Wildcat-Zirkular Nr. 48/49 - März 1999 - S. 26-40 [z48chome.htm]


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Die Aktionen von Arbeitslosen und Prekären in Frankreich im Winter 1997/98

[Originalfassung französisch]

Die Arbeitslosen- und Prekären-Bewegung im Winter 1997/98 hatte wichtige gesellschaftliche Ursachen, aber sie hat weder viel voran gebracht, noch ist es ihr gelungen, die Klassenverhältnisse wirklich auszuloten. Bei den BasisaktivistInnen der Bewegung waren Ohnmachtsgefühle und Illusionen unentwirrbar miteinander vermischt. Ihre berechtigte Wut, die von vielen verarmten ProletarierInnen geteilt wird, reichte ihnen schon als Anlaß und Rechtfertigung für perspektivlose Aktionen. Dazu kamen ein berechnender Medienrummel und ein großes Echo auf die Aktionen. Vor diesem Hintergrund hat sich eine Handvoll verzweifelter ProletarierInnen in blinde Kämpfe treiben lassen, die weder massenhaft noch intensiv, dafür aber umso mehr symbolisch aufgeladen waren.

Letztlich konnten die Aktionen die große Masse der Arbeitslosen und Prekären und erst recht die ProletarierInnen mit festem Arbeitsplatz nicht für den Kampf interessieren und sie nicht in die Organisierung des Kampfs miteinbeziehen. Bei den Besetzungen der Arbeitsämter, [1] der Büros von ANPE [2] und von EDF-GDF, [3] der Bahnhöfe usw. standen meist wenige AktivistInnen (jeweils zwischen 10 und 30) fast völlig isoliert den ArbeiterInnen und Angestellten gegenüber; und immer haben sich »wohlmeinende« GewerkschafterInnen und Verbandsfunktionäre zwischen die beiden Parteien geschoben und somit jede direkte Begegnung zwischen den Ausgebeuteten verhindert. Natürlich haben die »Arbeitslosenverbände« und die Gewerkschaften zu keinem Zeitpunkt ihre Möglichkeiten genutzt, unter den ProletarierInnen mit »festen« Arbeitsplätzen zu mobilisieren, um sie mit ihren schlechter versorgten KollegInnen zusammenzubringen. Im Gegenteil haben sie die Demos wie üblich als Ersatz für die Einheit der Klasse veranstaltet: vorzugsweise am Samstagnachmittag, zur Hauptparadezeit der Gewerkschaftsapparate und ihrer Mitglieder.

Hinter einigen Aktionen standen die radikalen Flügel der mit der Kanalisierung dieser Kämpfe befaßten Verbände (die Besetzungen der École Normale Supérieur und der Universitäten von Nanterre und Jussieu, die Almosensammlung mit drei Einkaufswagen bei Leclerc in Pantin, das gastronomische Go-In bei La Coupole und Fouquet's). Diese Aktionen waren noch sinnloser, wirrer und überflüssiger: eine billige Darstellung der Bewegung als Spektakel. Sie haben die 68er-Geste als Farce wiederholt, um die weniger disziplinierten und ungeduldigeren Teile der Bewegung zu kanalisieren.

Leider haben weder die einen noch die anderen irgendeine Ahnung vom Terrain des Gegners und von dessen spezifischen Unterdrückungsmaßnahmen. Die Aktionen haben nichts dazu beigetragen, im Kampf klarzumachen, in welchen besonderen Ketten der kapitalistischen Unterdrückung der geschwächteste Teil des Proletariats gefangen ist. Wenn der Kampf sich nicht über den Embryonalzustand hinausentwickelt und nicht aus der Sackgasse herauskommt, in die ihn die Ausrichtung auf Demokratie und Konsens geführt hat, sind die von den AktivistInnen gesammelten Erfahrungen aber völlig umsonst gewesen.

Was da auf die Straße ging, war also eine Parodie des Klassenkampfes, und diese ist natürlich weder der herrschenden Gesellschaftsordnung noch den Überresten des Sozialstaats gefährlich geworden. Und trotzdem lagen die Geier der gleichgeschalteten Öffentlichkeit gar nicht so falsch: Die Hartnäckigkeit, mit der sie über Aktionen berichtet haben, an denen auf ihrem Höhepunkt landesweit nur ein paar tausend Leute direkt beteiligt waren, sagt viel aus über die Angst, daß die Karikatur unvermittelt in eine Tragödie für die herrschenden Klassen umschlagen könnte. Hinter dem geschickt aufgebauten Popanz, es drohe ein Mai 98 der »Ausgeschlossenen« - was unter den erwähnten Umständen sehr unwahrscheinlich war -, war die Sorge der Kapitalisten zu spüren, daß ihnen ihr ganzes durch immer heftigere Krisen und kümmerliche wirtschaftliche Erholungsphasen zersetztes Gesellschaftsgefüge um die Ohren fliegen könnte.

Der Staat benutzt die Arbeitslosenbewegung

Aber die Arbeitslosenbewegung war nicht nur schwach, sondern bot - wie immer, wenn der Zorn der ProletarierInnen sich nicht autonom und radikal ausdrückt - den herrschenden Klassen die Gelegenheit, »im Handgemenge« die Grenzen der Unterdrückung neu festzulegen. Indem die französische Regierung einige Krümel (eine Milliarde Francs) vergab, die auf dem Höhepunkt der Besetzungen als Weihnachts-Sonderprämie verteilt wurden und in Einzelfällen (wenn man einen Antrag auf »Nothilfe« stellt) auch weiter erhältlich sind, konnte sie in einem sensibilisierten gesellschaftlichen Umfeld ihre Gesetze zu Jugendbeschäftigung, Ausgrenzung und zur 35-Stunden-Woche an den Mann bringen. Im folgenden listen wir kurz auf, was dahinter steht und was dabei herauskommen soll.

