Wildcat-Zirkular Nr. 16 - Juni 1995 - S. 34 [z16hausb.htm]


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HausbesetzerInnenkongreß vom 12. bis 14. Mai in Leipzig

Es waren etwa 150 bis 200 Leute, die an der Auftaktveranstaltung und den Arbeitsgruppen teilnahmen. Die kamen aus 20 bis 25 Städten in der BRD, Schweiz, Niederlande und Dänemark (u.a. Leipzig, Potsdam, Freiberg (Sach.), Berlin (ost und west), Hamburg, Frankfurt, Düsseldorf, Bielefeld, Oberhausen, Düsseldorf, Rotterdam, Amsterdam, Bern, Oldenburg, Bremen, Rüsselsheim, ... Dabei stellten die westdeutschen Städte ca. 60 bis 70 Prozent, die ostdeutschen vielleicht 20 bis 30, die anderen 10 Prozent.

Am Freitagabend beim Eröffnungsplenum gab es zwei Referate. Wir waren vorher gefragt worden, ob wir unser Referat nicht schon auf dem Eröffnungsplenum vortragen wollten. Eigentlich hatten wir vorgesehen, dies in einer Arbeitsgruppe zu halten - mit Leuten, die schon eher mit unserem Ansatz was anfangen könnten. So schienen wir lange Zeit sogar das einzige Referat halten zu müssen und konnten die VeranstalterInnen erst kurz vor dem Kongreß überzeugen, noch selbst eins zu vorzubereiten. Das wurde dann von einer Person formuliert und vorgetragen. Er beschrieb darin die verschiedenen Ansätze von Hausbesetzungen in der West-BRD seit den frühen 70ern (Spontis in Frankfurt, Proletarische Front in Hamburg, Autonome in Berlin usw.). Dabei strich er die Grenzen der Bewegungen heraus: keine Ausweitung der Kämpfe, Gettoisierung, Nischenpolitik. Seiner Meinung nach übernahmen Teile der HausbesetzerInnenbewegung in der Ost-BRD ab 1990 nur den Mythos der West-Bewegung und stülpten sie den Hausbesetzungen im Osten über (Militanz, Ausrichtung gegen den Staat(Bullen, usw.) Dabei übersahen sie die Unterschiede: im Osten fanden die Hausbesetzungen Anfang der 90er in einer Zeit statt, in der der Staat diesen erst einmal relativ offen gegenüber stand. Es gab keinen konsequenten, staatlich gesteuerten Angriff. Dagegen standen die Häuser im Mittelpunkt von Faschoangriffen und mußten sich dagegen wehren. Dann brach das Referat relativ abrupt ab und versuchte sich an Positionen von uns abzuarbeiten (wir hatten ihm vorher eine Kopie unseres Referates gegeben). Dabei schälten sich folgende Thesen heraus:

Offensichtlich ging es ihm darum, die Perspektive Klassenkampf infrage zu stellen. Dabei zog er sich dann auf die Argumentation von der »integrierten Metropolenklasse« und ihrem »Rassismus/Nationalismus« zurück. Da er vorher schon die bisherigen Erfahrungen mit Hausbesetzungen kritisch analysiert hatte und zum Schluß gekommen waren, daß dabei wenig herausgekommen ist, blieb am Ende die Perspektive offen. Als Vorschlag stand dann nur noch die Sicherung der Häuser auch über taktische Bündnisse mit der »Kiezbevölkerung« im Raum.

Danach hielten wir dann unser Referat. (Siehe unten im Wortlaut) Bei diesem ging es vor allem darum, ausgehend von den Erfahrungen mit Hausbesetzungen in den letzten Jahrzehnten, die richtigen Fragen zu formulieren. Wir konnten nicht erwarten, daß bei dem Kongreß antikapitalistische Perspektiven und Revolution überhaupt diskutiert würden. Die Thesen zu Hausbesetzungen sollten also deren begrenzte Perspektive deutlich machen und eine Diskussion über gesellschaftliche Veränderung einleiten.

Am Samstag ging es dann in die Arbeitsgruppen. Zwei davon seien kurz beschrieben: (von fünf; die anderen waren: Rechtliche Möglichkeiten und Grenzen (Verträge, Genossenschaften usw.), BesetzerInnenräte, Projekt O (so ein anarchistisches Nischenprojekt wie Projekt A im Westen, dies hier im Osten))

1. In der Arbeitsgruppe »Öffentlichkeitsarbeit und Kiezpolitik« (erst ca. 40, später 60 Leute) ergab sich sofort eine Auseinandersetzung darüber, was denn überhaupt »Kiez« sei, der Stadtteil in dem die Häuser sind oder die alternativen Strukturen. Dabei ergaben sich drei Positionen:

