Wildcat-Sonderheft Krieg 2003 - März 2003 - S. 54-60 [wk3oilfa.htm]


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Fakten zum Erdöl

Aus dem Fernsehen, den Zeitungen und aus Berichten im Internet fließt uns seit Wochen überall »ÖL!« entgegen, wenn es um Kriegsgründe geht. Es muss für die widersprüchlichsten Einschätzungen und Behauptungen herhalten. Und es stimmt ja: Erdöl ist ein wichtiger Bestandteil des Lebensstandards der Menschen, und allein seine Verbrauchsziffern und deren Zuwachs drücken etwas über die Bedingungen des Weltproletariats aus. In Ergänzung zu den anderen Artikeln sind im folgenden einige Zahlen, gesellschaftliche, ökonomische und politische Wirkungen zusammengestellt.

Ölproduktion

Täglich werden zur Zeit rund 77 Millionen Barrel gefördert und gehandelt. Das entspricht bei einem Preis von 30 Dollar/Barrel einem täglichen Handelsvolumen von 2,3 Milliarden Dollar. Wird das Öl um einen Dollar höher am Markt gehandelt, entspricht das einer Gewinnsteigerung von 77 Millionen Dollar täglich.

Zur Zeit produziert Saudi-Arabien am meisten Erdöl (ca. 8,5 Millionen Barrel pro Tag), gefolgt von USA (8), Russland (7, zusammen mit Kasachstan 8,5). Danach kommen als nächstes Iran und Mexiko (je ca. 3,6). Von Golfstaaten kamen 2002 ca. 20 Mill. Barrel/Tag, d. h. mehr als ein Viertel der Weltproduktion. Die Fördermenge der USA kommt aus ca. 533.000 Quellen, also weniger als 17 Barrel/Tag und Quelle. Die etwa gleich große saudi-arabische Förderung kommt aus 750 Quellen, d.h. 12.000 Barrel/Tag und Quelle. (Alle Zahlen zu Produktion, Verbrauch und Reserven nach dem Oil Market Report der US-amerikanischen International Energy Agency.)

Die Produktionskosten des Öls sind sehr unterschiedlich. In sie gehen neben den zu zahlenden Arbeitslöhnen die unterschiedlich aufwendige Förderung (Tiefe und Druckverhältnisse der Lagerstätte, Offshore) und der Transport zum Terminal, meistens in Pipelines, mit ein. Bei steigender Länge der Pipelines summieren sich die Kosten der Pipeline-Kilometer, denn wegen Fließwiderstand, Verunreinigung (feste Partikel, salziges Wasser, Gase), schwankenden Durchflussmengen, Zusammensetzungen und Drücken, Temperatur der Flüssigkeit und der Unebenheit des Geländes sind an den Pipelines in relativ kurzen Abständen Pumpstationen erforderlich. Diese müssen mit elektrischer Energie versorgt werden. Pipeline und Pumpen sind hohen Belastungen durch Korrosion und Druckschwankungen ausgesetzt, deswegen sind Funktions- und Leckkontrolle wichtige Bestandteile der Leitung. Ölvermarktung ist aus manchen Fördergebieten nur bei einem hohen Ölpreis rentabel (z.B. Sibirien). Die Produktionskosten für Öl sind in der Golfregion am niedrigsten. Für das derzeit geförderte Irak-Öl werden sie mit 0,97 Dollar/Barrel beziffert, für Nordseeöl mit ca. 4 Dollar. Bei sibirischem Öl kostet alleine der Transport von der Quelle zum Terminal 7 Dollar/Barrel.

Über die Ölvorräte wird häufig mit unterschiedlichster Tendenz berichtet. Hier einige Zahlen dazu: Die größten gesicherten Ölmengen der Erde (insgesamt ca. 1000 Milliarden Barrel) finden sich in folgenden Ländern : Saudi Arabien 265,3 Mrd. Barrel, Irak 115, Kuweit 98,8, Iran 96,4, VAE 62,8, Russland 54,3, Venezuela 47,6, China 30,6, Libyen 30,0, Mexiko 26,0, Nigeria 24,1, USA 22,0, Algerien 12,7 und Norwegen 10,1. Also von den insgesamt 895,7 Mrd. Barrel als gesichert bezeichneten Ölmengen liegen mehr als ein Viertel in Saudi Arabien und ca. 70% in Golfstaaten. Das Golföl hat außerdem eine hohe Qualität und die niedrigsten Produktionskosten. Einige Gebiete in den Golfländern sind noch nicht prospektiert. Das und die neuen 3D-Prospektionsverfahren versprechen eine weitere Zunahme der dort festgestellten Mengen.