Die Gesetzentwürfe verfolgen drei Hauptziele:

1) Die negativen Auswirkungen der Jugend- und Langzeit-Arbeitslosigkeit auf den Zusammenhalt der bürgerlichen Gesellschaft sollen gemindert werden. Die hohe Arbeitslosigkeit am Anfang und am Ende des Arbeitslebens (nach der Schule und ab 50 - 55 Jahren) [4] nimmt den einzelnen ProletarierInnen, auf ihre gesamte »aktive« Zeit gerechnet, jede Hoffnung auf Besserung ihrer Verhältnisse. Sie bekommen zunehmend das Gefühl, daß es immer schwieriger wird, in die Reihen der ArbeiterInnen hineinzukommen, und daß am Ende Verarmung und vorzeitige Vertreibung aus eben diesen Reihen auf sie warten. Dieses mittlerweile weit verbreitete Gefühl erschüttert das Vertrauen in die herrschende Produktionsweise und ihren Staat erheblich. Da das sehr unerfreuliche politische Folgen hat (enttäuschte Wähler, Mißtrauen gegenüber den Institutionen, Revolten, Streiks usw.), versuchen viele Regierungen, vor allem diese beiden Arten von Arbeitslosigkeit zu vertuschen, ohne die Zwänge des Arbeitsmarkts außer Kraft zu setzen. Dazu werden verschiedene Maßnahmenpakete aufgelegt. Für die Jugendlichen: Verlängerung der schulischen (Abi für alle) und der schulähnlichen Ausbildungszeit (Praktika aller Arten), Ausweitung von unterqualifizierter »atypischer« Beschäftigung (Zeitverträge, teilweise oder ganz subventionierte Arbeitsplätze, Teilzeit, Saisonarbeit, flexible Arbeitszeit, Wochenendarbeit, bezahlte Praktika usw.), Absenkung der Einstiegslöhne; für die Langzeitarbeitslosen: Teilrente oder Frührente, Langzeitfortbildung, sogenannte gemeinnützige Beschäftigung, vom Staat gesteuerte und finanzierte Vermittlung in »atypische« Beschäftigung, was früher fast ausschließlich den Jugendlichen vorbehalten war. Das soll die Illusion verbreiten, diese Leute seien der Hölle der Arbeitslosigkeit entrissen und hätten als vollständig Ausgebeutete »ihre Würde wiedererlangt«.

2) Die Flexibilität des Arbeitsmarkts soll erhöht und die Kosten der dequalifizierten Arbeit sollen gesenkt werden. Bekanntlich beschweren sich die Unternehmer unentwegt über die zu hohen Kosten der Arbeitskraft und verlangen immer üppigere Haushaltsgeschenke (Besteuerung der Löhne und Steuerentlastung für die Unternehmer). Die Regierungen wiederum bauen ständig Sozialleistungen ab, um deren Forderungen zu befriedigen, während sie den Proletariern gleichzeitig mehr oder weniger große Portionen Ideologie verabreichen, bis sie den Bissen ohne Protest runterschluken. Das war schon immer eine Spezialität der ans Staatsruder gekommenen Linken; und sie ist es noch heute:

Auch wenn die Spezialisten der Prognose-Institute noch nicht beziffert haben, wieviel die Unternehmen durch diese Maßnahmen insgesamt an Kosten für die Arbeitskraft einsparen werden, gehen wir jede Wette ein, daß sie unterm Strich auf jeden Fall gewinnen.

3) Arbeitslose sollen auf Arbeitsplätze gesetzt werden. Dieser Punkt wird oft unterschätzt, ist aber sehr wichtig. Seit der letzten zyklischen Krise in Frankreich Anfang der 90er Jahre stagnieren die Reallöhne - für viele Beschäftigtengruppen sind sie sogar gesunken; die konjunkturelle und die sogenannte technologische Arbeitslosigkeit ist in schwindelerregendem Tempo angewachsen; [6] prekäre Jobs und Schwarzarbeit greifen um sich; [7] die Zeitarbeit mit täglicher, wöchentlicher oder jährlicher Verfügbarkeit (Wochenendarbeit, Überstunden, Saisonarbeit, Nachtarbeit usw.) nimmt zu. All das hat sich stark auf die Moral der Proletarier ausgewirkt und sie deutlich zahmer und resignierter gemacht. Aber trotz allem haben die ArbeiterInnen mit einem festen »traditionellen« (also nicht allzu beschissenen) Arbeitsplatz immer noch das Gefühl, daß der Dschungel vor ihrem eigenen Arbeitsplatz halt macht. Das soll sich ändern: Nun können auch »Arbeitslose« beschäftigt werden.

Die Regierung Jospin hat also gute Chancen bei ihrem ehrgeizigen Plan, die vielen Schwächen dieser Arbeitslosen-Minirevolte auszunutzen, um den Arbeitsmarkt weiter zu flexibilisieren. Und sie hat wie ihr britisches Vorbild gute Aussichten bei dem gefährlichen Kraftakt, die Schranke zwischen Arbeit und Arbeitslosigkeit teilweise niederzureißen. Von nun an kann jeder Arbeitslose als Arbeitsloser beschäftigt werden. Jeder Arbeitslose kann in Zukunft in der Warenproduktion oder in der Reproduktion der herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse (z.B. als Hilfspolizist, als Schulaufsehergehilfe usw.) eingesetzt werden, ohne deshalb ein Deut weniger schutzlos zu sein oder nicht mehr als Pauper gebrandmarkt zu werden. Und jeder regulär Beschäftigte wird genau merken, wie wenig ihn noch vom Arbeitslosen unterscheidet.

