das ganze wird flankiert mit einem weiteren Instrument aus der »japanischen Folterkiste«: management by stress, die Abteilungen werden nur noch mit einer Mindestbesetzung belegt, Springer für kurzfristige Krankheitsfälle oder Produktionsstörungen fallen weg. Das erhöht den moralischen Druck, falls jemand verschläft oder krank wird.

Die extreme Flexibilisierung reißt auch Fahrgemeinschaften auseinander, bzw. verkompliziert Verabredungen dermaßen, dass man dann oft doch alleine fahren muss.

Das alles ist nur zu ertragen durch die freien Kurzarbeitstage. Wenn mal zwei Wochen hintereinander gearbeitet wird, schreien sich die Leute beim Arbeiten vor Stress gegenseitig an. Heute kann sich niemand mehr vorstellen, wie er vor einem Jahr die Sechstagewochen und die Nachtschicht überstanden hat. Und die momentane Arbeitsgeschwindigkeit in einem normalen Schichtbetrieb durchzuhalten, ist absolut unvorstellbar! Aber wenn die Anlage endgültig läuft, wird der Überhang an Leuten nicht mehr in die Erholung Kurzarbeit, sondern raus fliegen.

Die Angriff der Unternehmer zielt über die direkte Produktion hinaus auch auf die Entwicklungsabteilungen. Die Managementliteratur redet von Kaikaku und meint damit eine Radikalkur: Weniger Qualitätsprüfungen, Auflösung von ungeklärten Rollenverteilungen, stärkere »Haftung« für die eigene Arbeit, Ausdünnen der leitenden Ebenen durch Bestimmen von Verantwortlichen über den ganzen Produktionsprozess. Ohne geeignete Software steht das zwar noch in den Sternen. Wenn aber die Einführung beginnt, haben gerade Meister und Abteilungsleiter nichts zu lachen. Auf Unterstützung aus der Belegschaft können sie definitiv nicht zählen, der Druck auf die Leute würde sich gegen sie wenden.

Was sich in der Sackgasse staut, lässt sich nicht mehr auflösen.

Die vielen Spaltungslinien und der gleichzeitige Angriff auf mehreren Ebenen verdrängen die Gewerkschaft aus ihrer Rolle im Betrieb, wo es immer schwerer wird, verallgemeinerbare Forderungen aufzustellen und gemeinsame Rechte durchzusetzen. Die Kapitalbeteiligung der Gewerkschaften am Unternehmen – die IG Metall will sich bei Schaeffler, VW und Opel einkaufen – verstärkt diesen Trend und entfernt die Gewerkschaft noch weiter von den »Neuen«, für die ein Betriebsrat jemand ist, der sich auf seinem Posten ausruht und mit den Konflikten am Band noch nie etwas zu tun hatte. Die Gewerkschaft vertritt gewissermaßen nur noch den »überalterten« Teil der Belegschaft mit seiner Hoffnung auf Frührente.

Kontrolle durch die Gewerkschaft

Die Gewerkschaften verwenden viel Energie darauf, die vielen von Schließung bedrohten Betriebe voneinander zu isolieren und einzeln abzuwickeln. Sie gehen dabei flexibel vor und haben ihre Drohung revidiert, »nie wieder Belegschaften zum Kampf für einen Sozialplan herauszurufen«. In diesem Jahr gab es einige, bei denen sich Gewerkschaften an die Spitze gesetzt und eine langgezogene Frühverrentung ausgehandelt haben, aber sie stehen auf dünnem Eis.

Trotzdem halten sich in letzter Zeit einzelne aktive ArbeiterInnen verstärkt an die Gewerkschaft und den Betriebsrat, weil sie keine Chance sehen, ohne deren Beteiligung was zu reißen. Das ist Ausdruck der allgemeinen Verunsicherung: wochenlang allein zuhause, der Job nicht mehr sicher, das Geld stimmt nicht mehr… Die Leute glaubten nicht an die Sicherheit im Kapitalismus, aber sie lebten so, als gäbe es sie. Dass ihnen nun sowohl das »Einrichten in der Arbeit« wie ihre Planungen mit dem Einkommen um die Ohren fliegen, macht Raum auf für eine gemeinsame und radikale Kritik.

Wo soll die Macht herkommen?

Die AutoarbeiterInnen wissen, dass sie Fahrzeuge oder Fahrzeugteile herstellen, die niemand benötigt. Aber diese durchaus sympathische Wahrnehmung, »das ist doch sowieso alles Schrott«, kippt leicht in die Einschätzung »wir haben eh nichts in der Hand!« Viele der »Neuen« haben sich immer nur als rumgeschubstes Anhängsel des Produktionsprozesses gesehen und noch nie die kollektive Macht erlebt, wenn sie den Hebel umlegen, den sie täglich in der Hand halten, und streiken.