  1. Den einen ging es in erster Linie um ihr Haus als Treffpunkt für die Szene, als Raum, den sie erstmal sichern und verteidigen müssen. Dabei spielten die anderen BewohnerInnen im Stadtteil nur eine Rolle als potentielle UnterstützerInnen.
  2. Andere betonten immer wieder die Beziehung von der »Kiezbevölkerung« zu ihrem Haus. Sie wollten eine Auseinandersetzung auch mit den Problemen anderer BewohnerInnen. Es ging ihnen immer wieder darum, wie ihr Haus Treffpunkt für andere Leute wird (über Kneipe oder Jugendraum), wie sie dadurch akzeptiert werden usw. Das blieb dann aber bei dieser Fragestellung stehen: wie komme ich mit den BewohnerInnen zusammen?
  3. Eine dritte Gruppe stellte sich die Frage, was aus den Hausbesetzungen der letzten Jahre herausgekommen ist. Dabei gab es Beiträge aus Leipzig, Frankfurt und Berlin, in denen betont wurde, daß sie keine Perspektive gesellschaftlicher Veränderung eröffnet hätten, sondern lediglich eine kleine Struktur von Häusern, Alternativläden usw. übrig geblieben wäre - die zudem politisch noch fragwürdig wäre (Nische, ...) Wir schafften es aber nicht, an diesem Punkt konkreter zu werden und genauer über Erfahrungen mit anderen Versuchen zu reden (Flüchtlingsinitiativen, ArbeiterInnenkampf ...)

Es wurde dann beschlossen, die Arbeitsgruppe zu teilen: ein Teil wollte weiter über Hausbesetzungen und Öffentlichkeitsarbeit diskutieren, die anderen über Perspektiven (von Hausbesetzungen oder des Kampfes insgesamt blieb erstmal unklar).

In Diskussion in der zweiten Gruppe blieben unterschiedliche Positionen nebeneinander stehen, wurden allenfalls klarer formuliert. Es ergaben sich drei Vorschläge, die an Beispielen erläutert wurden:

  1. Eine Gruppe aus Düsseldorf hat erkannt, daß die bisherige autonome Kampagnenpoltik in die Sackgasse führt. Sie haben versucht, mit StudentInnen ein Haus zu besetzen (ehemalige Alliiertenwohnungen), was lediglich dazu führte, daß die Häuser nun von der Stadt zwar nicht verkauft, aber zu Sozialwohnungen umgebaut werden. Es geht ihnen nun darum, neue Perspektiven des Kampfes zu diskutieren und dabei aus dem Ghetto auszubrechen. Das setzt aber voraus, daß erst einmal die Gruppe einen gewissen Informationsstand erreicht. Deswegen lesen sie gerade viel (leider habe ich nicht nachgefragt, was) und versuchen, in Diskussionen darüber gemeinsam Standpunkte zu erarbeiten. Erst wenn sie genau wüßten, wo es lang geht, könnten sie dann anderen Leuten auch was vermitteln.
  2. Ein Vertreter von Projekt A, von einer anarchistischen Kollektive in Oldenburg, die Regale herstellen, schlug die Thematisierung des »Ökonomischen« vor. Wichtig wäre doch, andere Formen von Arbeit zu etablieren und damit zu beweisen, was »anders« machbar sei (sorry, ich führe den Standpunkt hier nicht weiter aus; Anarchokapitalismus pur).
  3. Wir erläuterten dann den Ansatz der BauarbeiterInneninitiative in Berlin als Versuch, sich auf ArbeiterInnenkämpfe zu beziehen, deren Erfahrungen zu diskutieren, den Informationsfluß zu anderen ArbeiterInnen zu organisieren usw. (vergleiche diverse Artikel in den letzten Nummern des Zirkulars und in der Wildcat 64/65).

Einige vertraten nun den Standpunkt, daß es doch einfach mehrere Wege gäbe, und wir das nicht so gegeneinander diskutieren sollten. Wir stellten aber klar, daß sich die Vorschläge an entscheidenden Punkten widersprächen, insbesondere da, wo »wir«, die »Szene« zum Ausgangspunkt genommen wird oder Nischenstrukturen etabliert werden, und nicht versucht wird, gemeinsam mit »anderen« ArbeiterInnen die eigenen Lebensbedingungen zu thematisieren und Kämpfe zu entwickeln. Das setzt nämlich voraus, daß mensch die kapitalistische Realität in der Stadt untersucht, um rauszufinden, wo Kämpfe stattfinden.

Hier zeigte sich dann eine der größten Schwächen der Diskussionen: es wurde kaum historisch analysiert oder auf Erfahrungen eingegangen. Da begründet zum Beispiel eine Frau aus Frankfurt, warum sie kein Haus besetzen wollen, weil das keine Perspektive hätte, und kurz danach sagt irgendwer wieder, ja wir wollen ein Haus besetzen und dann passiert das und das, ohne daß er mit einem Satz auf die vorherige Schilderung eingeht.