Herrschende Ideologien für die Arbeitslosen und Prekären

Die offizielle Szene der gegenwärtigen Bewegungen wird von zwei ideologischen Strömungen monopolisiert: Schematisch gesagt gibt es einerseits den klassisch sozialdemokratischen und stalinistischen Travaillismus [8] und andererseits die christliche Tradition von Solidarismus und Hilfeleistung. Dann gibt es jeweils noch eine extreme Variante: bei den Travaillisten die Trotzkisten mit dem medienwirksamen Christophe Aguiton (Vorstandsmitglied bei France Télécom, bezahlter Funktionär bei SUD und Gründer von AC!), bei den Christen den »lärmenden autonomen Schmarotzer«, verkörpert von Laurent Guilloteau (treuer Negri-Schüler, ehemaliger Cargo-Aktivist, AC!-Vorstandsmitglied, unermüdlicher Initiator von medienwirksamen Aktionen in Paris wie Fakultätsbesetzungen, umsonst Essengehen in den großen Restaurants usw.).

1. Der französische Travaillismus und seine Ausläufer

»Wir sind Kinder einer Gesellschaft, einer Zivilisation, in der die Entfaltung der Persönlichkeit, die Herausbildung des gesellschaftlichen Wesens sich durch die Ausübung eines Berufs vollzieht. (...) Arbeit ist sehr viel mehr als die Arbeit als solche, sie ist ein Engagement, welches die Entstehung des menschlichen Wesens ermöglicht (...) Der erste Reflex des Arbeitslosen ist es, sich zu entsozialisieren. (...) Er schließt sich den 'Aussätzigen' dieser Gesellschaft an (...) Die einzig mögliche Heilung ist die Reintegration in die Gemeinschaft der menschlichen Arbeit, die schöpft, aufbaut, reflektiert, informiert, erfindet (...)« [9] Diese Äußerungen illustrieren perfekt die travaillistische Auffassung von der Lohnarbeit. Keine Spur von Kritik am Wesen der Arbeit, keinerlei Hinweis darauf, wieviel sie zur Entsozialisierung und Individualisierung des Arbeiters beiträgt. Und da Herr Viannet die Lohnarbeit so bewegend preist, gibt es für ihn natürlich auch keine Anerkennung außerhalb der Ketten der Ausbeutung. Und als Verteidiger der Lohnarbeit fordert er natürlich die schnellstmögliche Rückkehr dieser »der Arbeit beraubten« Quasi-Menschen an die Arbeit.

Die Position der »klassischen« Linken (Trotzkisten, »orthodoxe« Stalinisten und Maoisten) ist zwar nuancenreicher und spitzfindiger, deckt sich aber im wesentlichen mit der des hohen Staatsfunktionärs Louis Viannet. Von ihren ideologischen Höhen herab versuchen auch sie in erster Linie, die harte Realität der Lohnarbeit zu verschleiern und die Arbeit »vom anthropologischen Standpunkt aus« in den Vordergrund zu stellen: »Die Arbeit [erscheint] als historischer Prozeß des organischen Austauschs zwischen Natur und menschlicher Gesellschaft, als Umwandlung von Energie, als gegenseitige Verwandlung (...)« [10]

Diese Linken, die in den Arbeitslosenverbänden und bestimmten Gewerkschaften sehr präsent sind, bemühen sich darum, eine Verbindung zur anderen ideologischen Seele in den gegenwärtigen Bewegungen, der solidaristischen, herzustellen. Vor allem verbreiten sie die zu jedem Anlaß passende Parole von der Umverteilung der Arbeit (35, 32, 30, 28 Wochenstunden). Sie sind auch gegen die Durchsetzung eines »Arbeitslosenstatuts« (des bei den radikalen solidaristischen Strömungen so beliebten universellen Mindesteinkommens), weil sie es nach wie vor für eine liberale Lösung [11] halten. Sie sind auch in der ersten Reihe beim Kampf zur Neuformulierung des »Bürgerrechts« [citoyenneté] - der Beteiligung am Leben der Stadt [cité] - durch den Zugang aller zu Arbeit. [12] Die Bewegungen und Organisationen der ProletarierInnen sind nur interessant, insoweit die »Ausgeschlossenen« in die Welt der wirklichen Bürger [citoyens], die Arbeit haben, wiedereingegliedert werden können. Die Bewegungen der Arbeitslosen und Prekären als Vorzimmer zur auf die Lohnarbeit gegründeten demokratischen Republik: dies ist der wirkliche Endzweck, den die Linken und die Stalinisten den Bewegungen der ProletarierInnen zudenken.

Das Verhältnis des Arbeiters zur Maschine, des kollektiven Arbeiters zur Lohnarbeit ist Lichtjahre von diesem republikanischen Gewäsch entfernt. Karl Marx beschrieb das folgendermaßen: »Der Arbeiter fühlt sich daher erst außer der Arbeit bei sich und in der Arbeit außer sich. Zu Hause ist er, wenn er nicht arbeitet, und wenn er arbeitet, ist er nicht zu Haus. Seine Arbeit ist daher nicht freiwillig, sondern gezwungen, Zwangsarbeit. Sie ist daher nicht die Befriedigung eines Bedürfnisses, sondern sie ist nur ein Mittel, um Bedürfnisse außer ihr zu befriedigen. Ihre Fremdheit tritt darin rein hervor, daß, sobald kein physischer oder sonstiger Zwang existiert, die Arbeit als eine Pest geflohen wird. (...) Es kömmt daher zu dem Resultat, daß der Mensch (der Arbeiter) nur mehr in seinen tierischen Funktionen, Essen, Trinken und Zeugen, höchstens noch Wohnung, Schmuck etc., sich als freitätig fühlt und in seinen menschlichen Funktionen nur mehr als Tier. Das Tierische wird das Menschliche und das Menschliche das Tierische.« (Karl Marx: »Ökonomisch-philosophische Manuskripte«, in: MEW, Ergänzungsband, S. 514 f.)