Gemessen am heutigen Verbrauch existieren also noch riesige Erdölvorräte. Eine andere Frage ist, wie lange die tägliche Fördermenge noch der steigenden Nachfrage angepaßt werden kann. Die Zahlen des Ölkonsums sind Ausdruck der maßlosen Ungleichheit auf der Erde. Die größten Verbraucher sind mit Abstand die USA mit 25% der gesamten Produktion, Europa 22% (Deutschland 3,7%, Frankreich 2,7%, Italien 2,6%, UK 2,2%), Japan 7%, China 6,6%, Russland 3,5% .

Der Ölverbrauch ist von 1991-2001 um insgesamt 14% gestiegen: in den USA um 17%, in Deutschland, Frankreich, Italien um 1%, in Japan um 0% (Rezession). In China und anderen asiatischen Ländern mit aufholender Entwicklung gab es die höchsten Zuwachsraten: China 109%, Südkorea 78%, Indien 68%, Indonesien 64%. Der Verbrauch nimmt weltweit weiter zu (ca. 2% pro Jahr).

In den USA verlangen die Konsumenten auch weiterhin billiges Öl. Der Preisanstieg vom Frühjahr 1999 bis Sommer 2000 hatte in den USA und anderen Industrieländern zu heftigen Konflikten geführt. Aber auch in anderen Ländern, wie zuletzt bei den Streiks der Ölarbeiter in Nigeria, führen Verknappungen und Verteuerungen sofort zu heftigen Kämpfen.

Ölhandel

Das Erdöl war die erste wirklich global gehandelte Ware. An den Börsen von London, New York und Singapur wird der größte Teil des Öls gehandelt. Es gibt unterschiedliche Ölqualitäten, die sich durch ihren Schwefelgehalt und ihre unterschiedlichen Anteile der Inhaltsstoffe (spez. Gewicht) unterscheiden. Heutzutage werden meistens sogenannte »futures« gehandelt, das sind Verträge über die Lieferung einer bestimmten Menge Öl an einen bestimmten Ort zu einem festgelegten Preis in Dollar. Diese Futures werden ihrerseits an Börsen (Spotmärkten) zu Tagespreisen gehandelt.

Bei hohen Ölpreisen fallen bei den Eigentümern von Ölproduktionen mit niedrigen Produktionskosten riesige Gewinne an, also besonders bei den Golfstaaten. Bei einer Spanne zwischen einem Dollar Produktionskosten und 30 Dollar Verkaufspreis fürs Barrel gerät jeder Kapitalist in Verzückung. Diese Gewinne fließen in erster Linie den staatlichen Ölgesellschaften dieser Länder zu. Die großen internationalen Ölkonzerne haben heute nur noch Zugriff auf höchstens 15% der Weltölproduktion und zwar schwerpunktmäßig auf kapitalintensive Offshore-Neuerschließungen. Hohe Ölpreise werden zwar von den Konzernen, die Ölprodukte herstellen und vertreiben, weitergegeben, schlagen sich aber nur im Rahmen der Eigenförderung in ihren Gewinnen nieder. Auch die Kämpfe des regionalen Proletariats wirken sich auf die Produktionskosten aus (z. B. Nigeria).

Ölpreis

In der Ölkrise 1973/74 haben die OPEC-Staaten den Ölpreis über die Macht eines Kartells angehoben. Aber gerade dadurch wurde der Ölpreis zu einem Marktpreis, der durch den Handel an den Spotmärkten bestimmt wird. Der Preis orientiert sich an der Ölförderung mit den höchsten Produktionskosten. Da diese Ware mit den hohen Kosten (d.h. in erster Linie das inlandsproduzierte Öl der USA) nachgefragt wird (Fördermenge und Nachfrage liegen nicht weit auseinander), ist dieser hohe Preis am Markt zu erzielen. Das schafft für das Öl mit niedrigen Produktionskosten eine hohe Profitspanne.

