Wildcat-Zirkular Nr. 40/41 - Dezember 1997 - S. 3-4 [z40edito.htm]


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Editorial:

Warum Haifische nicht zu Vegetariern werden...

Seit dem Erscheinen des letzten Zirkulars ist mehr Zeit vergangen als geplant war. Wir hoffen, das liegt nicht daran, daß wir uns zuviel vorgenommen haben.

Mit dem »Debatten-Heft« Nr. 39 wollten wir etwas Bewegung in die Diskussion bringen. Erste Beiträge waren der offene Brief an John Holloway und die Kritik an einigen früheren Artikeln im Zirkular mit einer bestimmten Sichtweise des Klassenkampfs in Asien. Inzwischen haben wir mit den Autoren der kritisierten Artikel zusammengesessen und diskutiert. Die Antwort aus Mannheim-Ludwigshafen findet ihr in diesem Zirkular: Theorie nicht ohne Untersuchung; Untersuchung nicht ohne Praxis! Die Antwort John Holloways ist noch in Arbeit. Die Kritik in unserem offenen Brief hatte sich u.a. auf den Text »Dignity's Revolt« bezogen, den wir nicht übersetzt und veröffentlicht hatten. Um unsere Diskussion nachvollziehbar zu machen, haben wir nun in Absprache mit dem Autor eine Kurzfassung des Textes erstellt: Die Würde und die Zapatistas.

Die Debatte über Globalisierung und Reformismus ist überfällig. Überall begegnen uns Argumente, die mit der »Globalisierung« begründen, weshalb wir unsere Anstrengnungen auf einen reformierten Kapitalismus richten sollenn. Wir haben uns schon vor einiger Zeit viel diskutierte Papiere der Gruppen Blauer Montag und FelS vorgenommen, die sich um eine neue »klassenpolitische« Perspektive bemühen, dabei aber bei der Verteidigung des Sozialstaats landen. Mit der Kritik haben wir uns schwer getan: Wie kritisiert man Gruppen, die einem von ihrer politischen Praxis her recht nahestehen, deren Analysen wir aber nicht so stehenlassen wollen? Wir haben es versucht, sind nicht ganz zufrieden, hoffen aber, daß die Dikussion weitergeht.

Ein ähnliches Anliegen hat Richard Greeman. Er war auf dem letzten, von den Zapatistas initiierten internationalen »Encuentro« in Spanien, das Leute jeden Alters aus unterschiedlichen linken Zusammenhängen angezogen hat, die auf der Suche nach einer neuen internationalen Perspektive sind. Richard Greeman hat noch während seiner Rückkehr nach Paris einen Brief an die TeilnehmerInnen verfaßt, in dem er vor Gefährlichen Abkürzungen warnt - und begründet, warum aus Haifischen keine Vegetarier werden...

Der Druck dieses Heftes mußte um eine Woche verschoben werden, weil wir noch auf den Artikel zum UPS-Streik in den USA warten wollten. Henri Simon holt im Gegensatz zu den Jubelberichten in den meisten (linken) Zeitungen ein bißchen weiter aus in der Geschichte der Klassenauseinandersetzungen in den USA und kritisiert dabei vernichtend die Linken, die immer noch bzw. jetzt nach dem Erfolg der Teamsters wieder glauben, man müsse die Gewerkschaften reformieren, um was Gutes für die Revolution zu tun.

Die Informationen, die wir selbst zum UPS-Streik und zu den UPS-ArbeiterInnen in Europa zusammengetragen haben, widersprechen manchen Angaben im Artikel. Weder Henri Simon noch wir haben den Streik aus nächster Nähe erlebt; uns bleiben nur die Darstellungen auf den Diskussionsbrettern im Internet und in der Presse.

In Einwanderer und das »Bevölkerungsgesetz« zeigt Charles Reeve anhand der Legalisierungspolitik der sozialistischen Regierung in Frankreich, daß der immer restriktivere Umgang mit den eingewanderten ArbeiterInnen die andere Seite der Globalisierungsideologie ist, aber der Staat hier nicht zu weit gehen kann, will er nicht eine unkontrollierbare explosive Situation herbeiführen.

Steve Wright aus Australien, der sich seit Jahren mit dem italienischen Operaismus beschäftigt, zeichnet in seinem Text zum gesellschaftlichen Arbeiter die Karriere dieses wichtigsten Begriffs von Negri nach. Der »gesellschaftliche Arbeiter« war in Italien in den 70er Jahren der Versuch einer Antwort auf die Neuzusammensetzung der Produktionsorganisation und der Kämpfe (siehe Der verlorene Ort des Konflikts von Marco Revelli in Wildcat-Zirkular 36/37). Negri nahm Trontis These von der »gesellschaftlichen Fabrik« wörtlich und betrachtete die ganze Gesellschaft und alles, was alle in ihr tun, als unmittelbaren Teil des kapitalistischen Verwertungsprozesses. Steve Wright zeigt daß Negri mit dem Übergang zu immer allgemeineren und größeren theoretischen Entwürfen jede Untersuchung der konkreten Produktionsverhältnisse und ihrer Widersprüche aufgab - meist, um seine jeweiligen politischen Entscheidungen zu legitimieren: für den bewaffneten Kampf in den 70er Jahren und gegen ihn in den 80er Jahren. Der Text reicht nicht an die neuesten Schriften (Vgl. Die Arbeit des Dionysos oder seine Interpretation des Generalstreiks in Frankreich 1995 - Wildcat-Zirkular 28/29) heran, auch nicht an seine neuesten politischen Äußerungen (Unterstützung von linksreformistischen Forderungen nach staatlichen Arbeitsmarktprogrammen in Frankreich oder seine Forderung nach Amnestie für die politischen Gefangenen in Italien, weil der Bürgerkrieg der 70er Jahre vorbei sei). Er ist ein guter Einstieg in Negris Denkmethode, der gleichzeitig enthüllt, auf wie dünnem Eis sich die kühnen und auch faszinierenden theoretischen Entwürfe bewegen.

Und zu guter letzt aus aktuellem Anlaß ein Flugblatt zum Studentenstreik, das sehr schön aus dem Rahmen fällt...

T.


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