2. In der Arbeitsgruppe »Verweigerungshaltung und Freiraumkultur« versammelten sich etwa 60 Leute. Leider haben wir versäumt eine Vorstellungsrunde zu machen, ich weiß also nicht, woher die Leute im einzelnen kamen. Vorgestellt haben sich Leute aus Hamburg, Frankfurt a.M., Leipzig, Bern, Berlin (Ost und West). Zu Beginn wurden zwei kurze Referate aus dem Reader vorgelesen. In dem einen unterscheidet die Autorin (sie war leider nicht anwesend) zwei Ebenen von »Verweigerung und Freiraum«. Die eine Ebene ist der Kampf um billigen Wohnraum, soziale Experimente (Wohnen in großen Gruppen) und alternative Infrastruktur. Sie bezeichnet diesen Kampf als einen Prozeß der Gettoisierung, in dem gesellschaftliche Strukturen reproduziert und ökonomische Projekt kommerziell werden und mit Selbstausbeutung oder Ausbeutung anderer einhergehen. Gleichzeitig erkennt sie eine andere Ebene, die der »Funktion kontrollierbarer Nischen«, die vom Staat geduldet und sogar unterstützt werden. Am Ende steht die Frage, Rückzug in die Nischen oder Politik an den gesellschaftlichen Realitäten?

Das andere Referat dreht sich um den Begriff Subkultur. Es kritisiert, daß Subkultur immer nur eine zeitlang Verweigerung ausdrückt, dann aber schnell in den Mainstream abgleitet. Der Autor entwickelt einen »neuen Begriff von Verweigerung und Freiraum«, der mit einer »theoretisch fundierten Motivation parallel zur Verteidigung des (besetzten) Hauses« entwickelt werden muß. Eine wirkliche Verweigerung schließt jegliche Zusammenarbeit mit anderen Kräften aus. Jeder Versuch mit anderen Menschen zusammenzukommen, die sich dieser Verweigerung nicht anschließen, sei ein »falscher Kompromiß«.

Mir fällt es schwer die Diskussion nachzuzeichnen. Tatsächlich gab es keinen roten Faden. Meistens wurde sich gar nicht aufeinander bezogen und solange Gesagtes antirassistisch (oder zumindest nicht rassistisch) war, konnte mensch alles äußern, ohne irgendetwas befürchten zu müssen (z.B. eine heftigere Diskussion). Die Positionen standen einträchtig nebeneinander, obwohl sie sich eigentlich völlig widersprachen. Die meisten Kontroversen gab es in den Fragen »Bezug auf die Anderen« und »Konstruktivität/Destruktivität«.

Zur Frage »der Anderen« gab es zwei Pole:

  1. Bezug auf die Kämpfe, die in Betrieben, Stadtteilen, Flüchtlingsheimen stattfinden und der Versuch mit ArbeiterInnen in Kontakt zukommen, um gemeinsam eine revolutionäre Perspektive zu entwickeln;
  2. der andere Pol ging von einem »rassistischen Konsens« aus, der latent in der »deutschen Bevölkerung« vorhanden ist und jegliche Zusammenarbeit verhindert. Gegen den gilt es mit der gesammelten Kraft der Verweigerung und von Destruktivität geladener Subkultur antirassistische, antideutsche und antinationalistische Stätten zu errichten.

Verrückterweise konnten sich die meisten keinem der beiden Pole anschließen (»es gibt ja viele Wahrheiten«). Ich muß aber feststellen, das die antinationale Position heftig kritisiert wurde, obwohl viele mit dem Begriff »rassistischer Konsens« jonglierten. Die Position ging den meisten allerdings zuweit. Nicht nur Leute aus dem alternativen Spektrum konnten nichts mit der »Destruktivität« anfangen. Es gab noch eine längere Diskussion um Subkultur, wobei es mal um Schwulenkultur, mal um Techno ging, letztendlich aber nichts größer raus kam, außer daß wir die Szene (Techno?) mit »linken Inhalten« besetzen sollten. Nach einem weiteren vergeblichen Versuch den Begriff »rassistischer Konsens« zu klären und nachdem auch noch Angela Marquardt (PDS-Vizechefin) das Wort ergriff, habe ich die AG verlassen.

Auch wenn nichts inhaltlich Produktives am Ende rauskam, fand ich es gut, mitdiskutiert zu haben. Wir haben wieder ein paar Leute kennengelernt, mit denen es weiterhin Diskussionen geben wird und durch unsere Beiträge blieben wenigstens einige Begriffe nicht so einfach im Raum stehen. Das Abschlußplenum war etwas ungünstig gelegt (morgens vor der Demo), sodaß nur etwa 50 Leute da waren. Die VeranstalterInnen hatten kein gemeinsames Abschlußdokument hinbekommen, da die Protokolle aus den Arbeitsgruppen unvollständig waren und die Diskussionen in erster Linie nur die unterschiedlichen Positionen deutlicher gemacht hatten. Die wurden nochmal kurz referiert. Insgesamt wurde festgestellt, daß es eben keinen Konsens geben konnte, daß es gut war, die unterschiedliche Standpunkte nochmal gegeneinander zu diskutieren. Das Diskussionsklima sei recht angenehm gewesen, weil es - anders als beim Autonomie-Kongreß - keine moralischen Ausgrenzungsversuche gegeben hätte, sondern tatsächlich über Standpunkte diskutiert wurde. Um nochmal besonders deutlich zu machen, wie das ausgesehen haben könnte, gab es dann einen kurzen, aber blöden Austausch über »Rassisten« und »Sexisten« und wie mensch sich »denen« gegenüber verhält. Das wurde aber wegen offensichtlicher Oberflächlichkeit sofort abgebrochen. Dann gab es noch eine Latschdemo mit 1000 Leuten (ohne formulierten Redebeitrag!).