Diese riesige vor allem in den Golfstaaten erzielte Profitmasse wurde vorwiegend in Dollar und bei europäischen Banken angelegt (von daher der Name Petrodollar; früher auch »Euro-Dollar«, bevor es den Euro als Währung gab!). Diese Geldmengen sind historisch der Kern der seither ins Unermeßliche gewachsenen globalen Geldströme. Zunächst wurden sie u.a. an die defizitären »Dritte-Welt«- und sozialistischen Länder als Kredite vergeben. Die Schulden der »Dritte-Welt«-Länder stiegen von 100 Mrd. Dollar 1971 auf tausend Mrd. Dollar 1988 (bei den sozialistischen Ländern von 8 Mrd. auf 80 Mrd.). So wurde die Basis für die Schuldenkrise der »Dritten-Welt«-Länder gelegt.

Seit den 90er Jahren entwickelten sich die größeren Ölländer der Golfregion selbst zu Schuldner-Ländern. In die Produktionskosten des Öls in der Golf-Region gehen in stark steigendem Umfang die Kosten für Repression und/oder Zufriedenstellung der Bevölkerung mit ein. Die Regimes der Region, besonders Saudi-Arabien, stehen unter dem Druck einer schnell wachsenden Bevölkerung, die erreichten sozialen Standards zu finanzieren, wozu sie immer weniger in der Lage sind. In den USA sind die Produktionskosten hoch aufgrund technischer Probleme der Restlagerstätten, die seit der Frühzeit der Petroleumlampe ausgebeutet wurden, in der Golfregion muß ein Großteil des Unterhalts der Bevölkerung aus dem Ölpreis finanziert werden.

Für die USA stellt der Ölpreis eine Zwickmühle dar. Die Öleinfuhren im jährlichen Wert von ca. 50 Mrd. Dollar machen den größten Einzelposten ihres hohen Außenhandelsdefizits aus. Die Bevölkerung besteht auf niedrigen Preisen und zumindest gleichbleibendem Konsum. Dafür wäre ein niedriger Ölpreis erforderlich. Bei einem niedrigen Ölpreis würde aber die eigene Produktion der USA gefährdet, da deren Produktionskosten besonders hoch sind.

Das Öl im Irak

Auf dem Gebiet des Irak befindet sich mehr als ein Zehntel der bisher weltweitfestgestellten Ölmenge. Mit der Nationalisierung 1973 übernahm die staatliche INOC (Iraq National Oil Company) gegen Entschädigung von der Iraq Petroleum Company, einem internationalen Ölkartell, an dem die Vorläufer von BP, Shell, Exxon und Total beteiligt waren, die gesamte Ölproduktion des Landes. INOC steigerte schnell die Ölproduktion des Landes bis zu einem Gipfel 1979 von 3,5 Mio. Barrel/Tag.

Es sollten aber nur wenige Jahre sein, in denen der irakische Staat unbeeinträchtigt Öleinnahmen für industrielle und militärische Investitionen verwenden konnte. Im ersten Golfkrieg 1980-88 förderten die westlichen Länder Saddam Hussein dabei, den Krieg gegen die aufrührerische iranische Bevölkerung vom Zaun zu brechen. Während des Krieges war die Ölförderung nur reduziert möglich, und es gab keine Möglichkeit, Öl auf dem Weg durch den Golf zu exportieren. Die Ölproduktion sank schon 1981 auf eine Million Barrel pro Tag, stieg ab 1984 wieder langsam über die Aktivierung anderer Transportwege im Nordwesten an, bis sie nach dem Waffenstillstand wieder die Vorkriegs-Tagesvolumina erreichte.

Kaum war der Krieg zu Ende, standen Ölkonzerne an der Tür und versuchten, in das lukrative Geschäft mit dem Golf-Öl hineinzukommen. Die irakische Regierung stand nun unter dem Druck, hohe Schulden aus den Kriegsjahren für Waffenlieferungen usw. bezahlen zu müssen.

Der Golfkrieg 1990/91 unterbrach alle Verhandlungen. Neben dem neuerlichen Abschlachten aufständischer Bevölkerungsgruppen, renitenter Soldaten und Ölarbeiter, die den irakischen Staat bedrohten, war die Ölinfrastruktur ein zentrales Ziel der Bombenangriffe, und in den Angriffsgebieten wurden die Ölquellen von irakischen Truppen in einer Strategie der verbrannten Erde in Brand gesetzt (ebenso wie die kuweitischen Installationen). Sammelstationen an den Knotenpunkten, Pumpstationen, Pipelines, Hafenanlagen waren zerstört. Die Förderkapazität sank auf eine Mio. Barrel pro Tag, die Förderung 1991 auf 0,3 Mio. Barrel pro Tag.

