Wildcat Nr. 92, Frühjahr 2012 [Griechenland-Fortgesetzte Angriffe, Riots und Streiks]



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Griechenland

Fortgesetzte Angriffe, Riot, Streiks

Griechenland befindet sich seit vier Jahren in einer Rezession. Steigende Preise, massive Einschnitte in die Masseneinkommen, wachsende Steuerbelastung, dramatisch steigende Arbeitslosigkeit… die griechische Gesellschaft zeigt akute Zersetzungserscheinungen. Den meisten Menschen geht es schlechter, als sie es sich je vorstellen konnten – und vor allen Dingen: es ist kein Boden in Sicht. Das Bruttoinlandsprodukt ist seit Beginn der Krise um 16 Prozent geschrumpft, allein letztes Jahr um sieben Prozent – 2012 wird noch einmal dasselbe erwartet.

Am 28. Februar wurde das vierte Sparpaket im Rahmen des zweiten »Rettungspakets« verabschiedet, schon im Juni wird die nächste Reformwelle erwartet. Wurden diesmal der Mindestlohn und das an ihn gekoppelte Arbeitslosengeld massiv abgesenkt, wird es im Sommer dann die Renten treffen, nachdem sie bereits um ein Viertel gekürzt wurden. Die Rentenkassen sind leer, und durch die massiv gesunkenen Löhne und die hohe Arbeitslosigkeit fließen noch weniger Beiträge.

Die verdammt hohe Arbeitslosigkeit macht es schwer zu kämpfen. Die meisten »Streikenden« (besonders in der Medienbranche) sind in Wirklichkeit arbeitslos.

Die Lohnfrage steht im Mittelpunkt

Die gezielte Senkung des Lebensstandards soll die Außenhandelsbilanz (durch weniger Importe) verbessern und primäre Haushaltsüberschüsse (das ist der Staatshaushalt ohne Herausrechnung der Zinszahlungen) erreichen. Im Frühjahr 2010 begann ein heftiger Prozess von Lohnsenkungen. 2011 sanken die Löhne bis zu 42 Prozent. Der bisher schlimmste Schritt war die Absenkung des Mindestlohns um 22 Prozent am 28. Februar. Denn dadurch sinkt das Arbeitslosengeld um denselben Prozentsatz. Bisher bekam ein Arbeitsloser ein Jahr lang ca. 461 Euro im Monat, bei einem auf 530 Euro reduzierten Mindestlohn sinkt das Arbeitslosengeld auf ca. 360 Euro. Nun wurde aber eine zusätzliche Bedingung eingeführt: 360 Euro gibt es nur noch für Leute, die vor der Arbeitslosigkeit mehr als 314 Euro verdient haben. Verdiente man weniger, kann das Arbeitslosengeld bis auf 180 Euro im Monat absinken. Dazu muss man wissen, dass Griechenland das einzige Land in der eu ist, in dem es keine Form von Sozialhilfe gibt: nach einem Jahr ist Schluss und es gibt gar nichts mehr.

Jugendlichen unter 24 Jahren wurde der Mindestlohn nochmal um zehn Prozent mehr gekürzt – seither gibt es immer mehr Jobangebote speziell für Leute bis 24! Die Renten oberhalb von 1300 Euro wurden um zwölf Prozent gekürzt. Zusatzrenten, die 200 Euro überschreiten, um zehn bis 20 Prozent. Berufsgruppen wie Richter, Ärzte, Diplomaten, Uniprofessoren, Polizisten, Feuerwehr und Militär müssen Lohnkürzungen um bis zu 1000 Euro hinnehmen.

Zudem wurden die staatlichen Ausgaben im Gesundheits- und Bildungsbereich gekürzt, die Mehrwertsteuer erhöht und der Steuerfreibetrag von 12 000 Euro auf 5000 Euro – also unter die Armutsgrenze! – gesenkt. Somit ist sogar die Besteuerung des Arbeitslosengeldes möglich.