Im Gegensatz zu dem ex-operaistischen Professor Toni Negri, der heute zum Lobsänger des »biopolitischen Unternehmers« geworden ist und ganz modisch ausspinnt, daß »die Arbeit sich durch ihre Fähigkeit, intellektuell, immateriell zu werden, von der Fabrikdisziplin emanzipiert« [13] habe, muß man Marx immerhin bescheinigen, daß seine Überlegungen auch heute noch sehr zutreffend und aktuell sind. Denn wenn es wahr ist, daß der Mensch bei der Arbeit zum Tier wird, wenn sein Verhältnis zur Lohnarbeit ein Zwangsverhältnis ist und ihm unauflösbar äußerlich bleibt, dann ist es dumm oder kriminell, den arbeitslosen Proleten zur Wiederfindung »ihrer Würde« und zur Befreiung von ihrer extremen Not einen Garten Eden der Maloche vorzuschlagen - abgesehen davon, daß Vollbeschäftigung eine Illusion ist und »Arbeit zu haben« absolut noch nicht heißt, genügend Geld zum Überleben zu haben.

2. Die katholische Soziallehre

In der katholischen Soziallehre kommt der Begriff Lohnarbeit nicht vor. Die Arbeit wird in ihrer breitesten und allgemeinsten Dimension als bewußte schöpferische Tätigkeit aufgefaßt und lediglich nach Epochen betrachtet:

»Durch Arbeit muß sich der Mensch sein tägliches Brot besorgen, und nur so kann er beständig zum Fortschritt von Wissenschaft und Technik sowie zur kulturellen und moralischen Hebung der Gesellschaft beitragen, in Lebensgemeinschaft mit seinen Brüdern und Schwestern. Hier geht es um jede Arbeit, die der Mensch verrichtet, unabhängig von ihrer Art und den Umständen; gemeint ist jedes menschliche Tun, das man unter der reichen Vielfalt der Tätigkeiten, deren der Mensch fähig ist und zu denen ihn seine Natur, sein Menschsein, disponiert, als Arbeit anerkennen kann und muß. Nach Gottes Bild und Gleichnis inmitten des sichtbaren Universums geschaffen und dorthingestellt, damit er die Erde sich untertan mache, ist der Mensch daher seit dem Anfang zur Arbeit berufen (Enzyklika Laborem Exercens, Papst Johannes Paul II., 14. September 1981; Hervorhebungen vom Autor).

Wenn auch für die Kirche und ihre Schäflein die Arbeit, wie alles Existierende, von Gott herrührt, so wird sie im Gegensatz zu den travaillistischen Vorstellungen nicht als privilegierter Ort der Bildung der Gesellschaft oder des Individuums vorgestellt. Für die Christen ist Arbeit vor allem ein Tribut, den der Mensch notwendigerweise bezahlen muß, um zu überleben, sie ist somit vor allem ein Zwang, zu dem der Mensch »seit dem Anfang berufen« ist. Sicher muß die Arbeit »beständig zur kulturellen und moralischen Hebung der Gesellschaft beitragen«, aber dennoch bleibt nicht weniger wahr, daß der Kirche zufolge die Arbeit vor allem ein unwandelbarer Zwang ist.

Das zweite Grundprinzip bzw. die zweite begriffliche Ausschließung - neben der Lohnarbeit - ist, daß der kollektive Arbeiter, der gesellschaftliche Arbeiter schlicht und einfach geleugnet wird. Denn »niemand als der Mensch [ist] Subjekt der Arbeit«. Es gibt keinen Gegensatz und keinen Kampf zwischen den Klassen und somit auch keine ontologische Möglichkeit der Konstitution der proletarischen Klasse als Klasse für sich gegen die Arbeit. Die Erhebung des Menschen mit Hilfe der Arbeit betrifft ausschließlich das Individuum. Das ist ein weiterer wichtiger Unterschied zum sozialistischen Travaillismus.

Das christliche und das travaillistische Denken kommen zusammen und vermischen sich an dem Punkt, wo beide den angeblich unaufhebbaren Charakter der real existierenden Arbeit behaupten. Beide fassen keine Gesellschaft ins Auge, in der sich der gesellschaftliche Mensch vollständig vom Zwang zur Arbeit, von jeder Art von Arbeit befreit. Da sie von der Ausbeutung der modernen Sklaven leben - und sie verewigen möchten -, verleihen sie ihr höhere Weihen und schmücken sie mit hochmoralischen individuellen und/oder gesellschaftlichen Endzwecken.

Natürlich führen die jeweiligen ideologischen Besonderheiten auch dazu, daß die Katholiken anders an die Fragen herangehen und sich andere Ziele setzen als die Travaillisten. Während die Travaillisten ihre gesamte Energie auf die wahnhafte Jagd nach »Arbeit für alle« konzentrieren, betont der Pietismus in der Soutane eher die »Solidarität« mit dem Individuum in Not, bzw. moderner ausgedrückt die »Umverteilung des Reichtums«, die den von AC! zivilisierten Autonomen so teuer ist. [14]

3. Ein Ersatzrad, das eiert

Eine extreme laizistische Variante der Vatikan-Ideologie stellt die verworrene nicht-traditionelle Linke dar: ein buntes Gemisch von linken Christen, Anhängern der Selbstverwaltung, radikalen Humanisten und alten Operaisten.