Im folgenden Embargo wurden Ölexporte, ausländische Investitionen und die Lieferung technologischer Anlagen und Ersatzteile für die Ölindustrie verboten. Erst im Dezember 1996 wurden wieder begrenzte Exporte im Rahmen des oil for food-Programms zugelassen. Die Infrastruktur des Iraks ist veraltet oder zerstört. Der Irak hatte teilweise Schwierigkeiten, die von der UN genehmigten Ölmengen zu exportieren. Um die notwen-digen Investitionen bezahlen zu können, ist der Irak nun nach zwölf Jahren Embargo gezwungen, seine Ölfelder an die ausländischen Konzerne zu verkaufen. Mit dem Zugang zur notwendigen Technologie könnte der Irak seine Fördermenge bald verdoppeln.

Vor dem Krieg gegen den Iran war der Irak das industriell und technisch entwickeltste Land des arabischen Raumes. Der Ausbildungsstand war hoch. Es gab ein entwickeltes (Öl-) Industrie-Proletariat, das durch viele Migranten verstärkt wurde. Die landwirtschaftliche Produktion reichte aus, das ganze Land zu versorgen. Heute leben im Irak ca. 23 Millionen Menschen (1950: 5,2 Millionen), zu 70% in Städten, allein im Raum Bagdad sieben Millionen.

Die Konkurrenz um das Irak-Öl - »Klondike am Schatt-el-Arab«

In der iranischen Revolution richtete sich der Kampf zum ersten Mal nicht nur gegen die von den USA dominierten Regierungen, sondern auch offen gegen die Hegemonie der USA in der Ölregion. Der Irak war einst für viele ein Modell unabhängiger Entwicklung in der Nachfolge des Nasserismus gewesen. Nun war sein repressives System durch ein Proletariat bedroht, das am Iran gesehen hatte, dass Revolution machbar war. Der Krieg gegen den Iran war für die Regimes in Bagdad und Washington gleichermaßen notwendig. Das iranische und irakische Proletariat mußte hinreichend geschwächt werden, damit es den Staat und die Hegemonie nicht mehr wirksam in Frage stellen konnte.

Nach dem ersten Golfkrieg war das Land in einen Zustand zurückversetzt, der es wieder für Ölkonzerne zugänglich machte. Schon 1988 verhandelte die französische Total um einen Einstieg in die irakische Ölproduktion. Der Golfkrieg von 1990/91 unterbrach diese Verhandlungen, und das nachfolgende Embargo verbot ausländischen Firmen Investitionen in Ölfelder.

Trotz des Embargos verhandelte Total weiter mit der irakischen INOC. 1995 war der Vertrag unterschriftsreif, wurde aber aufgrund des Embargos nicht umgesetzt. Die russische Lukoil schloss 1999 trotz Embargo einen Vertrag ab, der ihr Rechte zur Ausbeutung eines Ölfelds (Qurna) mit 15 Mrd. Barrel einräumte. Dieser Vertrag wurde im Januar 2003 spektakulär vom Irak gekündigt, weil Lukoil entgegen den Vereinbarungen in den drei Jahren nichts investiert hatte. Bis zu 40 andere Firmen aus aller Welt, ausgenommen US-Firmen, auch weitere russische Firmen, waren im Irak, um Claims abzustecken und Verträge über Optionen für die Zeit nach dem Embargo abzuschließen. Dabei geht es nicht nur um erschlossene oder bestätigte Ölfelder, sondern auch um Prospektion entlang der saudischen und kuweitischen Grenze, wo auf der anderen Seite in Kuweit ExxonMobil und Chevron-Texaco engagiert sind. Geologen schätzen dort weitere 108 Mrd. Barrel zu finden, die bisher bei den Ölreserven noch gar nicht mitgerechnet wurden. US- und britische Konzerne konnten sich nicht engagieren (nur die niederländisch-britische Shell verhandelte), weil diese beiden Staaten den Bombenkrieg in den vom Irak nicht anerkannten Flugverbotszonen weiterführten und zumindest US-Firmen staatliche Sanktionen auf sich gezogen hätten. Der US-Kongress verabschiedete 1996 zusätzlich noch ein Gesetz, das Firmen Investitionen auch im Iran verbot (Law D'Amato). US-Konzerne beklagten sich in der Presse, das Gesetz hindere sie am »Arbeiten«.