Logischerweise nimmt die Schwarzarbeit weiter zu. Es wird geschätzt, dass ein Drittel aller Beschäftigten schwarz arbeiten, knapp 40 Prozent der Migranten und 26 Prozent der Einheimischen. Viele Vollzeitverträge (acht Stunden an fünf Tagen) wurden in Teilzeit- oder flexible Arbeitsverträge umgewandelt. ArbeiterInnen in kleinen Betrieben können auf diese Angriffe und eine drohende Entlassung kaum reagieren. Etwa die Hälfte aller Kleinbetriebe bleibt ihren langjährigen Angestellten monatelang den Lohn schuldig. Allein 2011 sind etwa 35 000 (vorwiegend kleine) Unternehmen bankrottgegangen.

Von der Substanz leben

Immer mehr Leute brauchen ihre Rücklagen auf. Bis zum April 2011 hatten die Privathaushalte 33 Milliarden Euro von ihren Bankeinlagen abgehoben; von 2001 bis 2009 hatten sich diese fast verdoppelt (von 103,4 Milliarden auf 196,9 Milliarden). Ähnlich die Unternehmen: sie zogen ca. zehn Milliarden Euro ab (von 2001 bis 2008 hatten auch ihre Einlagen sich fast verdoppelt, von 22,6 Milliarden auf 42,2 Milliarden Euro). Diese Entwicklung hat sich seither beschleunigt.

Die Kombination aus sinkenden Einkommen und steigenden Lebenshaltungskosten führt zu einer ausgeprägten (und in der brd völlig unterschätzten) Massenverarmung in Griechenland. Immer mehr Rentner und Patienten werden als Überflüssige angesehen und sterben ohne jegliche Behandlung. Besonders betroffen sind ArbeiterInnen im Niedriglohnbereich.

Immer mehr Leute (besonders Migranten) ziehen mit Einkaufswagen durch die Stadt und sammeln aus Mülltonnen wiederverwertbare Materialien (Glas, Metalle, Papier), um sie zu verkaufen. Auch auf den Kreuzungen vor den Ampeln werden häufig kleine Waren angeboten.

In Athen wurden im letzten Jahr viele Leihhäuser eröffnet, wo man Schmuck gegen Bargeld eintauschen kann. Immer mehr Einheimische und Migranten (auch junge Leute) ernähren sich in Suppenküchen, die von der Kirche, ngos, Freiwilligen und Stadtverwaltungen finanziert werden. Dort kann man auch Kleidung und Medikamente bekommen. Die Kirche verteilt nach eigenen Angaben in Athen 200 000 Essensrationen am Tag. Man hört von SchülerInnen, die während des Unterrichts aufgrund von Unterernährung in Ohnmacht fallen.

Soziale Depression

Angesichts dieser Entwicklung sind 300 000 Leute, die in Athen auf die Straße gehen, noch eine kleine Minderheit. In den letzten zwei Jahren kam es immer wieder zu Ausbrüchen von Wut, Solidarität und Empörung und zwar meist im Rahmen der Massendemos bei Generalstreiks. Es gibt viele optimistische Entwicklungen wie Mobilisierungen und Aktionen von Arbeitern und Streikenden. Aber vor allem im Privatsektor herrscht der Terror der Entlassung und der Arbeitslosigkeit.

Um zu verstehen, warum es noch keine breiteren sozialen Kämpfe gegen die Krise gibt, müssen wir in die jüngste Vergangenheit zurückblicken. In der »Wohlstandsphase« von 1990 bis 2010 nahmen viele Leute Kredite auf. Dabei ging es nicht um tägliche Reproduktionsbedürfnisse, sondern um sozialen Aufstieg, luxuriösen Lebensstil oder kapitalistische Konsumsucht. Man sah sich selbst als »Verbraucher«, nicht mehr als Arbeiter – das war altmodisch. Individualismus, Markenbewusstsein und Desinteresse für soziale Themen waren die Markenzeichen dieser Periode.

Der jetzige Krisenschock zerstört zwar den Wohlstandsglauben, aber nicht die individualistischen Ideale und Verhaltensweisen. Zunächst sind diese in individuelle und gesellschaftliche Depression umgekippt. Daraus entstehen nicht automatisch realistische und emanzipatorische Vorstellungen. Wer in den »goldenen Jahren« einen Kredit aufgenommen hat, wird heute damit erpresst, die aktuellen »Reformen« zu akzeptieren. Wer einen Kredit laufen hat (besonders für ein Haus oder eine Wohnung), muss auch schlechtere Arbeitsbedingungen diszipliniert ertragen, will er nicht pleite gehen.

