Wildcat-Zirkular Nr. 38 - Juli 1997 - S. 56-58 [z38zubon.htm]


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Nachbemerkung

zu »Die Politik des neuesten Trends« von Werner Bonefeld

Werner Bonefeld hat diesen Text für einen Vortrag vor einer Gruppe von linken Ökonomen an der Athener Uni geschrieben. Er wird im Original auf griechisch in der Zeitschrift Axiologika erscheinen.

Ihm ging es dabei darum, die derzeit angesagten »linken« Theorie-Gurus auseinanderzunehmen. Wichtig und gut finden wir daran, daß Werner die ideologischen Muster herausarbeitet, die die verschiedenen gerade angesagten »linken« Theorien mit dem heute herrschenden bürgerlichen Denken teilen.

Sich an die Vordenker der jeweiligen theoretischen Strömungen zu halten, ist sinnvoll, weil die Kritik an ihnen zugleich auch ihre vielen Anhänger und Nachplapperer trifft. In unseren Diskussionen mit Linksradikalen spielen Beck oder Offe explizit keine Rolle (Hirsch schon eher), aber bei diesen »Vätern« finden sich die Ideologien, die uns in Diskussionen oder in linksradikalen »Theoriepapieren« um die Ohren gehauen werden, in Reinkultur. Es kann unsere Kritik nur voranbringen, wenn wir die immer wiederkehrenden ideologischen Versatzstücke nicht immer wieder an jedem einzelnen Text und aus jeden einzelnen Anlaß durchkauen, sondern irgendwann mal wie Werner versuchen, an die Quelle zu gehen und die ganze dahinterstehende Ideologie auseinanderzunehmen.

Jetzt die schlechte Nachricht: Werner spricht hier immer von »der Linken«, der »neuen Linken« oder der »Mainstream-Linken«. Tatsächlich meint er drei prominente Professoren aus der BRD (wie den Lafontaine-Freund Beck, der demnächst offizieller Regierungsberater werden dürfte). Die Konzentration auf die BRD ist dabei nicht so schlimm - Werners Kritik träfe z.B. genauso auf Pierre Bourdieu oder Stuart Hall zu.

Auch die meisten »Linken von der Straße« (ob Grüne, Eurokommunisten oder Autonome) hätten die Kritik in diesem Papier verdient. Was uns aber irritiert, ist, daß sie überhaupt nicht vorkommen - so als bestünde »die Linke« nur aus ein paar Professoren und Regierungsberatern. Und auch mit den »einstigen Anhängern des Marxismus«, die sich dann als »Anhänger der Mode« erwiesen, indem sie lieber »wertfreie akademische Forschung« betrieben, sind nur Akademiker gemeint. Dabei hat es Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre eine weltweite revolutionäre Klassenbewegung gegeben, diese kommt aber nicht vor.

Aber auch politisch bastelt er sich als positive Folie eine Ideallinke der 60er Jahre zurecht, die es so nie gegeben hat. Wo war denn damals die »antileninistische Tradition«? Im damals gängigen »Marxismus« dominierten im Gegenteil weltweit verschiedene Ausprägungen des Leninismus: ob im deutschen oder amerikanischen SDS, bei den Black Panthers oder der RAF, ob bei den Trotzkisten, Maoisten oder sogar den Operaisten. »Marxistische« Gruppen wie die Rätekommunisten oder die Situationisten waren Minderheiten. Ob uns oder Werner das »gefällt«, ist tatsächlich nur eine »Geschmacksfrage«.

Überhaupt erkennen wir die »marxistische Tradition« in diesem Text kaum wieder: Waren Engels, Kautsky und Lenin, um nur ein paar zu nennen, nicht auch irgendwie »Marxisten«? Der Arbeits- und Staatsfetisch der meisten kommunistischen Parteien ist nicht bloß eine böswillige Erfindung der bürgerlichen Ideologie, und die Theoretiker dieser Parteien hatten in der Regel mehr als nur »einen flüchtigen Blick auf Marx' Schriften geworfen«. Es hat keinen Sinn, die »marxistische Tradition« von der Kritik auszunehmen und so zu tun, als habe irgendwann in den 70er Jahren plötzlich ein Sündenfall stattgefunden. (Absurd wird diese Beschönigung der Geschichte im übrigen, wenn Werner sich dann selbst auf Horkheimer beruft, der 1968 (!) z.B. schrieb: »Offen zu sagen, die fragwürdige Demokratie sei bei allen Mängeln immer noch besser als die Diktatur, die ein Umsturz heute bewirken müßte, scheint mir jedoch um der Wahrheit willen notwendig zu sein.« und damit den Vietnamkrieg verteidigte.)

So bleibt Werners Kritik abstrakt: Er zeigt nicht, inwiefern diese ganzen modernen Theorien »notwendig falsches Bewußtsein« sind und auch funktionieren! Sie sind ja nicht »nichts« oder völlig abgedreht, sondern können die Realität von einem affirmativen Standpunkt durchaus erklären, so wie Beck, der der Umwelt- und Friedensbewegung erklärt, was sie da tut und warum es gleichzeitig das einzige ist, was sie in einer »Risikogesellschaft« überhaupt tun kann.

Jeder Wissenschaftssoziologe kann bestätigen, daß Wissenschaftler sich an Moden orientieren und reich und berühmt werden wollen. Aber das greift zu kurz, denn es erklärt nicht, warum der »Marxismus« in den 60er Jahren zur Mode geworden ist. Der Versuch, das zu erklären, würde dann wohl doch den Bezug auf die gesellschaftliche Arbeiterklasse notwendig machen: in einer gesellschaftlichen Aufbruchstimmung müssen die bezahlten Intellektuellen eben anders argumentieren - wichtig ist aber, daß sie es auch können. Sie »erfinden« ihre Gedanken ja nicht, sondern recyclen gesellschaftliche Praxis, sie »erklären«, was die Menschen sowieso tun.

Es ist die größte Stärke des Textes, daß er radikal gegen den gesamten heutigen akademischen Marxismus Front macht, aber es zugleich seine größte Schwäche, daß er seine ZuhörerInnen trotz allem nicht ermuntert, sich der wirklichen Welt, der Arbeiterklasse zuzuwenden und nach praktischen Möglichkeiten zu suchen, mit der ganzen Scheiße schlußzumachen, die sich in den im Text kritisierten Ideologien ausdrückt.

B./T.


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