Nach Einschätzung der Deutschen Bank (Baghdad Bazaar - Big Oil in Iraq?) würden nach dem Sturz Saddams US-Firmen und BP zum Zuge kommen, ohne seinen Sturz russische, französische und chinesische Firmen. Ein Manager der französischen TotalFinaElf erklärt jetzt besorgt, »Wir haben doch nur versucht, die Nase vorn zu haben ... Es gibt keinen Grund, dass wir nicht an der Entwicklung des irakischen Ölsektors teilhaben sollten. Wir haben immer das Embargo und die internationalen Gesetze eingehalten, wir möchten nicht bestraft werden.« Aber die USA werden sich noch an 1997 erinnern. Damals versuchten sie, das amerikanische Law d'Amato auch auf die französische TotalFinaElf anzuwenden und Sanktionen gegen sie durchzusetzen, als diese zusammen mit anderen Partnern (Gazprom u.a.) mit dem Iran Kontrakte abschloss. Aber die EU hatte diese internationale Ausweitung amerikanischer Gesetze abgeblockt. US-Öl-Konzerne bestehen darauf, dass nach einem Krieg diese Verträge neu verhandelt werden. BP (früher Anglo-Persian) und ExxonMobil verweisen auf angebliche alte Rechte, die sie bei der Nationalisierung nur unter Zwang abgegeben hätten (allerdings mit Entschädigungsverträgen).

Kriegsgrund Öl?

Das Bild dieser Hyänen, die sich beim Kampf um eine fette Beute ineinander verbeißen, könnte den Eindruck vermitteln, es ginge beim Irak-Krieg nur ums Öl. Aber schon allein das Missverhältnis der Kriegskosten zu der zu erwartenden Beute macht deutlich, dass es um mehr geht. Die Kosten eines Irak-Kriegs inkl. Folgekosten werden in einer Studie des CISS (Committee on International Security Studies of the American Academy of Arts and Sciences) auf einen Gesamtbetrag zwischen 99 (im günstigsten Fall) und 1924 Milliarden Dollar (im ungünstigsten Fall) kalkuliert, die reinen Militärausgaben auf 50 bzw. 140 Milliarden Dollar. Das übersteigt alle zu erwartenden direkten Gewinne aus Ölgeschäften bei weitem. (Siehe hierzu auch Milan Rai: Krieg und Öl - Parole 'Stabilität'.)

Ein anderer Punkt fällt stärker ins Gewicht: Dass das Öl weltweit in Dollar gehandelt und die Profite dann wieder in Dollar angelegt werden, ist heute eine der Bedingungen, die »das Vertrauen in den Dollar« begründen. Die Verschuldung der USA macht heute zwei Drittel ihres Bruttoinlandsprodukts aus, wächst weiter und könnte niemals bezahlt werden, wenn sie eingefordert würde. So bildet die Abrechnung der Ölgeschäfte in Dollar den Rückhalt für weitere Kredite, für die Akzeptanz von ständig neu gedruckten Dollars bei der Bezahlung, für das Hinausschieben des ökonomischen Zusammenbruchs. Im Nicht-Kriegs-Fall würden nach diesem Szenario die Ölgeschäfte des Irak (und des Iran) in Euro ausgedrückt. Der tragende Pfeiler »Ölwährung« Dollar geriete ins Wanken, und mit ihr die Möglichkeit, die Kosten für die Vorherrschaft in der Welt weiter über das Drucken von Banknoten zu finanzieren.

Wie das Öl in die Ziele des Krieges eingebunden ist, kommt in einer Studie des Baker Institute for Public Policy zum Ausdruck, das schon im Jahr 2000, also ein Jahr vor dem 11. September, von Vizepräsident Cheney in Auftrag gegeben wurde und im Frühjahr 2001 vorlag: Strategic Energy Policy - Challenges for the 21st Century. Der Kern der Aussagen: Die USA befinden sich in einer Klemme: Die Bevölkerung setzt billige Energie in großer Menge durch und ist nicht zu Einschränkungen bereit. Auf der anderen Seite stehen in erster Linie die arabischen Staaten, die an hohen Ölpreisen interessiert sind, weil sie ihrerseits unter dem Druck ihrer Bevölkerung stehen, den Lebensstandard nicht zu senken. Sie sind an einer Verknappung des Erdölmarkts interessiert, während die USA de facto fordern, daß die Bevölkerung der ölproduzierenden Golf-Region für die Aufrechterhaltung des Lebensstandards in den USA den Gürtel enger schnallen soll.