Mit zunehmenden Krisenangriffen stehen sich zwei soziale Tendenzen immer stärker gegenüber: solidarisches Verhalten oder sozialer Kannibalismus, kollektive Lösung oder persönliche Rettung.

»Stand der Bewegung«

Die Krise hat ein großes Spektrum an Widerstandspotential hervorgebracht. Ein paar Wochen vor dem 12. Februar hatten Gruppen aus der anarchistischen und autonomen Szene zu einer Demo gegen die neuen Sparmaßnahmen aufgerufen. Es kamen 3000 Leute, auch Ältere. So viele waren wir noch nie, das ist politisch bedeutend! Aber gemessen an der Breite des Krisenangriffs ist die Teilnahme natürlich niedrig.

Die linksradikale Szene macht zwar Flugis, Zeitungen und auch wieder Vollversammlungen, sie hat aber nichts Gemeinsames zur Krise zu sagen, mit dem neue Leute was anfangen könnten. Einige FreundInnen gehen zu den offenen Versammlungen (in Häusern oder Zentren), die aus der Szene organisiert werden. Das bleiben aber bisher Versammlungen von Einzelpersonen, dort organisieren sich keine Gruppen, verbindliche Verabredungen bleiben aus. Neue organisatorische Strukturen wären dringend nötig, es ist aber extrem schwierig, solche konkret aus dem Verhalten der Leute zu entwickeln – und als abstrakte Forderung hebt es sofort ab und wird kontraproduktiv.

Auch zu den Demos kommen viele Leute alleine. Es gab aber auch viele Gruppen von jungen Leuten, die sich als Gruppe verhalten und sich gemeinsam durchsetzen und wehren. Und auch neue Leute von außerhalb der Szene, die sich kollektiv verhalten. In den letzten drei Jahren machten eine Menge Leute Erfahrungen auf der Straße. Besonders MigrantInnen spielen weiterhin eine wichtige Rolle, auch wenn sie durch Repressionen massiv unter Druck stehen. Allerdings geht es bisher wenig über die Formen wie im Dezember 2008 hinaus. Aber bei vielen Leuten steigt die Bereitschaft, etwas gemeinsam zu machen. Jenseits der Arbeitssphäre gibt es Organisierung in Nachbarschaften, die sich gemeinsam wehren (Stromrechnungen, Arbeitsamt…).

Dass Leute ohne Einkommen Läden plündern, ist sozial gerecht. Ihre Wut, die sich gegen Geschäfte ausdrückt, ist die Wut gegen das System. Dagegen fährt der Klassenfeind die Forderung nach der öffentlichen Ordnung hoch; gerade kleinbürgerliche Schichten pushen das in den Medien oder beim alltäglichen Tratsch über die zunehmende Kriminalität.

Der Feind steht im eigenen Land

Der Nationalstaat ist der zentrale Kommandant der Disziplin. Die zentrale Rolle der griechischen Bosse und Politiker bei den Sparmaßnahmen muss immer wieder aufgezeigt werden! Gegen die Rolle der Troika und der ausländischen Banken beim Durchsetzen der Sparprogramme muss die Arbeiterklasse in den jeweiligen Ländern kämpfen. Die Krise ist für uns keine nationale Frage, sondern eine Frage des Klassenkampfs.

Wir müssen das Arbeitergedächtnis lebendig halten: Seit Jahren schon verfolgt der innere Klassenfeind die heutigen Sparmaßnahmen und Arbeitsreformen, seine Think tanks hatten immer wieder Studien vorgelegt, in denen »Rationalisierung der Arbeit« und »innere Abwertungsmaßnahmen« gefordert wurden. Die damaligen Kräfteverhältnisse erlaubten diese Maßnahmen nicht, aber heute in der Krise sind sie möglich geworden. Die einheimischen Bosse laden die ausländischen Kreditgeber als Klassenalliierte ein, denn sie selber werden als Erste von den Reformen profitieren.

Uns interessieren nicht die Schulden, sondern die Abwertung der Arbeit und unseres Lebens; der Angriff zielt auf schlimmere Arbeitsverhältnisse. Es geht um Lohn, Arbeitszeit und die Intensivierung der Arbeit.