Referat BesetzerInnenkongreß:

Was hat Häuserkampf mit Revolution zu tun?

Einleitung

Ich komme aus einem Zusammenhang von Leuten, die sich um die Zeitung Wildcat organisieren. Eigentlich sollte das hier in einer Arbeitsgruppe erzählt werden, doch wegen des Mangels an anderen Referaten hat die Vorbereitungsgruppe mich gebeten, das Referat hier in diesem Rahmen zu halten.

Das ist jetzt kein Versuch, hier irgendeinen Konsens aus der Vorbereitungsgruppe oder eine offizielle Stellungnahme der BesetzerInnen zu formulieren, sondern eine kritische Betrachtung der Erfahrungen mit Häuserkampf in den letzten beiden Jahrzehnten. Es ist der Versuch zu kapieren, was sozial und politisch in den Bewegungen passiert. Orientierungspunkt ist dabei, inwieweit Hausbesetzungen Perspektiven gesellschaftlicher Veränderung und der Abschaffung des Kapitalismus bilden. Oder so formuliert: Was hat der Häuserkampf mit Revolution zu tun?

Diese Auseinandersetzung kann in einem kurzen Vortrag nur vereinfacht und zugespitzt gelingen. Ziel der folgenden Ausführungen ist vor allem, eine Diskussion zu provozieren, an deren Ende sich Perspektiven für die folgenden Kämpfe eröffnen. Die folgende Kritik kommt gleichzeitig von innen und außen: von Leuten, die an verschiedenen Häuserbewegungen teilgenommen haben, aber eine kritische Position zu den Strategien und Strukturen des Häuserkampfes hatten.

Wichtig noch zu erwähnen, daß die folgenden Ausführungen auf einem Westblick beruhen, daß dabei vor allem die politische Erfahrungen der West-»Linken« bzw. autonomen Häuserszene einfließen.

Die Fragen und Thesen sind allgemein gehalten, damit dieser Vortrag auch zeitlich im Rahmen bleibt. Für Beispiele und Konkretisierung haben wir dann Zeit in der Diskussion bzw. den Arbeitsgruppen morgen.

I. Unter welchen Bedingungen entstehen BesetzerInnenbewegungen?
Welche Ziele formulieren BesetzerInnenbewegungen?

1. Frage: Unter welchen Bedingungen entstehen BesetzerInnenbewegungen?

BesetzerInnenbewegungen entstehen und entwickeln sich immer im Zusammenhang mit anderen Bewegungen. Sie setzen an schon vorhandenen Aktionen und Kämpfen an - Schwarzwohnen, Mietpreisminderungen usw. Oft sind Aktionen von Mieterinitiativen Auslöser für Hausbesetzungen und Häuserkampf. Sie stehen aber auch im Zusammenhang mit anderen sozialen Kämpfen und Bewegungen (Anti-AKW, Anti-Kriegsbewegung, Kämpfe gegen Fahrpreiserhöhungen usw.)

BesetzerInnenbewegungen sind also nicht losgelöste, völlig eigenständige Bewegungen, sondern entwickeln sich immer parallel und im Austausch mit anderen Kämpfen. Sie radikalisieren bestehende Kampfformen, versuchen die individuellen Aktionen (Schwarzwohnen jedeR für sich) auf eine kollektiven Ebene (gemeinsame und öffentliche Besetzungsaktionen) zu bringen.

Mit den beiden Bezugspunkten der BesetzerInnenbewegungen, gegen Wohnungsnot, Mieten usw. auf der einen Seite und im Austausch mit anderen Kämpfen und Bewegungen andererseits, ergibt sich schon die entscheidende Spaltungslinie innerhalb der BesetzerInnenbewegungen: Geht es nur um Miete und Wohnen oder um weitergehende gesellschaftliche Perspektiven?

2. Frage: Welche Ziele formulieren BesetzerInnenbewegungen?

a) Am Punkt der Häuser- und Wohnungsproblematik besteht anfangs anscheinend Einigkeit. Die Forderungen der BesetzerInnenbewegungen heißen

b) Dazu formulieren Teile der Bewegung Forderungen, die sich auf andere Kämpfe bezogen (z.B. anti-imperialistische, Stichwort: Befreiungsbewegungen, bewaffneter Kampf). Sie wollten die Häuser auch als Stützpunkte für diese anderen Kämpfe (z.B. Anti-AKW-, Anti-Kriegsbewegung, usw.; u.a. als Infoläden).

Die Bewegungen spalten sich dann an der Frage der richtigen Strategie zur Erhaltung der Häuser und zur Erreichung weitergehender politischer Ziele. Ein Teil der Bewegung radikalisierte sich meist im Zusammenhang mit Repression durch Stadtverwaltung, Justiz und Bullen. Dieser Teil entwickelte dann militantere Formen der Auseinandersetzung. Andere suchten die Anbindung an staatliche Vermittlungsorgane. So ergaben sich Auseinandersetzungen über Fragen wie:

II. Welche Konzepte von Kampf und Veränderung haben die BesetzerInnen?
Welche sozialen Beziehungen und Motivationen liegen den Zielen der BesetzerInnen zugrunde?