Zusammengeschweißt durch den Willen, alle »...losen« (»Arbeitslose«, »Obdachlose«, »Papierlose«), alle »Zurückgewiesenen« und »Ausgeschlossenen« zu verteidigen, haben diese politischen Strömungen eine Art radikale Mehrheitslinke [Wortspiel mit der »Mehrheitslinken« an der Regierung] gegründet, die ihre regierenden Mentoren nachäfft. Während die Regierungslinken sich in den Palästen der Republik paaren, tun die radikalen Linken es auf der Straße, in den besetzten Kirchen, auf den besetzten Arbeitsämtern und in den besetzten leerstehenden Wohnungen. Weil sie »volkstümlicher« sind, sind sie sympathischer, aber sie sind genauso sehr ein Feind des Proletariats. Sie sorgen »mit Barrikaden« und »von der Basis her« dafür, daß die zaghaften Vorstöße des Proletariats in Richtung Revolte in die Grenzen des demokratischen Konsens kanalisiert werden. Das schwächste Glied der Kette besteht dabei in ihrer völligen Unfähigkeit, wenigstens eine ihrer vielen Forderungen durchzusetzen. Sie verteidigen die Einwanderer? Die Linke an der Macht legalisiert einige Zehntausend, um einige Hunderttausend besser abschieben zu können. Sie verfolgen das Ziel Wohnungen für alle? Die Regierung streicht sogar Juppés Projekt, neue Hochhaus-Knäste für die ganz Armen zu bauen. Sie betteln um Vollbeschäftigung? Die Antwort heißt kurz und bündig: mehr prekäre Arbeit wird legalisiert. Sie verlangen ein anständiges Einkommen für die Armen? Sie bekommen einige 100 Francs zusätzlich pro Betroffenem.

Die ProletarierInnen, die ihnen ins Netz gehen, bezahlen oft einen hohen Preis für die Verantwortungslosigkeit dieser Herrschaften. Ein Beispiel? Die Hunderttausende von illegalen EinwandererInnen, die ihrem Rat gefolgt sind und ihre Papiere auf den Präfekturen vorgelegt haben und heute totales Freiwild für die Polizei geworden sind.

Sogar auf der Ebene der Ideologieproduktion wirkt die selbsternannte »soziale Bewegung« recht armselig. Bei denen, die ständig und pausenlos über »Menschenrechte« reden, alternative Gewerkschaftsarbeit machen, die 68er Ideologie auffrischen und »Befreiungstheologie« betreiben, ist wirklich nichts Neues in Sicht. Nur ein paar »Italiener« haben in diesen Zirkus der verlorenen Ideologien einen Anschein neuer Ideen hineingebracht.

Diese Transalpinen und ihre französischen Anhänger haben einen Meisterdenker: den bereits oben zitierten Professor Toni Negri. Er stützt sich auf ein philosophisches Hirngespinst, demzufolge heutzutage jede Aktivität produktiv sei. [15] Ausgehend von der Feststellung, daß - in einer von der Herrschaft der intellektuellen Arbeit und der Produktion immaterieller Güter geprägten Epoche - jedes menschliche Wesen mit dem für diese Epoche wesentlichen Arbeitswerkzeug ausgestattet sei, nämlich dem Gehirn [16] (und daß nichts und niemand ihm das wegnehmen kann), landet der Professor bei der Schlußfolgerung, daß jeder Mensch aufgrund seiner bloßen Beteiligung an dieser neuen »biopolitischen Gemeinschaft« einen garantierten Lohn [17] erhalten muß. Somit ist - allerdings nur im schnell ideologische Zaubersprüche vermehrenden Gehirn des Professors - der »Zusammenhang zwischen Reichtumsproduktion und Lohnarbeit (...) zerbrochen« (ebenda, S. 19) und folglich das Kausalverhältnis zwischen Arbeit und Lohn umgedreht. Heute rechtfertigt nicht mehr die Arbeit ihren Lohn, sondern die Tatsache, daß man a priori vom auf »eine radikale und absolute Demokratie« gegründeten Staat einen garantierten Lohn erhält, macht die Arbeit produktiv. [18]

Auf diesem Umweg nehmen wir Abschied von der Verwirklichung des »Rechts auf Arbeit«, das für die Trotzkisten und Stalinisten eine so unabdingbare Voraussetzung für Lohn und »Bürgerrecht« [»citoyenneté«] ist, [19] denn, wie Herr Negri sagt, gibt es »zuviel Arbeit, weil alle arbeiten und alle zur Herstellung des gesellschaftlichen Reichtums beitragen« (Negri, a.a.O., S. 17). Indem er von der treffenden Feststellung ausgeht, daß »die Arbeitslosen arbeiten ... und umgekehrt der Arbeitsplatz genauso subventioniert [wird] wie die Arbeitslosigkeit« (ebenda, S. 19.), dekretiert der venetische König des Paradoxons, daß der Lohn nur deshalb noch von der gleichnamigen Arbeit abhänge, weil der despotische Wille der herrschenden Klassen »die Aktivität der Reichtumsproduktion den kontrollierenden Formen Unternehmen oder Staat unterwirft« (ebenda, S. 18). Das macht in seinen Augen einen »politischen Übergang« nötig, der mit dem »parasitären Kapitalismus« aufräumt, vergleichbar mit dem Übergang »vom Ancien Régime zur Revolution«.

Wenn die Forderung nach einem garantierten Lohn unabhängig vom Besitz eines Arbeitsplatzes die Autonomen in die Nähe des christlichen Solidarismus rückt, so gibt es nicht weniger Forderungen, die es ihnen auf vorteilhafte Weise erlauben, sich in die travaillistische Linke einzufügen. Diese anderen Faktoren sind zumindest genauso wichtig wie ihre Übereinstimmungspunkte mit dem christlichen Solidarismus. Insgesamt betrachtet machen diese ideologischen Fragmente die Ex-Operaisten (genauso wie die »klassischen« Linken) zu erstklassigen Agenten für die Verbindung und Neuzusammensetzung unterschiedlicher Komponenten der mehrheitlichen Linken an der Macht.