Aber selbst wenn dicht gemacht werden soll, gibt es verschiedenste Druckmittel:

– kaum ein Betrieb lässt sich kurzfristig aus der Produktionskette isolieren. Das Produkt des Betriebes und/oder das know how der Belegschaft werden in der Regel noch eine Zeitlang gebraucht. Das ist die Zeit, in der man zuschlagen muss, und die man nicht durch Verhandlungen vergeuden darf.

– Druck lässt sich auch ausüben, indem der Abtransport von (wertvollen) Maschinen verhindert wird. Sogar alte Maschinen können ein Pfand sein: Aus politischen Gründen ist niemand interessiert, den Arbeitern auch noch so alte Maschinen zu überlassen.

– Auch im Lager stehen oft Werte. Von wegenjust in time und wir produzieren nur auf Bestellung: meist mussten die Leute Sonderschichten fahren und das Lager füllen, bevor die Schließung angekündigt wird!

– Aber selbst wenn der Unternehmer nicht mehr vom Produkt abhängt, die Maschinen weg und die Läger geräumt sind, ist das Werksgelände noch ein Druckmittel, das sehr hohe Kosten für Energie, Miete, usw. verursacht.

Um diese Druckmittel einsetzen zu können – und dann vielleicht sogar noch ganz andere Möglichkeiten zu entdecken! – müssen die ArbeiterInnen vor allem die Hoffnungen auf einen neuen »Investor« überwinden. Bei der Schweizer Güterbahn SBB Cargo in Bellinzona haben sie das eindrucksvoll demonstriert. Es macht keinen Sinn, über Abbaupläne zu diskutieren. Es macht keinen Sinn, neue »Investoren« anzulocken, die nur noch beschissenere Jobs schaffen. Sowohl die Subventionen aus der Gemeindekasse wie das Gelände selber können auf jeden Fall besser benutzt werden! Wenn dabei die Leute aus dem Kiez oder der Region mitmachen, könnten sie viele Spaltungen überwinden.

Die Situation ist heute eine andere.

Beim »Marsch der Solidarität« fuhren die BSH-Arbeiter weite Strecken mit dem Bus, um betroffene Werke aufzusuchen. Heute könnte man in vielen Industriegebieten zu Fuß tausende von Leuten erreichen, die sich ebenfalls mit Kurzarbeit und drohender Kündigung auseinandersetzen müssen.

Der Kampf der BSH-Arbeiterinnen wurde von der Gewerkschaft aber nicht nur repressiv abgewürgt, sondern auch von innen heraus gespalten, durch Abfindungsregelungen, die für einen Teil der Belegschaft vorteilhaft waren. – Wie ist das heute, wenn ggf. keine Abfindungen mehr angeboten werden?

Eine scharfe Grenze für die Verallgemeinerung von Kämpfen stellt im Moment die Konkurrenz dar: Ost gegen West, Betrieb gegen Betrieb. Atmen VW-ArbeiterInnen auf, wenn Opel die Produktion einstellt? Oder beginnen sie zu kapieren, dass sie die kapitalistische Konkurrenz nicht ausnutzen können, sondern von ihr zerdrückt werden?

In den letzten Wochen und Monaten sind vermeintliche Sicherheiten atemberaubend schnell zerrissen. Es ist an der Zeit, ins Freie zu treten!



Kurzarbeit in der BRD
Kurzarbeit ist ein arbeitsmarktpolitisches Instrument, das in der BRD in Krisenzeiten Auftragseinbrüche in der Industrie abfangen soll, um Entlassungen zu vermeiden und einem späteren Fachkräftemangel vorzubeugen. Bis Ende 2008 lag die Bezugshöchstdauer bei einem Jahr insgesamt. (Kurzarbeit wird häufig unterbrochen oder wechselt von einem Tag die Woche auf zwei Tage die Woche usw.)
Die mit den Gewerkschaften ausgehandelte tarifvertragliche Einführung von Arbeitszeitkonten ersetzte seit den 1990er Jahren das bis dahin übliche Wechselbad zwischen Kurzarbeit und Überstunden. In der BRD gab es 1975 jahresdurchschnittlich 773 000 Kurzarbeitende (3,8 Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten), 1983 waren es 675 000. Haupteinsatzgebiet war die Montanindustrie. Hier diente Kurzarbeit dazu, die Abwicklung der Branche abzufedern. 1988 wurde speziell dafür das »Strukturkurzarbeitergeld« eingeführt – wir erinnern uns noch an die langen Streiks der Stahlarbeiter in Rheinhausen 1988!