Ein weiterer Punkt in diesem Dilemma: Die arabischen Staaten, aber genauso die USA, haben in den 90er Jahren wegen der niedrigen Ölpreise nicht mehr in die Öl-(oder Gas-)produktion und deren Ausweitung investiert, so dass sich die nicht ausgeschöpften (Reserve-) Produktionskapazitäten in diesem Zeitraum halbiert haben. Das macht die Situation für die USA unsicher und trägt zu hohen Ölpreisen und der Empfindlichkeit des Markts gegenüber kleinsten Störungen bei.

In der Studie wird ein Horrorszenario der Verknappung ausgemalt und immer wieder betont, dass man die US-Bevölkerung davon überzeugen muss, dass für die Versorgung mit Öl etwas getan werden muss. Was? Die Studie weist darauf hin, dass aus dem Druck, den die Bevölkerung der Golfregion ausübt, hohe Preise entstehen, dass im anderen Fall antiwestliche Elemente Macht gewinnen könnten. Die Konsequenz: »Wenn nicht die US-Regierung die Führung bei der Modernisierung von Markt- und Investitionsstrukturen übernimmt, besteht ganz klar die Gefahr, dass andere die Zügel in die Hand nehmen und Institutionen aufbauen, die den US-Interessen entgegenstehen.« Die Politik des Irak hat nach Einschätzung der Autoren der Studie eine destabilisierende Wirkung auf den Zufluss von Öl aus der Region zu den internationalen Märkten, Saddam Hussein sei bereit, das Öl als Waffe einzusetzen und über sein Exportprogramm die Ölmärkte zu manipulieren. Das Andauern von Sanktionen führt immer weiter zu Restriktionen im Zufluß von Öl auf den Markt. »Die USA sollten eine Revision ihrer Politik gegenüber dem Irak durchführen, einschließlich militärischer, Energie betreffender, ökonomischer und politisch/diplomatischer Einschätzungen.«

Ausgangslage eines Irak-Krieges

Im Krieg von 1990/91 konnte durch die freien kurzfristig aktivierbaren Förderkapazitäten der Weltölproduktion der Ausfall des kuweitischen und irakischen Öls ausgeglichen werden. Der Preis stieg schon vor dem Krieg auf mehr als 40 Dollar und erreichte einen Monat nach dem Krieg ein normales Level.

Die Ausgangslage ist heute eine andere. Zur Zeit reagieren die Spotmärkte überaus sensibel auf kleinste Störungen der Öltransportwege, wie kürzlich eine Tankerhavarie im Bosporus oder Streiks in Nigeria. Die Reduzierung der venezolanischen Ölexporte von 2,4 Mio. Barrel im November 2002 auf 0,35 Mio. Barrel im Januar 2003 wurde zwar durch das Hochfahren der Reservekapazitäten anderer Länder ausgeglichen. Diese Reservekapazitäten entfallen aber für einen Ausgleich von Förderausfällen im Kriegsfall. Vor dem Krieg 1990/91 lagen die ungenutzten Förderkapazitäten bei 7,1 Mio Barrel/Tag, heute höchstens bei 3 Mio. Barrel/Tag. Venezuela steigert seine Produktion zwar wieder, ist aber in absehbarer Zeit nicht in der Lage, die frühere Kapazität zu erreichen. Die Niederdruckölfelder brauchen - auch ohne dass viele Ölarbeiter entlassen wurden - ein bis zwei Monate bis zur Wiederaufnahme der Produktion. Deshalb wird für manche Ölfelder ein dauerhafter, nicht mehr regenerierbarer Verlust von insgesamt 400.000 Barrel/Tag angenommen. Die Lagerbestände der Industrie sind wegen der hohen Preise reduziert, die strategischen Reserven der OECD-Länder sind seit November auch zurückgegangen. Und zunehmend werden auch die Angaben der OPEC über ihre freien Förderkapazitäten an den Ölbörsen in Frage gestellt.

Der Krieg gegen den Irak steckt in einer Zwickmühle: einerseits soll mit der Besetzung des Iraks die langfristige Kontrolle der Ölmärkte erreicht werden, andererseits könnte der Krieg eben diese Kontrolle vollends zunichte machen - nicht nur wegen der schon eingeplanten Unterbrechung der Produktion im Irak, sondern wegen der Gefahr, dass der Krieg in anderen Ölförderländern zu sozialen Unruhen und politischen Erschütterungen führen könnte.


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