Die BasisaktivistInnen: Gefangene der Gewerkschaftsarbeit und der Pädagogik des guten Beispiels

In einer ersten Bilanz der Bewegung wäre neben den vielen kleinen Brosamen (Abschaffung der Stromsperren, Essensgutscheine, einige hundert Francs pro Antragsteller aufgeteilt unter verschiedenen Posten, respektvollere Behandlung auf dem Arbeitsamt, kostenlose Fotokopien usw.) zu erwähnen, daß die neuen Vertretungsorgane der Arbeitslosen (AC!, Apeis, Mncp und das Komitee der CGT) in die offiziellen Verhandlungen zwischen den Sozialpartnern einbezogen wurden und in Zukunft an der Verwaltung der Sonderfonds der Arbeitslosenversicherung mitwirken sollen.

Träumen die kämpfenden ProletarierInnen von einer Welt ohne Elend und Not? Die konkrete Verwirklichung ihrer Träume sieht so aus, daß eine neue Generation von GewerkschafterInnen in die Umlaufbahn der sozialdemokratischen Institutionen des Kapitals geschossen wird. Dieses enttäuschende Ergebnis ist zum großen Teil auf die Schwäche und die Verwirrung in den heutigen Bewegungen zurückzuführen, aber das erklärt nicht alles. Es hat auch damit zu tun, daß es fast keinen selbständigen politischen Ausdruck der Bewegungen gibt.

Daß dieser Übergang nicht stattfindet, liegt nicht daran, daß die kämpferischsten ProletarierInnen politisch keine Ahnung hätten. Das konnten wir an den wichtigsten Bewegungen der letzten Zeit beobachten: in Frankreich und Belgien waren das z.B. die Streiks der Eisenbahner 1986, der ArbeiterInnen von Peugeot-Sochaux im Oktober 1989, der ArbeiterInnen von Renault-Cléon Ende 1991, der Kampf der belgischen ArbeiterInnen gegen den Plan global im Herbst 1993 und der Kampf des Bodenpersonals von Air France im Oktober 1993, der Streik bei GEC Alsthom in Belfort und Bourogne im November/Dezember 1994, die Streiks der ArbeiterInnen im Frühjahr 1995 und die Streiks im Öffentlichen Dienst im November/Dezember 1995, die langen Konflikte bei Renault-Vilvoorde und in den Stahlwerken von Clabecq 1997. Wie wir schon betonten, gibt es bei Belin, in Flins, in Sochaux, in Belfort und Bourogne, in Cléon, auf den Pisten von Roissy und Orly, in bestimmten Depots und Werkstätten der SNCF und der RATP oder bei bestimmten Gemeindeangestellten der Pariser Vorstädte, in Vilvoorde und Clabecq und sogar in bestimmten Komitees von Arbeitslosen und Prekären eine lebhafte politische Diskussion. Es gibt nach wie vor ein dringendes Bedürfnis nach politischer Übersetzung der Ideen, die in der Bewegung entstanden und/oder ausprobiert wurden. Es mangelt jedoch an Selbstvertrauen, und so bleibt es in der Regel bei der Delegierung: die Bewegung drückt sich nicht selber politisch aus.

Die Bestrebungen der fortschrittlichen ProletarierInnen nach Autonomie und einem politischen Kampf, der sich auf die gesamte Situation der Ausbeutung bezieht, werden von der gewerkschaftlichen Politik mit einem dichten Netz von scheinbar realistischen und vernünftigen Auswegen eingefangen (Forderungen und Verhandlungen). Zahlreiche ProletarierInnen sehen in den neuen Gewerkschaften das kleinere Übel im Vergleich zum Nichtstun, zur Unterwerfung oder zur aussichtslosen romantischen Revolte. Wir sind davon überzeugt, daß sich die politische Qualität der Kämpfe nicht weiterentwickelt, weil eine »unendlich in die Länge gezogene Übergangsperiode« immer weiter andauert. In dieser Periode [20] müssen die Kommunisten im Herzen der Bewegungen intervenieren und dabei mehr denn je das Gewerkschaftertum und die von ihm verursachte Schwächung der proletarischen Kämpfe kritisieren. Die ArbeiterInnen brauchen klare, unverwechselbare und organisierte revolutionäre politische Alternativen.

Was kritisieren wir an den Gewerkschaften »neuen Typs«?

Wir können das Gewerkschaftertum nicht kritisieren, indem wir ständig zwanghaft zur Revolution aufrufen (dieses Wort ist unter den gegenwärtigen Umständen so hohl wie wirkungslos) oder - schlimmer noch - jede Teilforderung ablehnen. Wir kritisieren nicht die Suche nach - niemals irreversiblen - Verbesserungen der Ausbeutungssituation, sondern wir kritisieren die gewerkschaftliche Politik, Verteidigungskämpfe von der kommunistischen politischen Perspektive abzutrennen, um sie dann irgendwo in die Sozialdemokratie des Kapitals zu integrieren. Die gewerkschaftliche Politik macht aus dem objektiv zwischen Verkäufern und Käufern der Arbeitskraft unvermeidlichen ökonomischen Kampf eine Entscheidung, eine bewußte, als unüberschreitbar und endgültig begriffene Grenze. Genau das muß bekämpft werden.

Die unabhängigen proletarischen Strukturen müssen es von Anfang an vermeiden, in die Falle der Delegierung des Verteidigungskampfs an Organe zu laufen, die zu diesem Zweck vom Feind vorbereitet oder vorgesehen sind. Es gibt kein historisches Beispiel dafür, daß die ausgebeutete Klasse, um zu siegen, für jedes Terrain des sozialen Kriegs spezielle hierarchische Institutionen brauchte. In der wirklichen Geschichte der Arbeiterbewegung gab es alle möglichen Kombinationen: Arbeiterparteien mit oder ohne Gewerkschaften, mehr oder weniger politisierte Gewerkschaften mit oder ohne Partei, Räte oder Milizen mit oder ohne Partei und / oder Gewerkschaft usw.. Und niemals konnte eine Organisations-Alchimie den Sieg garantieren. Es stimmt zwar, daß die verschiedenen Schlachtfelder, auf denen sich die Arbeiterexistenz abspielt, spontane Organe hervorbringen, aber die Dynamik der Bewegung tendiert, wenn sie nicht unterbrochen wird, immer zur Vereinigung, zur Verschmelzung, um die verfügbaren proletarischen Kräfte so weit wie möglich zu konzentrieren, und das ist auch notwendig, wenn die Konfrontation in die Entscheidungsphase tritt. Diese konkrete Logik wollen wir den fortschrittlichen ArbeiterInnen nahebringen.