Linke wie Rechte hoffen auf kapitalistisches Wachstum zur Überwindung der Krise. Der kapitalistische Selbstzweck wird nicht in Frage gestellt. Die Linke trägt auch große Verantwortung für die aktuelle Lähmung, weil sie nur die Machtfrage (durch Neuwahlen oder »Revolutions«hoffnungen) stellt, und bei den direkten realen Klassenkonfrontationen im Alltag (d.h. auch praktische Organisierung gegen die obigen Abwertungsformen) abwesend ist. Viele Linke und Linksdemokraten reden sogar von einem nationalen Befreiungskampf gegen die Troika und von der »Verteidigung der Heimat«!

Alles Interessante, was in Griechenland gerade passiert, passiert unterhalb der traditionellen Organisationen, an der Basis. Niemand glaubt mehr ans Parlament, es gibt ein allgemeines Misstrauen gegen das politische System, ein Drittel der Leute wird nicht mehr wählen gehen.

Auch was am Arbeitsplatz organisiert wird, kommt auf Druck der Arbeiterbasis zustande. Allerdings ist der Weg der Organisierung von unten und der praktischen »kleinen Revolten« ein sehr langer. Ein paar Beispiele für Kämpfe der letzten Zeit:

Alles Interessante passiert an der Basis

Besetztes Krankenhaus in Kilkis /Nordgrld.

In ihrer ersten Erklärung Anfang Februar kündigten die Beschäftigten an, das Krankenhaus zu besetzen und unter Selbstkontrolle zu stellen; sie würden nur noch Notfälle behandeln und Leute kostenlos versorgen. Mit der zweiten Erklärung vom 26. Februar gaben sie bekannt, dass sie das Krankenhaus seit dem 20. Februar besetzt haben. Gewerkschaftler und die leitenden Beamten aus der Verwaltung haben die Vollversammlung der Belegschaft verlassen. Basisdemokratische Arbeitsgruppen unter der Kontrolle der vv verwalten nun das Krankenhaus. Ihre Ziele überwinden die Funktion des Krankenhauses und sind auch politisch: sie fordern die Unterstützung der Gesellschaft, Ausweitung von (dauerhaften und nicht symbolischen) Besetzungen auf Betriebe und öffentliche Räume, sowie eine friedliche Umwälzung der Regierung. Sie fordern auch Überstundenbezahlung, Nachtschichtzulage, Finanzierung des Gesundheitssystems, Einstellung von mehr Leuten, Abschaffung der Subunternehmer, Direkteinstellung der Putzfrauen, usw. (Meine Quellen sind leider nur das Internet; ich kenne Berichte von Leuten, die dort gewesen sind. Bis auf Solidaritätserklärungen hat sich bisher keine Öffentlichkeit entwickelt, obwohl es im 50 km entfernten Thessaloniki eine breite Szene gibt.)

Am 17. März ging die Besetzung leider zu Ende. In ihrer Erklärung dazu sagen die Leute, dass einige von ihnen bedroht wurden, in andere Krankenhäuser versetzt zu werden; außerdem hätten sich am Ende immer weniger aktiv an den Streikposten beteiligt.

In der Medienbranche gibt es noch relativ große Belegschaften, die fast alle angegriffen wurden. Viele Zeitungen sind bankrott, und die Belegschaften haben keine andere Perspektive.

Eleftherotyia ist eine Zeitung, die nach der Diktatur gegründet wurde, linksliberal, aber linker als die deutschen Alternativen, sie war die beste Tageszeitung in Griechenland. 900 Angestellte haben das Gebäude besetzt, nachdem sie seit Monaten keinen Lohn bekommen hatten. Sie haben bisher zweimal eine Streikzeitung herausgegeben, Die Arbeitenden. Die erste Ausgabe hatte eine Auflage von 31 000, die zweite von 61 000 Exemplaren (zum Vergleich: in ihrer Hochzeit vor ein paar Jahren verkaufte die Sonntagsausgabe von Eleftherotyia etwa 150 000 Exemplare, in letzter Zeit noch 30-40 000; in der Krise kaufen weniger Leute eine Zeitung – und nur sehr wenige junge Leute lesen heute überhaupt noch Zeitung).

