Wildcat-Zirkular Nr. 62 - Februar 2002 - S. 15-62 [z62mcdon.htm]


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Seit über drei Monaten Streik bei McDonald's in Paris

Am 24. Oktober 2001 kündigt der Betreiber von McDonald's auf der Kreuzung der Boulevards de Strasbourg und St. Denis mitten in Paris fünf Beschäftigte (»managers«), einer von ihnen Gewerkschaftsdelegierter der CFDT. Gleichzeitig erstattet er Anzeige gegen Unbekannt wegen Diebstahls. Eine Million Francs sollen aus der Kasse verschwunden sein. Wie es der Zufall so will, wollten die Entlassenen gerade eine Gewerkschaftsgruppe gründen und sich für die nächsten Delegiertenwahlen aufstellen lassen.

Die Beschäftigten des Restaurants beginnen am selben Tag zu streiken. Im Restaurant läuft seither nichts mehr.

McDo ist auf Wachstumskurs in Frankreich: Ende 2001 gab es mehr als 900 Restaurants; schon im Jahr 2000 gab es mehr als 35 000 Beschäftigte. Ein Restaurant bedient täglich im Schnitt 1400 Kunden und setzt 17,5 Mio Euro um. Die Restaurants werden vorwiegend im Franchise-System betrieben, womit McDo über Quasi-Exklusivverträge die Marke, Preise, Einrichtung und Qualität kontrollieren kann. Dafür kassieren sie einen Anteil zwischen 12 und 25 Prozent - Investitionen, alle Betriebskosten und vor allem die möglichen Konflikte mit den Beschäftigten sind Sache des Betreibers.

Das System ist andererseits so ausgeklügelt, daß sich nur sehr schwer Konflikte entwickeln können. Es werden fast ausschließlich sehr junge Leute in Teilzeit eingestellt für 87 Stunden monatlich zu 500 Euro netto - für die Arbeit am Abend oder am Wochenende - und sehr selten in Vollzeit für 800 Euro netto; ein »Swing Manager« (eine Art Vorarbeiter) verdient je nach Niveau zwischen 850 und 1000 Euro für Vollzeit; er kann es zum »Manager« bringen, der 1200-1300 Euro verdient. Es gibt kein dreizehntes Monatsgehalt. Die Fluktuation ist hoch, denn bei den Arbeitsrhythmen und der Flexibilität schafft es kaum jemand, zu studieren und nebenbei zu arbeiten. Aber angesichts der hohen Arbeitslosigkeit schmeißen immer mehr Leute ihr Studium hin, um weiter zu arbeiten; um von ihrem Lohn leben zu können, steigen sie dann im Betrieb auf.

Aber in unserem Fall hat das Gefühl der Ungerechtigkeit die Macht des Unternehmers weggefegt und sie in einen Faktor verwandelt, der den Kampf lostritt. Die Beschäftigten sind Freunde, kennen sich gut und wissen, daß die Anklage reiner Vorwand ist. Fast alle engagieren sich von der ersten Minute an in einem Kampf, der bis heute andauert.

Die CGT hat logistisch unter die Arme gegriffen, und mit der Konstituierung eines breiteren und offenen Unterstützungskomitees hat sich der Kampf die Mittel geschaffen, um weiter zu machen: Unterschriftensammlungen, Theater, Solidaritätskonzerte, Bürgerversammlungen, Demonstrationen, Spendensammlungen. Am 11. Dezember versucht der Betreiber des bestreikten Restaurants die Abwesenheit der Beschäftigten auszunutzen, um Instandsetzungsarbeiten durchzuführen. Als Antwort darauf wird das Restaurant besetzt. Nach fünf Tagen gibt der Besitzer, dem McDo zu seinem Schutz Wachmänner geschickt hat, auf.