1. Frage: Was für ein Konzept von Kampf und Veränderung liegt den Hausbesetzungen zugrunde?

Die meisten HausbesetzerInnen vertreten ein Kampfkonzept, das sich zunächst mal nur um die eigene Person dreht: keine Stellvertreterkämpfe, nicht für andere soziale Gruppen, alle kämpfen für sich, es gibt keine Ideologie ...

Andere bezogen sich vor allem auf Kämpfe im Trikont, also der sogenannten 3. Welt, Befreiungsbewegungen, Imperialismus ...

Beide engen ihren politischen Bezugsrahmen ein, im ersten Fall auf die eigenen Bedürfnisse und Perspektiven, im zweiten Fall auf ein konstruiertes Subjekt - die BefreiungskämpferIn im »armen Land«. Beide grenzen andere Realitäten in ihrer direkten Umgebung aus. Sie beziehen sich kaum auf andere gesellschaftliche Kämpfe und Organisierungsversuche hier in diesem Land. Der Häuserkampf (oder die anderen autonomen Kämpfe) erscheint als zentrale Auseinandersetzung.

Der Bezug auf die eigene Subjektivität, also die eigene Person, und das Suchen nach Identifikationsmodellen in der Ferne hat Ursachen in der Geschichte der Kämpfe Anfang der 70er:

Für die Radikalen und Militanten hieß der Weg nun Aussteigen, Verweigerung, Abkehr von gesellschaftlichen Ansätzen. Wenn noch ein gesellschaftlicher Bezug hergestellt wurde, wollte mensch was »Vorleben«, »Freiräume« schaffen usw.. So schufen sie sich eine neue »Identität« als HausbesetzerInnen, Autonome, usw. ... Der Bezug zu anderen Bewegungen, z.B. MieterInnenbewegung, ging verloren.

Diese Schaffung einer eigenen Identität als »Szene«, Autonome, Streetfighter, Avantgarde hat Folgen: Unterschiede und Gegensätze zum Großteil der Klasse der ArbeiterInnen werden herausgestellt (Bürger, Spießer ...), anstatt sich an Gemeinsamkeiten und vereinheitlichenden Forderungen zu orientieren. Oft werden nicht mal Erfahrungen anderer Häuserkämpfe aufgearbeitet (BRD, Italien, England ...)

Anmerkung: Zum Begriff von ArbeiterInnen und Klassenkampf. Das benutze ich nicht im marxistisch-leninistischen Sinne. Wenn ich hier von »ArbeiterInnen« spreche, meine ich damit alle diejenigen, die gezwungen werden, ihre Arbeitskraft zu verkaufen. Dazu gehören auch diejenigen, die gerade arbeitslos sind oder vom Sozi leben und auch die, die Hausarbeit machen. Wenn ich von Klasse oder Klassenkampf rede, dann soll das nicht heißen, daß es eine einheitliche Klasse der ArbeiterInnen gäbe, die alle an einem Strang ziehen, um sofort den Kapitalismus abzuschaffen. Die Klasse setzt sich vielmehr aus vielen verschiedenen Gruppen zusammen - je nach Position im Produktionsprozeß, Geschlecht, Herkunft, Alter - die alle mehr oder weniger und oft auf verschiedene Art und Weise für ihre Interessen kämpfen. Dabei wenden sich Teile der Klasse auch gegen andere Teile - Stichworte: Entsolidarisierung, Rassismus, Sexismus. Doch verbindet diese verschiedenen Teile der Klasse, daß sich in vielen Kämpfen Ansätze für eine Perspektive finden, die über die Maloche und Ausbeutung hinausgeht, Ansätze, bei denen Solidarität und der Wunsch nach Befreiung durchscheint und sich in Aktionen ausdrückt.

Zurück zu den HausbesetzerInnen: Organisierung sehen die meisten immer in bezug auf die Organisierung der eigenen Strukturen und nicht im Verhältnis zur Klasse. Die Militanz, die Revolte bleibt so sozial isoliert. EinE autonomeR HausbesetzerIn will ja auch nichts von den anderen ArbeiterInnen. Und wenn, dann wird der Bezug auf die anderen ArbeiterInnen nur hergestellt, wenn mensch Unterstützung für die Häuser wollte oder in der Form von »Öffentlichkeitsarbeit«, bei der mensch den anderen mal erklärt, wie das alles funktioniert und wo der Feind steht. Die Bedingungen der anderen (hohe Mieten, Leben in den Hochhaussiedlungen, ...) interessieren die BesetzerInnen oft gar nicht. Gleichzeitig forderten sie aber, daß sich alle am Häuserkampf beteiligen sollten.

Dabei entwickelt sich die Lebensweise in den Häusern von vorne herein anders als die anderer ArbeiterInnen. Nur ein begrenzter Kreis von Leuten kann überhaupt besetzen:

Insgesamt ist Besetzung kein Konzept, daß mensch auf alle ArbeiterInnen übertragen kann (oder einfordern). Genau das ist aber die Perspektive vieler BesetzerInnen, die sich in den Mittelpunkt stellen und andere gesellschaftliche Realitäten gar nicht wahrnehmen oder einfach mit moralischen Kategorien abtun (Spießer, Rassisten ...). Um das klarzustellen: Kritik an proletarischen Lebensformen wie Kleinfamilie ist notwendig, aber als konstruktive Auseinandersetzung mit den Realitäten, in denen diese Lebensweisen existieren, nicht als Abgrenzung und moralische Verurteilung.