(aktualisierter, stark gekürzter Text von Mouvement Communiste vom Mai 1998)


Fußnoten:

[1] Assedic = Association pour l'emploi dans l'industrie et le commerce.

[2] Agence nationale pour l'emploi = nationales Arbeitsamt.

[3] Elektrizitäts- und Gas-Gesellschaft.

[4] In Frankreich war 1995 die Hälfte der 15- bis 25jährigen arbeitslos; von denen, die Arbeit hatten, waren 20 Prozent in einem »atypischen« Arbeitsverhältnis und 16 Prozent in Teilzeit beschäftigt. 1997 waren 35 Prozent der 50- bis 59jährigen und fast die Hälfte der 55- bis 59jährigen nicht mehr berufstätig.

[5] SMIC = salaire minimum interprofessionel de croissance = dynamischer Mindestlohn.

[6] Hinter diesem sehr modischen »Begriff« verbirgt sich ein doppelter Tatbestand. Zum einen ist in Frankreich die Arbeitsproduktivität schneller gewachsen als der Binnenmarkt. Wie ihre ausländischen Kumpane es ihnen vorgemacht haben, haben die großen französischen Konzerne sich verstärkt internationalisiert und viele neue Produktionsstätten dort errichtet, wo sich die Märkte schneller als in Westeuropa entwickeln. Im Gegensatz dazu dienten die Investitionen in Frankreich weniger der Ausweitung der Produktionskapazitäten als der Rationalisierung und Modernisierung der bestehenden Anlagen. Dahinter steht vor allem die weiter andauernde Lähmung des Binnenmarktes, der sehr viel weniger als früher durch staatliche Ausgaben gestützt wird (seit 1993 sind die öffentlichen Ausgaben bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt in Frankreich langsam gesunken: von 55,2 Prozent des BIP 1996 auf 54,7 Prozent 1997). Zum anderen hat die Mechanisierung eines Großteils der Kopfarbeit und die gestiegene Automatisierung der Handarbeit durch die massive Einführung neuer elektronischer Werkzeuge (Informatik, Telekommunikation) viele Berufe (z.B. Schreibkräfte, Buchhalter usw.) endgültig beseitigt und ganze damit verbundene Bereiche der Handarbeit abgeschafft. Heute verschwinden jedes Jahr 40 000 Arbeitsplätze von Sekretärinnen oder Verwaltungsangestellten. Das Ergebnis: In Frankreich ist nach einer kürzlich erschienenen DARES-Studie [Diréction des Études du Ministère Français du Travail; Forschungsabteilung des Arbeitsministeriums] die Beschäftigung zwischen 1990 und 1997 quasi stabil geblieben (Zunahme um 0,1 Prozent). Nur die Dienstleistungen mit geringer technischer Kapitalzusammensetzung haben zwischen 1990 und 1997 (um 8 Prozent) zugenommen, während gleichzeitig die Beschäftigung in der Industrie und am Bau um 13,5 bzw. 17 Prozent zurückging. Die Zahl der ungelernten ArbeiterInnen in diesen beiden Bereichen sank noch stärker als der für den jeweiligen Bereich genannte Durchschnitt. Auch liegt die Arbeitslosigkeit unter den ungelernten ArbeiterInnen mit 23,6 Prozent beinahe doppelt so hoch wie die der gesamten aktiven Bevölkerung.

[7] Nach Schätzungen der EU macht die Schwarzarbeit ungefähr 10 Prozent des BIP aus.

[8] Im Original »travaillisme«, wörtlich »Arbeitismus«. Gemeint ist die sozialdemokratisch/stalinisische Hauptströmung der traditionellen Arbeiterbewegung, welche die Arbeit ins Zentrum aller Überlegungen stellt und den Sozialismus als großes Arbeitslager »aufbauen« will.

[9] Louis Viannet, Syndicalisme: Les nouveaux défis [Syndikalismus: die neuen Herausforderungen] - Gespräche des Generalsekretärs der CGT mit Jean-Claude Poitou, S. 44 und 45, Editions VO und Editions de l'Atelier, 1995.

[10] Christoph Aguiton und Daniel Bensaïd: Le retour de la question sociale (Die Rückkehr der sozialen Frage), Editions Page deux, 1997, S. 21 f.

[11] Dem trotzkistischen Professor Bensaïd und dem gewerkschaftlichen France-Télécom-Vorstandsmitglied Aguiton zufolge würde die Forderung »nach einem bedingungslosen und universellen Recht auf ein Einkommen« »1. den Verzicht auf den Kampf für das Recht auf Beschäftigung (auf Vollbeschäftigung) und für massive Arbeitszeitverkürzung legitimieren« und 2. »den Riegel des SMIC sprengen, indem eine institutionalisierte Ausgrenzung entlohnt würde, so daß sie paradoxerweise gleichzeitig eine Kriegsmaschine gegen das System sozialer Sicherung darstellen würde«. (Aguiton/Bensaïd, a.a.O., S. 24 f.). Abgesehen von der offensichtlichen Verlogenheit machen die wenigen Worte, mit denen die beiden Trotzkisten hier ihren Gegner verteufeln, doch deutlich, daß sie wie ihre neue Freunde von der KPF für Vollbeschäftigung, Arbeitszeitverkürzung (zur Erreichung der Vollbeschäftigung) und Verteidigung des SMIC und des Sozialstaats sind. Das hat schon nichts mehr mit einem Übergangsprogramm zu tun, sondern dürfte ihnen eines Tages den Mitgliedsausweis der Sozialistischen Partei einbringen.