Canal Alter ist ein besetzter Fernsehsender. Anfangs sendete die Belegschaft sporadisch Berichte und Liveschaltungen; mittlerweile ist der Kabelkanal aber tot; er wurde gekappt.

Hotels und Gastronomie

Diese Branche brummt im Sommer und ist – wie der Tourismus allgemein – das Paradies der Schwarzarbeit. Es gibt so gut wie keine gewerkschaftlichen Vertretungen, die Betriebe sind über das ganze Land verteilt. Außer in Athen und Thessaloniki haben die Beschäftigten nur sehr begrenzte Möglichkeiten, sich zusammenzuschließen. Trotzdem gibt es immer wieder vereinzelte Streiks, in Athen und Thessaloniki gab es in den letzten zwei Jahren Mobilisierungen gegen Entlassungen.

Riot am 12. Februar:

Während das Parlament in Athen am Sonntagabend über das von der Troika geforderte Sparpaket abstimmte, demonstrierten etwa 200 000 Leute in Athen und auf dem Syntagmaplatz vor dem Gebäude. Abends kam es landesweit zu den schwersten Krawallen der letzten 20 Jahre in Griechenland. In Athen wurden mindestens 45 Gebäude zerstört oder abgebrannt, darunter auch Kinos, Banken und Cafés. Die chaotische Seite war, dass auch kleine Geschäfte zerstört und geplündert wurden.

Im Vergleich dazu war die Beteiligung am zweitägigen Generalstreik freitags und samstags relativ niedrig – auch deswegen, weil der öpnv ebenfalls streikte. So konnten nur InnenstadtbewohnerInnen und Leute mit Mopeds teilnehmen (mit dem Auto kommt man nicht gut in die Stadt). Die Situation am Sonntag war diffus und unerwartet, niemand hatte damit gerechnet, dass so viele Leute auf die Straße gehen und ihre Wut ausdrücken.

Die Bullen wollten den Syntagma Platz räumen, was zunächst auch funktionierte, letztlich aber an der Masse von Leuten scheitern musste (dabei blockierte auch die KKE 1zwei wichtige Hauptstraßen), so war es auf allen Flächen der Stadt.

Die Auseinandersetzungen zogen sich lange hin, die meisten Leute waren fünf bis sieben Stunden auf der Straße, das war deutlich länger als bei den »Generalstreiks« zuvor und ist ein sehr wichtiger Punkt, der zeigt, dass es diesmal nicht um Routine und Symbolik ging.

Die Bullen hatten keine Kapazitäten, diese Situation zu kontrollieren, sie beschränkten sich darauf, strategische Ziele zu verteidigen. Es wurden 79 Leute aus allen Altersgruppen festgenommen, darunter 29 MigrantInnen.

In den Tagen danach wurde fast nur über die Krawalle berichtet und kaum noch über die Reformen; damit versuchte man, die »Bösen« von den »Guten« zu spalten. Medien und Linksparteien (besonders die KKE) redeten wie immer von »Provokateuren«, die die Riots ausgelöst haben, allerdings ist das Bild nur noch schwer aufrecht zu erhalten. Bisher wurde immer von 200-500 Provokateuren geredet, am 12. Februar waren es dann ungefähr 2000.

Es gibt weiterhin täglich Streikankündigungen oder Streiks. Aber allgemein herrscht das Gefühl einer großen Niederlage. Trotz der ganzen Kürzungen weichen sogar ArbeiterInnen aus Großbetrieben in Arbeitslosigkeit aus, weil sie mit Kurzarbeit und abgesenktem Lohn weniger als die 360 Euro verdienen würden. Zudem gibt es allgemein die Einschätzung, dass in der nächsten Reformrunde auch die momentan noch geltenden Abfindungsregelungen abgeschafft werden.

D., Athen, 18.3.12


Fußnoten:

[1] KKE Kommunistische Partei Griechenlands. pame: (wörltich: »Los geht‘s«) Die Abkürzung steht für Kampffront aller Arbeiter; von der KKEgegründete Gewerkschaft.



aus: Wildcat 92, Frühjahr 2012



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