2. Frage: Welche sozialen Beziehungen und Motivationen liegen den Zielen der BesetzerInnen zugrunde?

Innerhalb der Bewegungen gibt es aber sehr unterschiedliche Positionen. Bei der Bestimmung der sozialen und politischen Interessen der BesetzerInnen kann mensch grob drei Orientierungen ausmachen. Wichtig zu sagen, daß dies keine voneinander isolierten Gruppen darstellen, sondern sich oft Positionen überschneiden oder sogar einzelne Leute Teile der jeweiligen Meinungen vertreten und irgendwie für sich vereinbaren können: die alternative, die subkulturelle und die militante Position.

1) die alternative Position,
bei der es erstmal nur um billige Wohnungen geht, und die Bereitschaft besteht, diese auch zu modernisieren. Die Position ist reformistisch, orientiert sich oft an parlamentarischen Konzepten (z.B. Grüne, PDS). Es geht kaum um gesellschaftliche Perspektiven oder gar Befreiung. Die Alternativen wollen legalisieren. Sie sind es, die die Freiräume in den Häusern nutzten, um sich als Alternativunternehmer zu etablieren, oder Sozialprojekte aufzubauen, wo sogenannte gesellschaftliche Randgruppen betreut werden usw. Sie neigen dazu, die erreichten Strukturen - koste es was es wolle - zu erhalten. Sie sind es, die Angst haben, daß die Fortsetzung der Revolte zu mehr Repression und zum Verlust des Erreichten führt. Sie sind es auch, die Ansprechpartner für die Stadt und die Bullen sind, wenn es um die Integration und Befriedung der Revolte geht.

2) die subkulturelle Position,
als Versuch, sich dem Arbeitszwang zu entziehen und möglichst vom Sozialstaat oder vom Klauen zu leben. Es geht um schnellen und heftigen Spaß (Punk, Techno) und Räume dafür; Perspektiven der Häuser oder des Häuserkampfes interessieren wenig, wenn dann nur als diffuse Revolte; den Subkulturellen geht alles ziemlich am Arsch vorbei. Für einige wird nach der Revolte Schule, Arbeit, Familie, Karriere wieder wichtiger. Andere beschränken sich weiter auf das Ausleben von Subkultur. Das gleitet dann oft in Männerbündelei, Rücksichtslosigkeit, Drogenrausch aus und geht den anderen BesetzerInnen wie anderen Leuten im Stadtviertel tierisch auf die Nerven.

3) die militante Position,
formuliert politische Ziele (Häuserkampf, gegen den Staat, Anti-Imperialismus war Anfang der 80er modern, heute geht es um Anti-Rassismus und Anti-Nationalismus, zwischendurch wird auch mal der Kampf gegen das Patriarchat zum ersten Ziel). Ablehnung der reformistischen alternativen Position, aber auch der unpolitischen subkulturellen Position; die Militanten wollen weiter kämpfen. Sie schaffen es nicht, den Kampf auch in andere gesellschaftliche Bereiche zu tragen. Dabei spielt eine Rolle, daß einige von ihnen sich in das alternative Spektrum treiben lassen, auch auf Karriere setzen, oder sich in Auseinandersetzungen um die richtige politische Linie aufreiben. Die Militanten verwechseln zudem oft Revolte und Revolution und meinen, daß Riots und Randale an sich schon revolutionär seien. Aber mit der Drohung mit Gewalt und Sachbeschädigung bei Räumung kann der Erhalt der besetzten Häuser letztendlich nicht durchgesetzt werden. Der Konflikt ist an diesem Punkt, ohne andere Kämpfe und Bewegungen von ArbeiterInnen, auf der militärischen Ebene nicht zu gewinnen.

Versuche der Vereinheitlichung scheitern meistens, weil die Bedürfnisse zu unterschiedlich sind. Insbesondere an der Frage von Legalisierung und Repression spalten sich die Bewegungen meist endgültig.

Natürlich gibt es hier auch einen Zusammenhang mit der sozialen Herkunft und Quelle der Einkommen der einzelnen BesetzerInnenfraktionen. Bewegungen hängen immer von ihrem sozialen Charakter und der Interessenlage der Bewegten ab: SozialarbeiterInnen, Gelegenheits- und SchwarzarbeiterInnen, SozialhilfeempfängerInnen, Alternativunternehmer ... Die haben eben nicht alle dieselben Interessen. Aber auch Altersunterschiede, also die Spaltung zwischen Jugendlichen und Älteren, oder die Tatsache, ob Leute Kinder haben, spielt hier eine Rolle. Die Älteren reden dann den Jungen die Revolte aus (Bringt ja eh nix, haben wir schon hinter uns), die Etablierten wollen keine neuen Besetzungen, weil diese ihre Projekte gefährden könnten und setzen auf deeskalieren, die Leute mit gutbezahlten Jobs geben den Kampf auf, weil es ihnen ja nun besser geht und sie sich die nette Zwei-Zimmer-Wohnung leisten können und ihnen da dann niemand Spießertum vorwirft. Die Brüche und Spaltungen entwickeln sich mit der Bewegung, verschärfen sich, stellen den gemeinsamen Kampf um die Häuser infrage.