[12] »Man will uns unsere heutige Lage als unausweichlich einreden, man ermahnt uns zu Geduld und Unterordnung. Wir hingegen wollen, durch unsere Kämpfe und unsere Forderungen, TrägerInnen einer neuen Hoffnung und einer neuen Perspektive sein: die Abschaffung der Arbeitslosigkeit, eine freie und gerechte Gesellschaft in der Zukunft, ein Europa und eine Welt, in der Wirtschaft und Politik den Menschen dienen, nicht umgekehrt, und wo alle an den großen Entscheidungen des öffentlichen Lebens beteiligt sind.« (Forderungsplattform, angenommen bei der Zweiten europäischen Sitzung gegen Arbeitslosigkeit und Ausgrenzung; Brüssel 18. und 19. April 1998, deutsche Fassung zitiert nach Inprekorr 321/322).

[13] Toni Negri: Exil, Editions Mille et une nuit, 1998, S. 20; vgl. Wildcat-Zirkular Nr. 45, S. 31-35.

[14] Angesichts einer »liberale[n] Offensive, die sich in ganz Europa auf die Verträge von Maastricht und Amsterdam stützt (...) nehmen die Kämpfe der Erwerbslosen zu; sie fordern mit Nachdruck eine Umverteilung des Reichtums (Forderungsplattform, angenommen bei der Zweiten europ. Sitzung gegen die Arbeitslosigkeit und den Ausschluß; Brüssel 18. / 19. April 1998, a.a.O.).

[15] »... seit dem Moment, als man der Arbeiterklasse das Privileg genommen hat, die einzige Vertreterin der produktiven Arbeit zu sein, und diese produktive Arbeit allen Subjekten zurückgegeben hat, denen das Arbeitswerkzeug und das sprachliche Ausdrucksvermögen eingewachsen sind, seit diesem Moment muß man sagen, daß all jene, die vitale Mächte produzieren, sich in diesem Prozeß befinden, und daß sie sich sogar auf wesentliche Art darin befinden.« (Toni Negri: Exil, Editions Mille et une nuit, 1998, S. 23.

[16] »Der Arbeiter braucht heutzutage keine Arbeitsinstrumente (das heißt fixes Kapital) mehr, die ihm vom Kapital zur Verfügung gestellt werden. Das wichtigste fixe Kapital, nämlich dasjenige, von dem die Produktivitätsunterschiede abhängen, befindet sich inzwischen in den Gehirnen der arbeitenden Menschen: Das ist die Werkzeugmaschine, die jeder von uns in sich trägt. (...) Die Werkzeugmaschine ist dem Kapital vom Arbeiter entwendet worden, so daß sie ihm sein ganzes Leben folgt, so daß der Arbeiter das Produktionsvermögen im Innern seines eigenen Gehirns trägt (...) Wenn das Arbeitsinstrument im Gehirn liegt, dann wird das Arbeitsinstrument/Gehirn zur größten produktiven Potentialität, die heutzutage zum Zwecke der Reichtumsproduktion ins Werk gesetzt wird.« (Negri, a.a.O., S. 19-21); vgl. Wildcat-Zirkular Nr. 45, a.a.O.

[17] »Der garantierte Lohn ist die Reproduktionsbedingung einer Gesellschaft, in welcher die Menschen vermöge ihrer Freiheit produktiv werden.« (Negri, a.a.O., S. 23).

[18] Leider verfallen die neuen autonomen Philosophen, wenn es nötig ist, gelegentlich selbst in den einfältigsten Travaillismus. Patrick Dieuaide singt im ersten Heft der Zeitschrift Occupation ein Loblied auf die Arbeit, das den Herren Viannet, Bensaïd, Aguiton und Johannes Paul II. in nichts nachsteht: »Einerseits (und wie oft muß man das noch wiederholen) ist die Arbeit keine Ware. Andererseits reichert sich die Arbeit mit neuen Funktionen an (Begutachten, Abschätzen) und erhält mehr und mehr eine kollektive Dimension; damit wird die Arbeit zu einer Aktivität, die weit über das Inswerksetzen von neuem Wissen und neuen Erkenntnissen hinausgeht. Besser: durch ihren immer stärker gesellschaftlichen Charakter deckt sich die Arbeit immer weniger mit dem Arbeitsplatz, mit dem, was der Unternehmer für die unmittelbare, individuelle Arbeit hält. Arbeit ist auch und vor allem das Herstellen eines gesellschaftlichen Ortes, der Kooperation, indem man sich informiert, indem man kommuniziert, indem man sich mit anderen austauscht, indem man beständig im Betrieb und außerhalb des Betriebs hin- und hergeht, indem man persönliche Kenntnisse und persönliches Wissen mobilisiert, das man allein oder zusammen mit anderen erworben hat, mit oder ohne formale Qualifikation, fern von der Schulbank und den Unis.«

[19] »Solange die Regeln so bleiben, wie sie nun mal sind, müssen wir den Arbeitsplatz als ein Recht und eine Pflicht betrachten, die Vorrang vor anderen Existenzrechten haben (...). Das Bürgerrecht [citoyenneté] ... gilt bei der Arbeit wie anderswo und ist zentral für die Beantwortung der Frage der Arbeitslosigkeit.« (Aguiton/Bensaïd, a.a.O. S. 21).

[20] In Frankreich war 1997 das Jahr mit dem niedrigsten Ausfall von Arbeitsstunden durch Streiks seit 1935.


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