Drei Monate lang wurden jeden Samstag verschiedene McDo-Läden in Paris besetzt und blockiert. So kam man in Kontakt mit den anderen Beschäftigten, die ab und zu auch selbst mitgestreikt haben, und das hat dafür gesorgt, daß der Kampf weiter geht. Auf die Weise konnte man auch den KundInnen, der Bevölkerung und den Medien erklären, worum es bei dem Kampf geht. Insgesamt sind diese Aktionen auf viel Verständnis und Sympathie gestoßen. Flugblätter auf englisch, deutsch, spanisch, italienisch, arabisch und russisch haben dazu beigetragen, den Immigranten und Touristen den Streik zu erklären. Natürlich gab es auch Meinungsverschiedenheiten und Aufregung durch aggressive Kunden, aber insgesamt haben die Leute die Streikenden eher ermutigt.

Aufgrund dieser aktiven Unterstützung konnte im Dezember Geld gesammelt werden, um den Streikenden eine Unterstützung von ca. 150-230 Euro pro Kopf zu garantieren (mit einem Zuschlag für diejenigen, die Familie haben); im Januar konnte fast doppelt soviel ausgezahlt werden. Das ist Luft zum Atmen für Leute, die zu normalen Zeit schon mit geringen Löhnen auskommen müssen.

Es gab in verschiedenen französischen Städten Solidaritätsaktionen; in Deutschland sind in einigen Ruhrgebietsstädten Flugblätter verteilt worden. Der Streik ist mittlerweile in ganz Europa bekannt. Auch dieser Artikel ist eine Einladung an Euch, Solidaritätsaktionen, Flugblätter, Demos, Boykottaktionen zu organisieren und dann das Unterstützungskomitee darüber zu informieren.

Wie hat nun der Betreiber des Restaurants reagiert - und die Geschäftsführung von McDonald's France, die offiziell nur »Beobachter« war, aber in Wirklichkeit die Fäden gezogen hat? Zu Anfang haben einige Beschäftigte Drohbriefe gekriegt. Dann hat man parallel zu den laufenden Verhandlungen mit den Gewerkschaftsvertretern Beschäftigte zu bestechen versucht. Die »Verhandlungen« haben zum einen gezeigt, daß die Beschäftigten kompromißbereit waren, zum andern, daß es bei McDo überhaupt keine »Kultur« gibt, Konflikte zu regeln. Sie haben angeboten, die Entlassenen neu einzustellen, womit sie ihre Ansprüche aufgrund ihrer Beschäftigungsjahre verloren hätten - dabei haben sie sich ins eigene Fleisch geschnitten und implizit die Haltlosigkeit ihrer Beschuldigungen zugegeben - aber sie haben die Hauptforderung der Streikenden abgelehnt: die Wiedereinstellung aller Entlassenen mit ihren vollen Ansprüchen.

Inzwischen hat die Arbeitsinspektion die erste Kündigung für ungültig erklärt, letzte Woche hat das Arbeitsgericht die von zwei Beschäftigten annulliert, die vor Gericht gegangen waren; es verurteilte den Unternehmer zur Zahlung von 152 Euro pro Tag im Fall der Nichteinhaltung. Ein wichtiger symbolischer Sieg - Peanuts für McDo. Der Unternehmer ist natürlich in Berufung gegangen.

Pariser Redaktion der Zeitschrift Collegamenti-Wobbly.


Weitere Informationen zum Mc Donald's-Streik

In den McDo-Filialen werden v.a. junge Leute eingestellt. Für die meisten ist es der erste Job überhaupt. In Frankreich sind es vor allem Kinder afrikanischer, maghrebinischer oder antillischer Einwanderer, die häufig nebenbei ihre Ausbildung machen. Das System funktioniert über eine sehr hohe Fluktuation.

Die vorgeblichen Aufstiegschancen in der Arbeitsplatz- und Lohn-Hierarchie werden enttäuscht, weil die etwas besser bezahlten Jobs langfristig besetzt bleiben. Versuche, Rechte geltend zu machen, etwas in Frage zu stellen oder nach draußen zu bringen, überhaupt jedes Verhalten, das Nicht-Unterwerfung und Nicht-Identifikation andeutet, wird mit Herabstufungen in schlechtere Arbeit, Lohnabzügen, manchmal sogar mit physischer Gewalt bestraft.