Die Konflikte in den Häuser nehmen zu, wobei die Konfliktlinien - was ja kaum überraschend ist - genauso verlaufen, wie bei den anderen ArbeiterInnen: unterschiedliche Einkommensquellen, Herkunft, Geschlecht, Bildung, Alter... Was kommt am Schluß heraus:

Die Militanten können die Spaltung (zu den Alternativen) nicht produktiv vorantreiben. Das Fehlen einer revolutionären Perspektive und weitertreibende Kampfvorschläge machten es dann den Alternativen leicht, die weiteren Diskussionen zu bestimmen. Was von den radikalen Bewegungen übrig bleibt, sind meist nur Alternativprojekte und linke Sozialprojekte sowie Selbsthilfeprogramme für ehemalige HausbesetzerInnen.

III. Welches Interesse haben Staat und Kapital und wie begegnen sie den BesetzerInnenbewegungen?

Staat und Kapital bekämpfen zum einen Hausbesetzungen als Angriff auf das kapitalistische Eigentumsrecht. Aber sie nutzen auch die Chance, Kämpfe und Revolten von Unzufriedenen im Häuserkampf zu kanalisieren. Es geht also nicht immer um die Zerschlagung, sondern um die Eingrenzung der Besetzungen, ihre Integration.

1) Die Strategie des Kapitals zielt zum einen auf die Trennung der Kämpfe von BesetzerInnen und denen anderer MieterInnen/ArbeiterInnen. Kriminalisierung und Repression sollen andere ArbeiterInnen abschrecken und das staatliche Gewaltmonopol nach außen hin absichern. BesetzerInnen sollen zudem aus anderen Kämpfen, vor allem denen in der Produktion/Arbeit, herausgehalten werden. Solidarisierung bzw. Angleichung der Kämpfe von BesetzerInnen und anderen ArbeiterInnen soll verhindert werden.

Staat und Kapital versuchen, die Bewegung z.B. in einem Stadtteil zu konzentrieren (Beispiel: Kreuzberg). Dort dürfen sie sich austoben. Sie lassen zu, daß einzelne Häuser besetzt werden oder Verträge bekommen, weil sie damit rechnen, daß die Kämpfe dann aufhören oder die BesetzerInnen an ihren eigenen Widersprüchen (siehe oben) scheitern. Sie finanzieren die Bewegung über den Sozialstaat (Sozi, ABM usw.), weil die Militanten so aus der Produktion bzw. Arbeit herausgehalten werden. Aus demselben Grund unterstützen sie Sozialprojekte und Alternativbetriebe, wo die BesetzerInnen sich selbstbestimmt ausbeuten sollen oder angeblich sinnvolle Arbeit mit sogenannten sozialen Randgruppen machen.

2) Staat und Kapital versuchen die Spaltung innerhalb der Bewegungen zu verstärken und sie damit zu schwächen. Die Angriffe von Staat und Kapital setzen genau an den Spaltungen und Widersprüchen innerhalb der Bewegung an, die gerade geschildert wurden. Die Bewegungen fallen auch unter dem Druck von Repression und Integrationsangeboten auseinander und lassen sich dann gezwungenermaßen auf miese Mietverträgen ein oder machen gar die Selbsthilfeprogramme mit.

Repression und Integration haben beide das Ziel der Befriedung der Revolte. Staat und Kapital setzen sie flexibel ein, je nachdem, was gerade gesamtgesellschaftlich für sie am funktionalsten ist.

Repression:
Die Repression läuft über gezielte Bullenangriffe, insbesondere auf bestimmte Häuser. Es soll zwischen »guten« und »schlechten« BesetzerInnen unterschieden werden. Gleichzeitig sollen die sogenannten »Linien« - es gab da schon die Berliner, die Leipziger usw. Linie - dafür sorgen, daß nicht noch mehr Häuser besetzt werden. Die Spaltung der BesetzerInnen wird durch das Kapital verschärft, indem es unterschiedliche Verhandlungsangebote macht, Einzelverträge machen will, usw. Medienkampagnen sollen andere ArbeiterInnen gegen die BesetzerInnen aufbringen, sie weiter sozial isolieren. Die Repression funktioniert im Sinne des Kapitals auch insofern, als dadurch die Kräfte der Bewegung auf Verteidigung ausgerichtet werden und andere politische Initiativen in den Hintergrund treten.