Kurzarbeit zur Abwicklung der DDR
Nach dem Anschluss der DDR bekam das »Strukturkurzarbeitergeld« die Funktion, die alte Wirtschaftsstruktur im Osten abzuwickeln. 1991 gab es rund 1,6 Millionen Kurzarbeitende, für die feststand, dass sie nicht mehr an ihren Arbeitsplatz zurückkehren werden. Diese Warteschleife vor Eintritt in die Arbeitslosigkeit war eine sozialpolitische Maßnahme, keine Subventionierung für Betriebe.
1994 wurden die Regelungen für die Gewährung von Kurzarbeitergeld verschärft: die Betriebe mussten nun auch den Arbeitnehmeranteil der Sozialversicherungsbeiträge auf 80 Prozent des Entgeltausfalls und die Entlohnung für arbeitsfreie Zeiten wie Urlaub und Feiertage selbst tragen. Damit wurden die sogenannten Remanenzkosten erheblich erhöht, um den Einsatz anderer Maßnahmen wie Arbeitszeitkonten zu pushen.

»Transferkurzarbeitergeld«
2004 wurde das »Strukturkurzarbeitergeld«, das im Westen kaum genutzt wurde, in »Transferkurzarbeitergeld« umgewandelt. Es dient ausdrücklich nicht der Beschäftigungssicherung, sondern der Organisation des Übergangs in eine neue Beschäftigung nach einem endgültigen Arbeitsausfall. Es kommt nach Kämpfen gegen Betriebsschließungen zum Einsatz und verlängert gewöhnlich einfach die Zeit der Arbeitslosigkeit.

»Konjunkturelle Kurzarbeit«
kann nach §169 SGB III ein Unternehmen anmelden, wenn es einen voraussichtlich vorübergehenden Arbeitsausfall gibt, der auf einer wirtschaftlichen Flaute oder einem unabwendbaren Ereignis beruht und unvermeidbar ist. Der Entgeltausfall musste bisher mindestens zehn Prozent für ein Drittel der Beschäftigten des Betriebes (bzw. Betriebsteils/Standorts) betragen.
Als Ende 2008 die Betriebe massenhaft Kurzarbeit beantragten, weil die Arbeitszeitkonten in den von der Krise betroffenen Betrieben ausgereizt waren, wurden im Zuge der »Konjunkturpakete« die Regelungen für die Kurzarbeit mehrmals erleichtert.
Seit 1. Februar 2009 kann Kurzarbeitergeld (KUG) auch beantragt werden, wenn weniger als ein Drittel der Beschäftigten betroffen sind. Den Unternehmen wurden 50 Prozent der Sozialversicherungsbeiträge erstattet, 100 Prozent, wenn die ArbeiterInnen in mindestens der Hälfte der Ausfallzeit eine Qualifizierung erhielten, die sie auch in anderen Betrieben anwenden können.
LeiharbeiterInnen erhielten bislang kein KUG; jetzt kann auch eine Verleihfirma KUG beantragen.
Die Bezugsdauer wurde (befristet bis Ende 2010) auf 18 Monate verlängert, seit Mai auf 24 Monate.
Seit 1. Juli werden nach sechs Monaten Kurzarbeit die Sozialversicherungsbeiträge ohne Vorbedingungen voll von der Arbeitsagentur bezahlt, damit ist der Anreiz für Qualifizierungsmaßnahmen zurückgenommen worden, von denen eh kaum Gebrauch gemacht wurde. KUG kann auch beantragt werden, wenn die Arbeitszeitkonten noch keine Minusstunden aufweisen.

Was bedeutet KUG für die ArbeiterInnen?
Die ArbeiterInnen erhalten von der Agentur für Arbeit eine Lohnersatzleistung in Höhe des Arbeitslosengeldes (60 bzw. 67 Prozent vom Netto). In vielen Betrieben gab es tarifvertragliche Regelungen zur Aufstockung dieses Betrags durch das Unternehmen auf 80-100 Prozent des Nettolohns. Diese Vereinbarungen werden zur Zeit reihenweise zurückgenommen.
Auf die Berechnung von Ansprüchen wie Elterngeld, Arbeitslosengeld, Rente wirkt sich der Bezug von KUG leistungsmindernd aus.
Während der Kurzarbeit müssen sich die ArbeiterInnen für den Arbeitseinsatz bereit halten, über den sie kurzfristig informiert werden können. Nach sechs Monaten Kurzarbeit kann die Agentur für Arbeit KUG-Bezieher auch anderweitig vermitteln, die Nichtbefolgung führt zu einer Sperre.




aus: Wildcat 85, Herbst 2009



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