Das Management versucht die Einrichtung einer Interessenvertretung zu verhindern. Denn schon die Definition gegensätzlicher Interessen - auch nur zum Zweck ihrer Versöhnung - ist für Identifikationsideologie unerträglich. Das geht bis zur Zahlung von Spitzelprämien und Schweigegeldern bzw. Abfindungen zur Vertuschung von Konflikten

Wie fragil und spannungsgeladen solche Pseudo-Gemeinschaften auch in Deutschland sind, zeigte die Reaktion von Beschäftigten einer Burger-King-Filiale in Südhessen:

»Mit rabiaten Mitteln haben sich mehrere Beschäftigte von Burger-King am Mittwochabend gegen ihren Arbeitgeber gewandt. Gegen 18.30 Uhr kamen sie in das Lokal am Liebfrauenberg und schlugen mit Eisenstangen auf das Mobiliar sowie die Kassen ein. Danach flüchteten sie mit dem Auto.

Der Betriebsleiter identifizierte gegenüber der Polizei vier der sechs Täter als Angestellte des Fast-Food-Lokals. Er nannte auch den Grund für die Randale. Die Angreifer hatten Solidarität mit einem entlassenen Kollegen demonstrieren wollen.« (FR, 18.01.02)

Aus Courant Alternatif / Januar 2002:

»Wenn man mit den jungen Beschäftigten redet, spürt man das Gewicht einer Umgebung, in der kleine Jobs und niedrige Löhne keine Ausnahme mehr sind, sondern Normalität. Für sie ist es »normal«, schlecht bezahlt zu werden, und die Einstellung bei einigen McDos, besonders bei den Franchise-Betrieben, läuft über Beziehungen der Familie oder der Nachbarn: einige Chefs wohnen in derselben Hochhaussiedlung oder sind dort aufgewachsen wie das Personal. Die Rekrutierung läuft über die Eltern, denen McDo den Himmel auf Erden verspricht für ihre Kinder, auf jeden Fall Arbeit und die Garantie, daß sie nicht im Viertel rumhängen. Bei McDo anzufangen sehen manche als Glück und als empfangene Gabe.

Für die Mehrzahl der jungen Leute ist dies ein weicher Eintritt in die Arbeitswelt. Denn McDo gehört zu ihrer Kultur, sie stopfen sich von Kindheit an Hamburger rein, und für die Heranwachsenden ist McDo der bevorzugte Ort, wenn sie ausgehen. Das Verhältnis ist sehr widersprüchlich. Die Streikenden sagten uns, daß sie sich vor dem Streik und dem Bewußtseinssprung, den er bewirkt hat, recht wohl gefühlt hätten bei McDo: sie fühlten sich dort zuhause, in ihrer Welt, und sie hatten dort weniger Probleme mit Rassismus als anderswo: Kinder der Hochhaussiedlungen und Immigration, hier treffen sie sich, teilen dieselben kulturellen Bezüge und Codes (Religion, Verhältnis zur Familie, Musik, soziale Umgebung), hier gehören sie dazu: sie sind weniger stigmatisiert als anderswo.«

In der Zeitschrift Tsunami vom Sommer 2001 der Coordination des Travailleurs Précaires stand folgende Chronologie von Kämpfen in Fast Food Läden:

Soweit die Chronologie. Am 24. Oktober letzten Jahres begann dann der Streik bei McDo Boulevard Saint Denis, der bis heute andauert.

Kontakte:

http://listes.samizdat.net/wws/info/hambur-greve-infos

Streikende bei McDo Boulevard Strasbourg / Saint-Denis:
Tel: Raja: 06 19 51 84 26, Aristide: 06 89 12 83 28

»Wir sind keine Hack-Steaks«

Artikel in der taz vom 19.2.02 zum Streikausgang

Flugblatt, das im Ruhrgebiet zum Streik bei McDonald's verteilt wurde.

Labournet Deutschland zum Streik bei McDo und Interview mit einem Pizza-Hut-Arbeiter.

www.mcspotlight.org - englische Seite zu internationalen Kampagnen gegen McDonalds

macresistance - weitere französische Seite zum Widerstand im Fast-Food-Sektor

Die amerikanische Methode. Staatsanwaltschaft hilft McDonald’s bei Mitarbeiterüberwachung. Betriebsräte unerwünscht - Artikel in der jungen Welt vom 11.02.02.


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