Integration:
Die Integrationsversuche laufen auf verschiedene Weise:

(Bemerkung: hier gibt es auch einen entscheidenden Unterschied zu anderen Ländern, in denen der Sozialstaat wesentlich weniger ausgebaut ist und die Nischenfindung für die Militanten nicht im selben Maße möglich ist. Dort ergeben sich mehr gemeinsame Bezugspunkte für Kämpfe von Militanten (wie HausbesetzerInnen) und denen andere ArbeiterInnen (Beispiel: Italien))

IV. Wo liegt eine Perspektive? Was sind die Bedingungen für einen revolutionären Häuserkampf?

Dafür ein paar Schritte zurück. Welches Interesse hat das Kapital, welches wir, die ArbeiterInnen:

1) Kapital
Das Kapital versucht, Produktion (Arbeit) und Reproduktion (Wohnen, usw.) zu bestimmen. Fürs Kapital sind Wohnungen Ware, die sie verkaufen wollen. Das Kapital hat dabei schon unterschiedliche Interessen: Hausbesitzer, Wohnungsbaugesellschaften, Banken, die den Bau von Wohnungen finanzieren usw. Sie versuchen die Verwertungsbedingungen von Wohnungen zu verbessern und möglichst viel Miete aus uns herauszupressen.

Der Staat vertritt in erster Linie Interessen des Kapitals und versucht, Kämpfe der ArbeiterInnen um Wohnungen und Häuser zu verhindern. Er greift deshalb auch an mancher Stelle ein, um »sozial verträgliche« Mieten durchzusetzen und damit Kämpfen von ArbeiterInnen auszuweichen.

Das Interesse des Kapitals beim Wohnungsbau ist:

2) Klasse der ArbeiterInnen:
Für die ArbeiterInnen bedeutet der Zwang, Miete zu zahlen, den Zwang, die Arbeitskraft zu verkaufen, also zu arbeiten. Je höher die Miete, oder je höher der Anteil der Miete am Einkommen, desto mehr müssen wir für eben diese Miete arbeiten. Sonst fliegen wir aus den Wohnungen oder sind gezwungen in ganz miesen Buden zu hausen, die wir noch bezahlen können.

Das Interesse der ArbeiterInnen liegt darin:

Miete ergibt sich aber aus dem Kampfverhältnis von Kapital und ArbeiterInnen. Mietstreiks oder individuelles Zurückhalten der Miete, Besetzungen oder Schwarzwohnen, Widerstand gegen Modernisierung, Abriß, Zwangsräumungen zwingen das Kapital zu Zugeständnissen bei der Miethöhe und in der Wohnungsbaupolitik.

Soweit zum Ausgangspunkt. Bei dem folgenden Vorschlag geht es nicht darum, alle Auseinandersetzungen jetzt auf einen diffusen Begriff von Klassenkampf zu reduzieren und ein einheitliches sogenanntes revolutionäres Subjekt zu konstruieren. Aber wir müssen die Stadt begreifen als Territorium von Ausbeutung und Klassenkampf, dann ergeben sich die verschiedene Perspektiven des Kampfes auch in neuem Licht: Arbeit, Wohnen; Reproduktion, Sexismus; Migration, Rassismus; Organisierung, Kämpfe.

Es bleibt dann die Frage, ob es möglich ist, einen revolutionären/proletarischen Häuserkampf zu führen, ohne daß gleichzeitig Kämpfe auf der Produktionsebene stattfinden und diese untereinander verbunden werden? Das Nichtzusammenwachsen von sozialer Bewegung (Hausbesetzung) und Klassenkämpfen liegt vor allem am Ausbleiben größerer Kämpfe der Klasse.

Dieser Vortrag soll jetzt nicht als Aufruf verstanden werden, das »Ghetto zu sprengen« oder sich als Szene auf die »Klasse zu beziehen«. Ich glaube der Bruch müßte grundsätzlicher sein. Die Identität als Szene, Streetfighter, Autonome, HausbesetzerInnen muß überwunden werden. Eine ganz andere Herangehensweise ist notwendig, die die gesellschaftliche Bezüge - wie leben und kämpfen die ArbeiterInnen - herstellt. Dann könnte der Kampf um Häuser und Wohnungen Teil einer revolutionären Klassenbewegung werden - sofern es diese gibt.

Wichtig ist es, die Auseinandersetzungen um den Wohnungsbau als Ausdruck der Kämpfe der Klasse und der Gegenstrategien des Kapitals zu kapieren. Wer kämpft? Wer wird angegriffen? Wo sollen welche Leute wohnen, wo nicht? Wie und wo wird gerade versucht, sie zu vereinzeln und zu isolieren? Wie können wir uns darauf beziehen? Was können wir beitragen?

Es geht darum, alle Formen des Widerstandes wahrzunehmen und sich darauf zu beziehen. Wichtig ist die Auseinandersetzung mit der Vielzahl von Arbeits- und Wohnsituationen und den unterschiedlichen Kampfformen. Nur so kann das Ghetto überwunden werden. Wir müssen Fragen beantworten wie: Wo liegt der Zusammenhang zwischen dem Streik um höheren Lohn in einem Betrieb, den Aktionen von AsylbewerberInnen um die Auszahlung der Sozialhilfe und dem Kampf von Jugendlichen um ein selbstverwaltetes Jugendzentrum? Wie können wir da Beziehungen herstellen? Welche Kämpfe führen wir selbst? Wie orientieren wir die an der Perspektive gesellschaftlicher Befreiung?


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